Die deutsche Ausgabe der Huffington Post

Puh, die Huff

Noch spottet die Medienwelt über die deutsche Ausgabe der »Huffington Post«. Aber sieht die Zukunft des Journalismus nicht genau so aus?

Die deutsche Ausgabe der Huffington Post zu kritisieren, ist ein wenig peinlich. Die versammelten Medienjournalisten haben nach all dem Tamtam, den die zum Burda-Verlag gehörende Focus Tomorrow AG um die deutsche Ausgabe ihres »digitalen Lesersalons« gemacht hat, nur darauf gewartet, dass am Ende etwas ganz und gar Lächerliches herauskommt – und als die Seite dann vor gut einer Woche online ging, war es genau so.
Gut ein Dutzend bezahlte Redakteure, die neben den freien unbezahlten Bloggern und Autoren für den Content zuständig sind, wurden damit beauftragt, aus eher lahmen Meldungen, die über den Agentur-Ticker laufen, apokalyp­tische Nachrichten zu machen, deren hysterisches Erscheinungsbild mit riesigen Überschriften und mehrfarbigen Anreißern das Gesamtbild der HuffPo bestimmt. Die Aufmachung erinnert, wie schon so oft in den vergangenen Tagen festgestellt wurde, an Bild.de, ist aber noch chaotischer und noch vorhersehbarer. Das liest sich im Fall des Haushaltsstreit zwischen US-Präsident Barack Obama und den Republikanern dann so: »Apokalypse wann anders – Einigung im Finanzstreit: USA wenden Staatsbankrott in letzter Minute ab (…) Präsident Obama beendet den Shutdown nach 16 Tagen (…) Republikaner gestehen Niederlage ein (…) Demokraten und Republikaner sind jetzt verfeindet (…) Die Krise könnte nur vertagt sein.« Aha, Republikaner und Demokraten sind jetzt also verfeindet, aber vorher haben sie zusammen auf der Veranda des Weißen Hauses Tee getrunken? Kein Wunder, dass viele Beobachter dem Content des Online-Magazins ein Armutszeugnis ausgestellt haben.
Da inzwischen alle, deren medienkritische Texte man gerne liest – von den Autoren der witzig-polemischen Kolumne »Altpapier« bis zum Journalisten Stefan Niggemeier – ihren Spott über die HuffPo und ihre Gratisschreiber wie Rainer Brüderle, Ursula von der Leyen, Robert Schneider, den Chefredakteur der Super­Illu und einige Medienberater ausgeschüttet haben, sei auch einmal die Gegenseite erwähnt. Die jubelt oder beschwichtigt nach dem Motto »Jetzt-lasst-die-HuffPo -mit-eurem-skeptischen-Zynismus-doch-mal-in-Ruhe«.
Der Kreis der HuffPo-Kritiker-Kritiker ist zwar naturgemäß klein, aber ihre Ansichten sind erstaunlich. Karsten Lohmeyer, Autor der Website lousy-pennies.de, der sich bisher darum verdient gemacht hat, Journalisten mit Ideen zu versorgen, wie sie an Geld kommen, schreibt in der Münchner Variante der HuffPo: »Für mich hat das eine klare Botschaft: Wir Journalisten brauchen mehr Freude an den Experimenten. Mehr Staunen. Mehr große Augen. Mehr Offenheit und manchmal pure Naivität und Kreativität im Umgang mit dem Internet. Wenn uns die Verlage dabei unterstützen – schön. Wenn nicht, dann machen wir eben unser eigenes Ding, so wie es Arianna Huffington vor wenigen Jahren gemacht hat.« Er preist die Mutter dieses Zukunftsmodel als Heroine, die sich als Journalistin getraut habe, etwas ganz Neues auszuprobieren, und durch die Übernahme der Huff­Po durch AOL belohnt worden sei – mit 315 Millionen Dollar als Übernahmepreis. Für Lohmeier ist die HuffPo »eines der spannendsten Medienprojekte der aktuellen Zeit«.
