Der Konflikt im Südsudan

Neuer Staat, alte Konflikte

Im Südsudan gehen die Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppen auch nach der Unabhängigkeit weiter. Eine ethnisierte Wahrnehmung des Konfikts greift allerdings zu kurz.

Im Südsudan droht nur zweieinhalb Jahre nach dessen Unabhängigkeit wieder ein Bürgerkrieg. Seit Mitte Dezember sind bei erneuten Kämpfen mindestens 1 000 Menschen getötet worden, Hunderttausende befinden sich innerhalb des Landes auf der Flucht. Am 14. Dezember hatten in der südsudanesischen Hauptstadt Juba die Kämpfe zwischen Anhängern des im Sommer vorigen Jahres abgesetzten stellvertretenden Präsidenten Riek Machar und Präsident Salva Kiir begonnen. Die jahrzehntelange Rivalität zwischen Machar, einem ehemaligen Kommandanten der südsudanesischen Befreiungsarmee Sudan People’s Liberation Army (SPLA), der mit John Garang zu deren Gründungsmitgliedern zählte, sich aber bereits 1991 das erste Mal mit Garang überworfen und von der SPLA abgespalten hatte, und Kiir, Garangs Nachfolger als Anführer der SPLA, erreichte damit einen neuen Höhepunkt. In westlichen Medien wurden vor allem die ethnischen Hintergründe der beiden rivalisierenden Fraktionen betont. Machar und Kiir gehören verschiedenen großen Bevölkerungsgruppen des Südsudan an, Kiir den Dinka, die etwa 15 Prozent der Bevölkerung des Landes ausmachen, und Machar den Nuer, die mit rund zehn Prozent die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe sind. Während die Dinka in Bahr al-Ghazal im Nordwesten und Westen des Landes dominieren, bilden die Nuer im Zentrum am Nil die Mehrheit.
Bereits während des langen Unabhängigkeitskriegs der SPLA gegen die Regierung in Khartoum kam es immer wieder zu ethnisierten Rivalitäten der beiden Gruppen, die geschickt von der Zentralregierung für ihre eigenen Zwecke benutzt wurden. Mit einer noch von den britischen Kolonialbeamten erlernten Politik nach der Maxime »teile und herrsche« war es bereits 1983 dem ehemals linksnationalistischen, später islamistischen Militärdiktator Gaafar al-Numayri gelungen, die 1972 nach dem ersten Bürgerkrieg zugestandene Autonomie des Südsudan zu beseitigen und diesen in drei Provinzen aufzuteilen. Zusammen mit der Einführung der »Septembergesetze« 1983, Numayris Version der Sharia, hatte er damit allerdings zugleich den Anlass für den Aufstand und die Gründung der SPLA geliefert. Mehrere Spaltungen der SPLA im Zuge des ethnisierten Konflikts wurden vom seit 1989 an der Macht befindlichen islamistischen Militärregime immer wieder genutzt, um Nuer und Dinka gegeneinander auszuspielen. Bereits damals standen Machar und der damalige SPLA-Anführer Garang – wie Kiir ein Dinka – immer wieder auf verschiedenen Seiten.

Eine ausschließlich ethnisierende Wahrnehmung des Konflikts greift jedoch zu kurz, besonders in den derzeitigen Auseinandersetzungen. Zwar hatten sich auch diesmal viele Nuer hinter Machar und viele Dinka hinter Kiir gestellt. Allerdings kam es in den Tagen vor den Kämpfen vermehrt zu Kritik innerhalb der regierenden Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung (SPLM) an Kiir, unter anderem auch von Rebecca Nyandeng de Mabior, der einflussreichen Witwe Garangs, die zu Beginn der Auseinandersetzungen unter Hausarrest gestellt wurde, trotz ihrer Dinka-Herkunft aber eher Machar nahestehen soll.
Für diesen Konflikt innerhalb der SPLM gibt es verschiedene Gründe. Einerseits gibt es politisch-ideologische Differenzen zwischen jenen, die immer noch Garang nahestehen, dessen von linken Vorstellungen beeinflusste Vision von einem »Neuen Sudan« nichts mit dem Separatismus Kiirs zu tun hatte. Garang, der im August 2005 nur drei Wochen nach seinem Amtsantritt als stellvertretender Präsident des Sudan bei einem bis heute ungeklärten Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen war, verfügte auch im Norden des Landes über eine beträchtliche Anhängerschaft. Ihm trauten nach seinem triumphalen Einzug in Khartoum viele Sudanesinnen und Sudanesen zu, der erste frei gewählte Präsident des Sudan aus dem Süden zu werden. Mit dieser Hoffnung war es nach seinem Tod vorbei. Der Autoritarismus des Regimes in Khartoum und der Separatismus von Garangs Nachfolger Kiir trieben den Süden in die Unabhängigkeit. So wurde der Südsudan 2011 in die Unabhängigkeit entlassen, ohne dass der künftige Grenzverlauf mit dem nördlichen Sudan, die Aufteilung der Bodenschätze und die Rechte der südsudanesischen Bürger im Sudan, der nichtarabischen Minderheiten im Norden und der Araber im Süden geklärt worden waren. Weder im Norden noch im neuen Südsudan wurden entscheidende politische und wirtschaftliche Fragen geklärt. Stattdessen geriet der neue Staat in Abhängigkeit von internationalen Hilfsorganisationen und verschiedenen Erdölkonzernen, die in den Fördergebieten in der Nähe der neuen innersudanesischen Grenze Konzessionen hatten.

