Berlin Beatet Bestes.

Wenn Punks swingen

Berlin Beatet Bestes. Folge 197. New Direction Festival 2013.

Vor einigen Monaten bekam ich eine Mail von Sarah aus dem Organisationsteam des New-Direction-Festivals in Herrenberg bei Stuttgart. Sie hatte erfahren, dass ich mich seit einigen Jahren für Swing begeistere, und fragte, ob ich einen Workshop anbieten könne. Ein Swing-Workshop auf einem D.I.Y.-Hardcore-Punk-Festival? Das klang nach einer super Idee! Dennoch lehnte ich ab. Ich bin nun mal kein Tanzlehrer. Außerdem gibt es selbstverständlich Gründe dafür, dass die Swing- und die D.I.Y.-Szene bisher keinerlei Berührung miteinander hatten. Die Swing-Szene ist oft bieder, fast konservativ. In der »Lindenstraße« wird seit neuestem Lindy Hop getanzt, was in dieses Refugium der bürgerlichen Mittvierziger, zu denen ich auch gehöre, passt. Zu Punks hingegen gehören eher Pogo und Anarchie als Paartänze, in denen es Leader und Follower gibt. Kein Wunder also, dass bisher noch niemand versucht hat, beide Szenen zusammenzubringen. Trotzdem versprach ich Sarah, nach Tanzlehrern Ausschau zu halten.
Wenig später traf ich zufällig Felicitas, die ich vom Swing-Tanzen kenne, auf einem Konzert, das in einem von Räumung bedrohten linken Hausprojekt stattfand. Schnell stellten wir fest, dass uns die tradierten Rollenmodelle, wie sie in der Swing-Szene vorherrschen, ziemlich auf die Nerven gehen. Und da fiel mir Sarahs Anfrage wieder ein. Vielleicht hätten wir ja da die Möglichkeit, etwas Neues zu probieren. Felicitas war sofort begeistert und wir begannen, Pläne zu schmieden. Als erstes würden wir in unserem Workshop die Rollenverteilung aufbrechen. Jeder würde von Anfang an sowohl als Leader wie auch als Follower tanzen. Euphorisch sagte ich Sarah zu.
Soweit die Theorie. Am Freitag vergangener Woche fuhren Felicitas und ich dann nach Herrenberg. Über der halben Republik ergoss sich Dauerregen, und als wir ankamen, versank das Festival im Matsch. Nachdem wir uns mit leckeren Seitan-Steaks vollgestopft hatten, sahen wir uns das sehr abwechslungsreiche Bandprogramm an und gingen früh ins Bett. Unser Workshop sollte Samstagmittag beginnen. Wir hatten mit großem Vergnügen wochenlang an einem gemeinsamen Tanz gearbeitet, in dem wir beständig die Rollen wechseln. Den probten wir nochmal und warteten.
Plötzlich machten sich Zweifel breit, ob die Punks nach durchzechter Nacht im Regen Lust auf Swing haben würden. Bis dann doch die ersten Interessierten eintrudelten. Wir erklärten unser Konzept, führten erfolgreich unseren Tanz vor und begannen mit dem Workshop. Nach drei Stunden tanzten die Punks Swing. Spielend schafften sie es, beide Rollen zu lernen. Jungs führten Jungs, Mädchen führten Jungs, alle wechselten ständig, als wäre es selbstverständlich. Ich kann mich nicht erinnern, wann mich in letzter Zeit etwas so inspiriert hat wie die Punks in Herrenberg. Der restliche Tag verging wie im Rausch. Highlights: Minus Apes, Dulac, Dean Dirg, This Routine Is Hell, Out On A Limb und die Modern Pets. Danke an alle, die mitgeholfen haben! Danke, Sarah! D.I.Y. or die!