Doch was bitte soll an der deutschen HuffPo revolutionär sein? Steht nicht neben dem millionenschweren Mutterkonzern aus den USA der Focus-Verlag hinter dem Medienprojekt? Ist es nicht so, dass die angebliche Revolution von einem gelangweilten Fensterrentner ausgerufen wurde, damit er endlich wieder was erlebt, wenn er auf das Treiben vor der Tür blickt, wo sich das Medienprekariat selbstzerfleischt? Am Ende seines Textes wünscht sich Lohmeyer, dass durch die Reichweite, die ihm die HuffPost als Dank für seinen Bits füllenden Text in Aussicht stellt, eine bezahlte Kolumne herausspringt. Dumm nur, dass ich in der HuffPo-Version auf meinem Smartphone seine kostenlos zusammengestellten Thesen gar nicht finden kann, dafür aber den Text »Ein ideales Opfer namens Maddie« über das Verschwinden eines britischen Kindes, dessen Schicksal seit einer Dekade den Boulevard beschäftigt und nun durch die Kriminalsendung für Frühvergreiste, »Aktenzeichen XY«, wieder in den Ticker gespült wurde. Denn die eine Spalte für kostenlose Gastbeiträge, die in dem dummdreistschreienden Layout der Startseite durch seriöse Aufmachung nicht groß auffällt, ist in der mobilen Version verschwunden. So viel zur versprochenen Reichweite oder dem, wie der designierte Chefredakteur Sebastian Matthes es formulierte, »Werbeeffekt«.
Ein noch größeres Ärgernis stellt der vom Deutschen Journalisten-Verband zu Recht kritisierte Knebelvertrag dar, den alle Autoren unterschreiben müssen: Alle Texte gehören dem Unternehmen, der Schreiber kann sich nicht gegen eine Zweitverwertung wehren, und kann zudem, falls er den Fehler macht, in einem Ar­tikel eine Person zu kritisieren, die einen guten Anwalt hat, alleine zur Verantwortung gezogen werden. Der Verlag übernimmt im Falle eines Rechtsstreits ausdrücklich keine Haftung, wie es bisher im Journalismus üblich ist.
Dass die HuffPo dennoch ein Zukunftsmodell ist, liegt nicht an den Gratisschreibern und den Knebelverträgen, die von immer mehr Medienunternehmen genutzt werden, sondern daran, dass der Journalismus, wie er in verstaubten Lehrbüchern steht, nicht mehr zu retten ist: Die Gier nach Sensation ist allgegenwärtig. Ein Beispiel: Als die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer der Kanzlerin einen Brief mit zwei Handvoll Fehlern schrieb, wurde das ausführlich und überall dokumentiert. Oberlehrerhaft wurde doziert, in welcher Zeile welcher Fehler steckte. Der Inhalt des Briefes, in dem Dreyer die Kanzlerin drängte, endlich gegen das Vorgehen der Geheimdienste im NSA-Skandal zu protestieren, war nur Beiwerk, versteckt im letzten Satz. Das ist der Treppenwitz der Geschichte: Seit Stefan Raab als Moderator von Politsendungen gilt, suchen die Medien nach »TV Total«-Momenten, Schnipseln, die sich als Stoff für Häme eignen. Einen eigenartigen Reflex haben sich die Journalisten da antrainieren lassen, seit die Verlage jedem klargemacht haben, dass ein Minus in der Bilanz nicht mehr hinnehmbar und eine Rendite von unter 15 Prozent der Untergang des Abendlandes ist. Paw­lowschen Hunden gleich sabbern sie, wenn die Glocke des News­tickers klingelt, weil eine Eilmeldung über die Agenturen läuft. Und der Chefredakteur, der im Vergleich zu seinen Untergegebenen noch etwas zu verlieren hat (Ferienhaus in Sylt), treibt sie weiter an. Man darf das jetzt nicht falsch verstehen: Es gibt immer noch brillante Texte und Autoren, nur lebt diese Spezies versteckt in jenem Biotop der Medienlandschaft abseits der Klick-Zahlen, das von den Verlagen gerade ausgetrocknet wird.
Gruner + Jahr stellte die nicht immer nur leuchtende, aber immerhin journalistisch korrekt arbeitende Financial Times Deutschland ein, um sich als Anbieter von Inhalt neu zu erfinden und ein Magazin namens Chefkoch auf den Markt zu bringen, das fast ausschließlich mit kostenlosen Beiträgen aus der Rezepte-Community gefüllt ist. Die Funke-Gruppe, die dem Springer-Konzern gerade die ungeliebten Regionalblätter für eine Rekordsumme abgekauft hat, macht aus ihren Zeitungen Zombie-Publikationen, die ohne Redaktion auskommen. Angesichts dieser Entwicklungen muss man der HuffPo dankbar sein und hoffen, dass sich ihre Ehrlichkeit durchsetzt. Bisher hat sich noch niemand so offen dazu bekannt, ein Billigangebot auf den Markt geschmissen zu haben, damit sich biedere Leserbriefschreiber austoben können. Lustig ist das also ganz und gar nicht.