Über Gewerkschaften der Textilarbeiterinnen in Bangladesh

Die richtigen Schlüsse ziehen

Viele internationale NGOs konzentrieren sich in ihren Kampagnen als Reaktion auf den Fabrikeinsturz in Bangladesh auf die Konsumenten. Wichtiger ist jedoch die Stärkung der lokalen Gewerkschaften.
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Der Tod von mehr als 1 100 Arbeiterinnen und Arbeitern in Bangladesh durch den Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes im vergangenen Monat (siehe auch Interview-Seite) führte bei Kampagnenorganisationen auf der ganzen Welt zu hektischer Betriebsamkeit. Vor allem diejenigen im Online-Bereich – Gruppen wie Avaaz, Change.org und die relativ neue SumOfUs.org – organisierten als Reaktion schnell Kampagnen. Diese verfolgten alle ein ähnliches Konzept: Die westlichen Konsumentinnen und Konsumenten müssten Druck auf die Unternehmen ausüben, die Kleidung produzieren, damit diese sich in Zukunft besser benähmen. Das ist alles gut gemeint, aber das Problem ist, dass sie sich ganz auf die Rolle der Konsumenten konzentrieren und dabei nicht nur die Rolle der Produzenten vernachlässigen.

Die Textilarbeiterinnen und- arbeiter in Bangladesh entschieden sich für eine Kampagne mit ihrem globalen Gewerkschaftsverband »IndustriALL« mit Sitz in Genf. Sie richteten ihre Forderungen nicht an westliche Bekleidungsfirmen, sondern an ihre eigene Regierung. Diese solle die Arbeitsgesetze des Landes reformieren, um gewerkschaftliche Organisation zu erleichtern.
Über die Online-Plattform Labourstart rief IndustriALL dazu eine Kampagne ins Leben und innerhalb von nur drei Wochen hatten bereits 14 000 Menschen Nachrichten darüber verschickt. Zusätzlich initiierte IndustriALL ein Abkommen mit führenden Bekleidungsunternehmen für deutlich verbesserte Gesundheits- und Sicherheitsstandards in Bangladesh.
Problematisch an der Konzentration vieler internationaler NGOs auf die Konsumentenseite ist auch, dass dies Nationalismus fördert. In einer E-Mail als Reaktion auf die Kampagne von LabourStart und IndustriALL war zu lesen, die Lektion aus der Tragödie in Savar sei: »Produziert Kleidung in Kanada.« Das macht nur Sinn, falls man Kanadier ist, und selbst dann liegt man damit falsch.
Viele Menschen gehen davon aus, dass die westlichen Konsumenten schuld an dem Unglück seien, weil sie billige Kleidung wollen. Es sei nicht die Schuld der Arbeitgeber in Bangladesh oder der antigewerkschaftlichen Politik der Regierung. Der Britische Gewerkschaftskongress nahm dieses Argument kürzlich erfolgreich in einer Anzeige auseinander, die im Netz weit verbreitet wurde. Darin wurde belegt, dass eine Verdopplung der Löhne der Textilarbeiterinnen und -arbeiter in Bangladesh die Kosten eines T-Shirts nur um einen Penny erhöhen würde. Der monatliche Mindestlohn beträgt in Bangladesh 3 000 Taka (umgerechnet 29 Euro), ein Fünftel des derzeit in China herrschenden Mindestlohns.

Doch nicht nur indem sie sich auf die Verantwortung der Konsumenten für die Katastrophe in Savar konzentrieren, beweisen die Kampagnen-NGOs einen Mangel an Urteilsvermögen. Eine Organisation kündigte beispielsweise an, sie sammle 20 000 US-Dollar, um ein lokales Zentrum für Arbeiterrechte in Bangladesh zu unterstützen. Aber im Kleingedruckten stand, dass Spenden über diese Summe hinaus der Organisation selbst zugute kommen würden, um die Gehälter ihrer Angestellten in den USA zu bezahlen. Eine andere NGO forderte die Menschen per E-Mail auf, ihrer Wut über die Tragödie durch Geldspenden Luft zu machen – nicht, um den Opfern zu helfen, sondern um die Organisation mit Sitz in Washington bei der Verbreitung dieses Aufrufs zu unterstützen. Das Fundraising durch IndustriALL verlief anders. Es war mit den Textilarbeitergewerkschaften in Bangladesh abgestimmt und das Geld ging direkt an sie.
Zu behaupten, dass Konsumentinnen und Konsumenten bei all dem keine Rolle spielten, wird der Sache auch nicht ganz gerecht, denn am wichtigsten ist es, Solidarität mit den Beschäftigten an Ort und Stelle zu üben und ihre Gewerkschaften zu stärken. Versuche, unabhängig überprüfbare Zertifikate zu schaffen, die belegen, dass Produkte ethisch korrekt produziert wurden, waren bislang zum Scheitern verurteilt. Gruppen wie die Rainforest Alliance, deren Zertifikate belegen sollen, »dass Produkte und Dienstleistungen auf umweltfreundliche, sozial und wirtschaftlich nachhaltige Weise erzeugt wurden«, wurden von Gewerkschaften stark dafür kritisiert, dass sie einige Produkte zertifizierten, ohne die Rechte von Arbeiterinnen und Arbeitern zu berücksichtigen. Vor einigen Jahren prangerte die International Union of Foodworkers das britische Teeunternehmen Tetley für seine unethische Praxis an, obwohl die Firma stolzes Mitglied der »Ethical Tea Partnership« ist.
Die einzige Garantie dafür, dass Beschäftigte eine Stimme an ihrem Arbeitsplatz haben und dass Gesundheits- und Sicherheitsfragen angemessen berücksichtigt werden, ist eine unabhängige Gewerkschaft am Arbeitsplatz. Die einzige Gewähr, die Konsumentinnen und Konsumenten dafür haben, dass die von ihnen gekauften Produkte die von Zertifizierungsorganisationen versprochenen ethischen Standards tatsächlich erfüllen, ist ein Zertifikat der Gewerkschaft.
Ein solches wurde erstmals 1874 von Schreinern in San Francisco eingeführt und verbreitete sich später mit dem Erstarken von Gewerkschaften in Nordamerika. Nicht lange ist es her, dass man Gewerkschaftszertifikate auf Kleidung, Druckerzeugnissen und vielem mehr finden konnte. Als die Gewerkschaften schwächer wurden, verschwand das Zertifikat zusehends. Aber der Tod so vieler Textilarbeiterinnen und -arbeiter sollte ein Umdenken anregen – vielleicht ist es an der Zeit, das Zertifikat wiederzubeleben.

Aus dem Englischen von Nicole Tomasek