Die Rote Flora in Hamburg soll womöglich verkauft werden

Augen auf beim Häuserkauf

Im autonomen Kulturzentrum Rote Flora in Hamburg herrscht Aufregung. Die Besetzer fürchten den Verkauf des Grundstücks und bereiten sich auf harte Auseinandersetzungen vor.

»Wer das kaufen will, muss Stress mögen.« Seit einer Woche hängt ein weißes Banner mit diesem Spruch über der Roten Flora, dem besetzten ehemaligen Theater im Hamburger Schanzenviertel, das als autonomes Kulturzentrum dient. Dass Uwe Szczesny von der CDU, einer Partei, die von der Roten Flora nie sonderlich angetan war, der Urheber des Slogans ist, macht diesen nur noch amüsanter. Szczesny formulierte die Warnung im Jahr 2010, nun ist sie wieder aktuell. Denn die Mietverhältnisse haben sich entscheidend verändert. Davon sind zumindest die Besetzer überzeugt.

Der selbsternannte »Kulturinvestor« Klausmartin Kretschmer hatte die »Problemimmobilie« 2001 für einen sechsstelligen Betrag von der Stadt gekauft, kolportiert werden Summen zwischen 200 000 und 360 000 Mark. Mittlerweile hat er sich mit mehreren Projekten finanziell übernommen. Deshalb war es nur eine Frage der Zeit, bis er versuchen würde, das Grundstück gewinnbringend zu veräußern. Die Rote Flora konnte er nicht kommerziell nutzen. Die autonomen Betreiber aus dem Haus entfernen zu lassen, hätte zu heftigen Protesten vieler Hamburger und besonders der Bewohner des Schanzenviertels geführt. Und die Nutzungsbestimmung als öffentliches Kulturzentrum schließt die Umwandlung in einen gewinnträchtigen Entertainmentkomplex aus. Das wegen der Entwicklung der Grundstückspreise im Viertel mittlerweile wohl etliche Millionen Euro versprechende Areal, das neben dem ehemaligen Theater einen Park und einen als Kletterwand genutzten Hochbunker umfasst, nicht vermarkten zu können, muss Kretschmer sehr gestört haben.
Nach etlichen erfolglosen Versuchen, das Grundstück loszuwerden, verfolgt der »Kulturinvestor« nun offenbar eine neue Strategie. Sein Anwalt und Berater, Gert Bear, hat sich mehreren Medienberichten zufolge für 5 Millionen Euro als neuer Mieter der Immobilie eintragen lassen. Das deuten viele als eine Vorstufe zur Überschreibung des Grundstücks.
Die Floristen, wie die Besetzer der Roten Flora auch genannt werden, befinden sich jedenfalls in höchster Alarmbereitschaft. Wie ernst sie die ­Bedrohung nehmen, zeigt allein schon die Eile, mit der sie handeln: Als der Bericht über Baer als neuen Mieter in der vergangenen Woche im Hamburger Abendblatt veröffentlicht wurde, riefen sie am selben Abend zu einer Vollversammlung auf, um über Gegenmaßnahmen zu beratschlagen. Schon am nächsten Tag hielten sie eine Pressekonferenz ab, um dem mutmaßlichen neuen Mieter auf diesem Weg deutlich zu machen, dass sie auf alles vorbereitet sind. Die Meldung halten sie für richtig. »Dass Baer der neue Mieter ist, wissen wir ganz sicher. Wir dürfen aber unsere Quellen nicht nennen«, sagt Jan, einer der Floristen, die auf der Pressever­anstaltung die Fragen beantworten.
Baer streitet das allerdings vehement ab. Auf Nachfrage antwortet er: »Weder ich persönlich noch die Firma Baer & Baer Consulting GmbH ist Mieter oder Käufer der Roten Flora und wird es auch nicht in naher oder ferner Zukunft. Und dass ich oder die Firma Baer & Baer Consulting eine Summe von fünf Millionen Euro als Kaufsumme oder Mietsumme gezahlt haben soll, ist absoluter Unsinn.« Allerdings berate er »Kretschmer, den Eigentümer der Roten Flora, als Immobilien-, Projektentwicklungs- und Unternehmensberatungsfirma«, dies aber auch nur »bei einigen seiner Immobilien«.

