Die EU erhebt Strafzölle auf chinesische Solaranlagen

Streit um den Sonnenschutzfaktor

Auf die von der EU-Kommission beschlossenen Strafzölle auf chinesische Solaranlagen reagiert die Regierung Chinas mit der Androhung von Strafzöllen auf EU-Importe.

»Alle Macht kommt aus den Läufen der Gewehre«, hatte der Vorsitzende Mao Zedong einst seinen Anhängern mit auf den Weg gegeben. Eventuell fühlten sich einige Mitglieder der EU-Kommission daher beim Umgang mit der neuen Wirtschaftsmacht China in der Pflicht, zu ähnlichen Metaphern zu greifen. Die Nachrichtenagentur AFP jedenfalls zitierte nach den Beschlüssen der Kommission, Strafzölle auf die Einfuhr chinesischer Solartechnik zu erheben, ein Mitglied der Kommission, das nicht namentlich genannt werden wollte, mit den Worten, man wolle zwar weiterhin mit den Chinesen verhandeln, »aber von jetzt an mit geladener Pistole«.
In der vergangenen Woche hatte die EU-Kommission im Alleingang Einfuhrzölle auf Solarmodule in Höhe von 47,6 Prozent beschlossen. Für die ersten beiden Monate ist die Quote, die chinesische Hersteller fast vollständig vom europäischen Markt ausschließen würde, allerdings auf 11,8 Prozent reduziert worden, um Raum für Verhandlungen offen zu lassen, wie Handelskommissar Karel De Gucht gegenüber Pressevertretern beschwichtigend erklärte. Die Maßnahme ist vor allem als Warnung zu verstehen, denn die EU-Kommission kann lediglich für sechs Monate Strafzölle verhängen. Dann müssen die Vertreter der 27 Mitgliedsstaaten entscheiden, ob diese protektionistische Maßnahme fortgeführt werden soll. Dass es dafür eine Mehrheit geben wird, ist derzeit aber unwahrscheinlich. Spiegel Online zufolge haben sich 17 Staaten in internen Befragungen gegen Schutzzölle auf chinesische Produkte ausgesprochen, vor allem Mitgliedsländer aus dem Osten und Norden Europas, darunter auch Deutschland.
Besonders die Bundesregierung hat keinen Zweifel an ihrer weiterhin bestehenden Ablehnung des Kommissionsbeschlusses gelassen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich noch während der Verhandlungen öffentlich gegen dauerhafte Strafzölle ausgesprochen und auch Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) hatte Zölle ganz in liberaler Manier als »schweren Fehler« bezeichnet. Das Bundeswirtschaftsministerium forderte die Verantwortlichen in der EU und der chinesichen Regierung auf, eine Einigung zu erzielen. Im Extremfall müsse damit gerechnet werden, dass China »im Gegenzug auch Strafzölle in anderen Beschaffungsbereichen« verhänge, heißt es in einer Verlautbarung.
Dass dies geschehen könnte, hatte Chinas Ministerpräsident Li Keqiang bereits vor dem Beschluss telefonisch dem EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso angekündigt. Am Mittwoch vergangener Woche gab das chinesische Handelsministerium in Peking bekannt, man erwäge, Zölle auf Weine aus der EU zu erheben. Etwa zwei Drittel der Weinimporte auf dem chinesischen Markt stammen aus dem Süden Europas – genau aus jenen Ländern, die für die Strafzölle im Solarbereich stimmten. Auch bei den Argumenten hält man sich an europäische Vorbilder. »Die chinesische Regierung hat bereits Ermittlungen gegen Dumping und gegen Subventionen von Wein in der EU unternommen«, schrieb das Ministerium in einer Mitteilung auf seiner Internetseite. Die Vorwürfe gleichen fast wörtlich denen der EU-Kommission. Die Subventionen Chinas für Photovoltaik sollen sich ihr zufolge durch kostenlose Energieversorgung, Forschungssubventionen und günstige Staatskredite seit 2008 auf fast 40 Milliarden US-Dollar summiert haben.

