Mit allen Wassern gewaschen

Vermutlich unterschätze der Internationale Währungsfonds »die Rezessionswirkung der Haushaltskonsolidierung«, überdies entspreche das »Paket« für Griechenland »nicht dem Standard der Strukturanpassung des IWF, die fiskalpolitisch glaubwürdig sein soll«. Aber es gehe ja nicht so sehr um Griechenland, »sondern vor allem darum, das europäische Finanzsystem abzuschirmen«. Das schrieb der gewerkschaftsnahe Ökonom Ronald Janssen im Juli 2010. Knapp drei Jahre später gab der IWF in einem Ende Mai veröffentlichten Bericht zu, dass das alles stimmt. Die Folgen der Sparpolitik seien falsch berechnet worden und man hätte sich eigentlich am »Rettungspaket« für Griechenland nicht beteiligen dürfen, da die Vorhersagen über die Entwicklung der Schuldenquote »zu optimistisch« gewesen seien. Immerhin sei die »Ansteckung« anderer Staaten der EU verhindert worden.
Obwohl der IWF darauf beharrt, dass die Griechenland-Politik nicht anders hätte ausfallen können, erbost allein das Eingeständnis von Fehlschlägen die EU-Kommission, zumal die chaotische EU-Politik als Ursache vieler Probleme benannt wird. »Ich glaube, es ist nicht fair und gerecht, dass der IWF seine Hände zu waschen versucht und das schmutzige Wasser auf die Schultern der Europäer schüttet«, klagte Olli Rehn, EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung. Eine interessante Aussage, denn im christlichen Abendland verweist die Metapher des Händewachsens auf Pontius Pilatus. Der Gekreuzigte kann da nur Griechenland sein, mag auch die Auferstehung auf sich warten lassen, während Rehn sich ungewollt mit dem tobenden Mob identifiziert, der die Hinrichtung fordert. Eine passende Metapher also, die noch um »Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über meinem Gewand das Los geworfen« (Matthäus 27:35) als Gleichnis für die Privatisierungspolitik ergänzt werden könnte. Man fragt sich aber auch, ob IWF-Ökonomen und EU-Politiker wirklich Traumtänzer sind, deren von wirtschaftsliberalem Unfug vernebelte Hirne die einfachsten Tatsachen nicht erkennen können. War es wirklich nur ein Patzer, dass der IWF 2010 falsche »Fiskalmultiplikatoren« benutzte, die es gestatteten, eine kurze und milde Rezession in Griechenland vorherzusagen? Auch die Prophezeiungen über das künftige Sinken der griechischen Schuldenquote waren selbst nach Maßstäben der bürgerlichen Ökonomie sehr realitätsfern. Doch damals musste vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel, die angesichts der griechischen Schuldenkrise erst einmal gar nichts tun wollte, von der Notwendigkeit eines Eingreifens überzeugt werden. Wenigstens das ist gelungen, der Streit zwischen EU und IWF zeigt jedoch, dass mit der Austeritätspolitik nur Zeit gewonnen, aber kein Problem gelöst wurde.