Über Repression und Opposition

Qual ohne Wahl

Um zu vermeiden, dass es nach der Wahl zu Unruhen kommt, haben die Revolutionswächter präventiv für Ruhe gesorgt. Die Oppostionsparteien im Iran und im Ausland rufen zum Wahlboykott auf.

Vor vier Jahren, im Juni 2009, hatten die Wahlen zu einer gewaltigen Mobilisierung der Bevölkerung geführt, die im Ausland unter dem Namen »Grüne Bewegung« bekannt wurde. Ihre Symbolfigur, Mir Hussein Mousavi, hatte offenbar die Wahl gewonnen, das aber passte Ayatollah Khamenei und den Pasdaran – den Revolutionswächtern – nicht.
So hieß der offizielle Wahlsieger schließlich doch wieder Mahmoud Ahmadinejad, während offensichtlich war, dass die Ergebnisse hierfür massiv »korrigiert« werden mussten. Eines der ersten Opfer dieser Korrektur war Mohammed Mehdi Asghari, ein Techniker der zentralen Wahlkommission, der vorwitzig am Wahl­abend die vorläufigen Ergebnisse bekanntgegeben hatte, nach denen Mousavi 19 Millionen und Ahmadinejad nur 5,6 Millionen Stimmen erhalten habe. Zwei Tage später kam er unter ungeklärten Umständen bei einem Autounfall ums Leben. Die nächsten Opfer waren die Studentenführer und Anhänger der Reform-Kandidaten Mousavi und Mehdi Karroubi, die wenige Stunden nach Bekanntgabe der gefälschten Wahlergebnisse verhaftet wurden, und schließlich Tausende von Iranerinnen und Iranern, die die brutale Staatsgewalt auf der Straße zu spüren bekamen. Innerhalb von zwei Jahre haben Folter, politische Morde und Arbeitsverbote die Menschen zum Schweigen gebracht.

Diesmal wollten die Pasdaran die Fehler der vorigen Wahlen nicht wiederholen. Deshalb wird von einem engineering der Wahlen gesprochen. Alles soll so vorbereitet werden, dass die Stimmung in der Bevölkerung erst gar nicht hochkochen kann. Die Wahlingenieure sorgen dafür, dass keine selbst­organisierten Strukturen entstehen. Das ist eine einfache Aufgabe, denn schon nach den letzten Wahlen sind viele Studentinnen und Studenten, Reformer und Gewerkschafter inhaftiert worden, die bis heute im Gefängnis sitzen. Wichtig ist auch, dass keine öffentlichen Diskussionen geführt werden. Auch dafür haben die Generäle die Bedingungen geschaffen. Derzeit befinden sich über 40 Journalisten und Blogger im Gefängnis, das Internet wird vor den Wahlen lahmgelegt, so dass das Öffnen einer Seite derart lange dauert, dass die Nutzer darauf verzichten.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Persönlichkeit der Kandidaten, die am Besten Schlaftabletten sein sollten, um das Publikum auf keinen Fall mitzureißen. Eine solche Auswahl zu treffen, war nicht so einfach, denn immerhin wurden ursprünglich 686 Kandidaten für die Wahl angemeldet. Aber zum Glück gibt es den Wächterrat, dessen Aufgabe es ist, dafür zu sorgen, dass den Herrschenden nicht der Schlaf geraubt wird. Er befand gerade mal acht Kandidaten für würdig, bei der Wahl anzutreten. Man könnte sagen, dass der eigentliche Wahlgang hiermit abgeschlossen ist. Aber es lohnt sich, einen Blick in die Mechanismen dieser Wahl zu werfen.
Der iranische Wächterrat setzt sich aus zwölf Personen zusammen: sechs Geistlichen und sechs Juristen. Sechs Mitglieder werden vom religiösen Führer ernannt, die übrigen sechs werden vom Parlament bestimmt, ausgewählt aus einer Liste, die der religiöse Führer den Abgeordneten vorlegt. Bei der Auswahl der diesjährigen Präsidentschaftskandidaten war vor allem die Entscheidung über zwei Personen mit Spannung verfolgt worden.
Zunächst Ahmadinejads Schwager Esfandiar Rahim Mashai, eine einflussreiche Persönlichkeit aus dem Kreise des Präsidenten, dessen Nachfolger er werden sollte. Ahmadinejad setzte sich aktiv für seinen Kandidaten ein und drohte sogar mit Enthüllungen über das korrupte Regime – Ayatollah Khamenei eingeschlossen –, falls er nicht zugelassen würde. Aber Mashai fiel durch. Mehrere dem Präsidenten nahestehende Funktionäre wurden festgenommen und erst wieder freigelassen, nachdem sie sich schriftlich verpflichtet hatten, im Fall einer Ablehnung Mashais keine Unruhe zu stiften. Auch bei den Pasdaran verteidigt man die eigenen Interessen, und so bleibt Ahmadinejads Gefolge ruhig, in der Hoffnung, seine Posten unter dem neuen Präsidenten nicht zu verlieren.
Die zweite wichtige Entscheidung betraf Ayatollah Akbar Hashemi Rafsanjani, der die Ankündigung seiner Kandidatur lange hinausgezögert hatte, so dass bis kurz vor Ende der Anmeldefrist nicht sicher war, ob er überhaupt kandidieren würde. Rafsanjani ist nicht irgendwer. Unter Ayatollah Khomeini war er Parlamentspräsident, nach dem Tod Khomeinis war er derjenige, der Khamenei zum Ayatollah befördern ließ und ins Amt des religiösen Führers hievte. Rafsanjani war der erste Präsident des Iran nach dem Tod von Ayatollah Khomeini. In seine Amtszeit fielen die Ermordung iranischer Kurden in Berlin – das »Mykonos«-Attentat am 17. September 1992 – sowie der Terroranschlag auf die israelische Botschaft in Buenos Aires im selben Jahr. Ein verdienter Mann also, umso überraschender war das Votum des Wächterrats: Rafsanjani wurde abgelehnt, weil er angeblich zu alt sei. Der Mann ist »nur« 78, gerade mal zwei Jahre älter als Khomeini war, als er 1979 aus Paris nach Teheran kam, um danach das Land elf Jahre lang zu beherrschen. Wie sich später herausstellte, hatten ursprünglich sieben Mitglieder des Wächterrats für Rafsanjani gestimmt und vier gegen ihn. Aber die Intervention von Pasdaran-Generälen bei Ayatollah Khamenei, die ihn vor erneuten gewaltigen Unruhen wie 2009 warnten, war offenbar erfolgreich. Die Wahl wurde wiederholt, Rafsanjani abgelehnt.