Kiir errichtete auf der Basis der Hilfs- und Erdölökonomie ein immer autoritäreres System. Anstatt Oppositionelle zu integrieren, krankt auch der Südsudan an Klientelismus, Korruption und einer immer größer werdenden Kluft zwischen Zentrum und Peripherie. Kiir setzte nach Gutdünken Gouverneure ein oder ab und machte sich durch seinen innerparteilichen Führungsstil auch in der alten Dinka-Elite der SPLM Feinde. Ethnisierte Konflikte, nicht nur zwischen Dinka und Nuer, sondern auch zwischen Nuer und Murle, begleiteten den neuen Staat seit seiner Unabhängigkeit.
Im Juli 2013 wurde Machar von Kiir abgesetzt. Wenig später verkündete er, bei den nächsten Präsidentenwahlen gegen Kiir anzutreten. Für eine politische Führung, die es gewohnt ist, in den Kategorien von Loyalität und Feindschaft zu denken, und keine demokratische Politik entwickeln konnte, kam diese Ankündigung einer Kriegserklärung gleich. Am 6. Dezember trat schließlich eine Gruppe von 13 führenden Mitgliedern der SPLM an die Öffentlichkeit, um Kritik am autoritären Führungsstil des Präsidenten zu üben.
Bis dato ist unklar, welche Seite nun am 14. Dezember den ersten Schuss abgefeuert hat. In den folgenden Tagen starben bei Kämpfen in Juba mindestens 500 Menschen, ehe die Gewalt auch auf andere Teile des Südsudan übergriff. Die Hauptstadt der Provinz Jonglei, Bor, fiel in die Hände der Rebellen um Machar. In die seither andauernden Kämpfe um die strategisch wichtige Stadt mischten sich auch Einheiten der seit den neunziger Jahren sporadisch aktiven »White Army«, bestehend aus jungen Nuer, ein. Während die von den Nuer dominierten Gebiete des zentralen Südsudan den Regierungstruppen entglitten, gelang es diesen, die Kämpfe in der Hauptstadt Juba zu gewinnen.
Aus Sicht Kiirs wurde damit ein Putschversuch Machars abgewehrt. Ob es überhaupt ein Putschversuch war, ist hingegen unklar. Genauso undurchsichtig sind bislang die Loyalitäten innerhalb der SPLM. Nicht nur Garangs Witwe Nyandeng de Mabior hat sich von Kiir abgewendet, sondern auch dessen Sohn Mabior Garang, der in ­einem Interview mit der ugandischen Zeitung New Vision Kiir für die Eskalation verantwortlich machte. Die Fronten im gegenwärtigen Konflikt verlaufen damit nicht ausschließlich entlang ethnischer Linien, sondern auch quer zu diesen.
Am Samstag hätten unter äthiopischer Vermittlung erste Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien über eine Beendigung der Kämpfe beginnen sollen, die dann allerdings um einen Tag verschoben wurden. Seit Sonntag verhandeln die beiden Seiten in Addis Abeba. Die Ausgangsposi­tionen vor Verhandlungsbeginn lassen allerdings nicht auf rasche Ergebnisse hoffen. Die Teilung des Sudan hat offenbar nichts an den zentralen Problemen beider Nachfolgestaaten gelöst.