Während es sich bei den Sanktionen gegen den Import von Wein vergleichsweise um geringe Beträge handelt – auch wenn die Weinexporte Griechenlands nach China zuletzt als Hoffnungsschimmer für das Krisenland gefeiert wurden –, droht die chinesische Regierung, demnächst schärfere Sanktionen zu verhängen. Dem Verband der europäischen Fahrzeughersteller ACEA zufolge hat das chinesische Handelsministerium am Freitag vergangener Woche ein Prüfverfahren für Strafzölle auf europäische Oberklasse-Wagen angekündigt, das bereits im September abgeschlossen sein könnte. Angesichts der Krise der europäischen Automobilindustrie ist dies eine nicht zu unterschätzende Drohung, die vor allem Deutschland treffen könnte. Fast 20 Milliarden Euro betrugen die deutschen PKW- und Ersatzteilexporte nach China im vergangenen Jahr, mehr als die Hälfte des gesamten EU-Volumens. Hinzu kamen 2,9 Millionen in China hergestellte und verkaufte Autos deutscher Marken wie VW, Audi, Daimler und BMW, die nun auch unter die Regelungen fallen könnten.

Daher überrascht die antiprotektionistische Haltung der Bundesregierung kaum, hatten sich doch zuletzt auch fast alle bedeutenden Vertreter des deutschen Kapitals gegen die Strafzölle der EU ausgesprochen. »Strafzölle sind eine Sackgasse«, befand der deutsche Automobilverband VDA; einen weiteren Aus- statt Abbau forderte der Außenwirtschaftsexperte des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Ilja Nothnagel, und auch der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo, warnte eindringlich vor den Folgen eines möglichen Handelskriegs mit China. »An unseren Exporten nach China hängen allein in Deutschland eine Million Arbeitsplätze«, sagte Grillo dem Magazin Focus. »Wenn sich der Streit weiter aufschaukelt, sind diese Jobs in Gefahr. Wir schneiden uns ins eigene Fleisch.«
Angesichts dieser in der Weltmarktkonkurrenz gestählten Konzernmacht sind die Befindlichkeiten der deutschen und europäischen Solarindustrie kaum der Rede wert, deren Branchenverband Pro Sun durch eine Beschwerde den Kommissionsbeschluss 2012 angestoßen hatte. Ihr Präsident Milan Nitzschke, der auch Sprecher der Bonner Firma Solarworld ist, forderte zwar vehement von der Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, dass China nicht die internationalen Handelsregeln brechen und Tausende Arbeitsplätze in Deutschland gefährden dürfe, erntete aber lediglich eisiges Schweigen. Es scheint, als habe die Regierung die Branche nach dem Fall der Solarmodulpreise schon abgeschrieben. Im April veröffentlichten Zahlen des Statistischen Bundesamts zufolge gab es im Februar 2013 nur noch 21 Hersteller von Solarzellen und Solarmodulen, während es ein Jahr zuvor noch 33 waren. Noch gravierender ist der Rückgang bei den Beschäftigten. Deren Zahl sei von 10 196 auf 5 973 gesunken. Ähnlich sieht die Situation in Spanien aus – Europas ehemaliger zweitgrößter Hersteller von Solartechnik nach Deutschland. Die Streichungen von Subventionen durch die damalige spanische Regierung hatten bereits 2010 den »Abschied von der Solar-Weltmacht« (FAZ) eingeläutet.
Weltmarktführer auf dem Solarmarkt trotz der dramatisch gefallenen Anlagenpreise um bis zu 80 Prozent in den vergangenen drei Jahren bleiben die chinesischen Staatskonzerne. Im letzten Jahr führte China Solarmodule im Wert von 21 Milliarden Euro in die EU ein. Das entspricht der Hälfte der chinesischen Ausfuhr. China hat inzwischen einen Marktanteil von mehr als 75 Prozent auf dem heftig umkämpften EU-Markt. Und die chinesische Regierung hat Photovoltaik als »langfristiges Wachstumsfeld definiert«, wie der Berater von Solarfirmen, Dirk Volkmann, zu Beginn des Jahres in der Wirtschaftswoche schrieb. Deshalb reagiert sie wenig amüsiert auf den europäischen Solar-Protektionismus, dessen ökonomische Basis zudem, jenseits mancher Träume von blühenden Solar-Panel-Landschaften in Südeuropa, ausgesprochen dürftig ist. Mit Deutschland an seiner Seite sollte sich der Exportweltmeister aber keine allzu großen Sorgen machen.