Die iranischen Herrscher haben ihre Lektion gelernt. Rafsanjani ist in der Lage, die Bevölkerung mitzureißen, weil er die Themen anspricht, die sie interessieren: Arbeitslosigkeit, Inflation, Korruption, die politischen Gefangenen. Nur acht Kandidaten sind übriggeblieben, allesamt Leute, die Khameneis Zustimmung fanden. Die Wahlprogramme der zunächst acht, bei Redaktionsschluss noch sechs Kandidaten unterscheiden sich nicht wesentlich voneinander: »Kein Wandel« ist ihre zentrale Gemeinsamkeit.
Egal wer Präsident wird, eines steht schon fest: Nach den Wahlen wird alles so sein wie vor den Wahlen. Sie werden nichts ändern, weil sie nichts ändern sollen. Wie reagiert die Opposition im Land sowie im Exil auf diese aussichtlose Lage?
Die Reformisten und die Anhänger der Grünen Bewegung hatten ihre Hoffnung auf Rafsanjani gesetzt. Mit seiner Ablehnung ist ihr Interesse an den Wahlen schlagartig verschwunden und ihre Empfehlung lautet: Stimmenthaltung. Für einen Wahlboykott sind auch die kurdische Demokratische Partei Kurdistan-Iran, die ehemals marxistisch-leninistische Komala und die PKK-nahe kurdische Guerillaorganisation Partei für ein Freies Leben in Kurdistan (PJAK). Die Mujahedin der Islamischen Revolution sind ebenfalls für eine Stimmenthaltung, während die Anhänger des ehemaligen Präsidenten Khatami noch abwarten. Einige opportunistische linke Parteien, die auch die Diktatur Khomeinis unterstützten, haben für Rafsanjani geworben und warten auf seine Wahlempfehlung.
Alle politischen Parteien der Exilopposition sind für einen Wahlboykott, von den Monarchisten und den Volksfedayin über die Volksmujahedin bis hin zur Arbeiterpartei Rahe Kargar und dem »Zusammenschluss für eine demokratische und säkulare Republik im Iran«, der seinen Sitz in Berlin hat.
Man mag sich fragen, was für einen Sinn es hat, wenn diejenigen die Wahl boykottieren, deren Kandidaten und Ziele sowieso von den Wahlen ausgeschlossen sind, aber das führt nur zur nächsten Frage, was für einen Sinn es hat, solche Wahlen überhaupt zu veranstalten. Wer will, dass das Regime so bleibt, wie es ist, wer den Iran als Absatzmarkt für chinesische Billigwaren und als Paradies für Schmuggler erhalten will, wer weiterhin die Atombombe bauen und Israel vernichten will – nein, das ist kein Übersetzungsfehler, wie viele denken! – ,der hat andere Sorgen als die, dass die Menschen im Iran Brot auf dem Tisch haben.
Die Opposition wartet, ebenso wie Rafsanjani, auf die Stunde nach dem Wirtschaftskollaps, denn dieses Regime scheint wirtschaftlich so wenig überlebensfähig wie zuletzt die ehemalige Sowjet­union.