Es steht also Aussage gegen Aussage. Ein Florist, der sich Florentin nennt, sagt dennoch: »Die Gefahr stufen wir als sehr hoch ein.« Er koordiniert mit anderen die seit 2010 laufende Kampagne »Flora bleibt«. In den vergangenen drei Jahren haben sie sich mit so gut wie allen anderen Gruppen, die sich gegen die Gentrifizierung in Hamburg richten, zusammengeschlossen. Dass Florentin auf der Pressekonferenz die Flora, das Berliner Tacheles und den Gezi-Park in Istanbul in einem Atemzug nennt, klingt zwar vermessen, zeigt aber, mit welchem Selbstbewusstsein die Besetzer einen möglichen Konflikt angehen werden. Sie sehen die Flora auch nicht als rückwärtsgewandten Fremdkörper, was dem Zentrum nach Kretschmers Wehklagen in den Lokalblättern oft vorgeworfen wurde, sondern als wichtig für die Zukunft der Stadt. »Denn wir kämpfen gegen eine kapitalistische Stadtplanung«, sagt Florentin.
Der Konflikt soll offenbar mit allen Mitteln ausgetragen werden. »Im Falle einer Räumung könnten wir auch auf eine militante Praxis zurückgreifen«, lässt Florentin wissen. Denn auch dem mutmaßlichen neuen Mieter traut man alle Härte zu. »Wir wissen, dass Baer sich bereits für den Bunker im Florapark interessiert. Und er ist kein Mäzen, er verfolgt Pläne, die unseren dia­metral entgegen stehen.« Die Floristen können sich eine Räumung bei Nacht und Nebel und eine anschließende Versiegelung der Eingangstüren durch eine Sicherheitsfirma ebenso vorstellen wie eine sogenannte warme Sanierung: »Die Flora könnte ja auch rein zufällig abbrennen«, gibt Florentin zu bedenken.
Dennoch sehen die Besetzer im gewalttätigen Protest nicht die wichtigste Form des Widerstands. »Ob eine Räumung rein militant zu verhindern wäre, wage ich zu bezweifeln. Aber wir müssen eine politische Stimmung aufbauen, die die Räumung nicht zulassen wird.« Damit ist nicht die Stimmung im Hamburger Senat und im Bezirks­amt gemeint. Der Bebauungsplan, den der Bezirk vorgelegt hat, ist bisher noch nicht verabschiedet. Erst Ende des Jahres dürfte die Flora auf Grundlage dieses Bebauungsplans rechtlich gegen einen Abriss gefeit sein. Zudem könnte der Bebauungsplan je nach den Machtverhältnissen im Bezirk und im Senat zugunsten eines Investors geändert werden. Die Floristen erhoffen sich deshalb eine ähnlich Solidarisierungswelle wie seinerzeit bei der Räumung des Bauwagenplatzes Bambule im Jahr 2002.

Zuspruch könnte die Flora nicht nur von der autonomen Szene und Anwohnern erhalten, sondern gerade auch von manchen Investoren, die das Gepräge des Stadtteils für ihr Geschäftsmodell brauchen. Die Schanze verliert zurzeit im Wochentakt Einrichtungen, die sie zu einem urbanen, hippen Viertel machen. Beliebte, alteingesessene Kneipen werden von Vermietern herausgedrängt, Gemüsehändler müssen wegen steigender Mieten schließen, günstige, aber gute Restaurants weichen Cafés, in denen der Cappuccino fünf Euro kostet. Die Straßen rund um das Schulterblatt, wo die Rote Flora steht, erinnern immer mehr an kleinstädtische Einkaufszonen, in denen es Schuhe, Brillen und Designerklamotten für Kinder gibt. Für Investoren verliert die Schanze damit die Anziehungskraft, die sie für ihre überteuerten Immobilien dringend benötigen. Die Rote Flora ist in diesem Geschäftsmodell ein wichtiger Standortfaktor. Das weiß man auch in der Hamburger Handelskammer. Baer, der in seinem Xing-Profil Segeln, Golf und Tennis als Hobbys angibt, müsste als neuer Eigentümer des Areals der Roten Flora also Stress von zwei Seiten gewachsen sein. Er schreibt auf Xing auch, er sei auf der Suche nach »Investoren für unsere Immobilienprojekte in Hamburg und Berlin«. Der Wille besteht anscheinend.