Misstrauen und Hoffnung: Griechenland und die EU

Sparen, bis Tsipras kommt

Das Misstrauen gegenüber der EU ist in Griechenland stark. Die EU-Ratspräsidentschaft hat eher eine symbolische Bedeutung, aber seit der Vorsitzende des Linksbündnisses Syriza zum Kandidaten der Europäischen Linken gekürt worden ist, hoffen viele, dass die europäischen Partner ihre Haltung ändern werden.

Die Popularität der europäischen Führung unter den Bürgerinnen und Bürgern der EU-Länder schwindet rasant. Eine Umfrage des Instituts Gallup für das Jahr 2013 zeigt, dass das Vertrauen in die EU in Griechenland am niedrigsten ist. Lag dieses zu Beginn der Krise, im Jahr 2009, noch bei 60 Prozent, ist es im vergangenen Jahr auf 19 Prozent gefallen.
»Ich glaube nur noch an Europa, weil ich nichts anderes kenne, weil ich mit dieser Vision aufgewachsen bin«, sagt Eleni, eine 40jährige Arbeitslose. Europa sei für sie immer das Gute gewesen, das Griechenland beschützt und geholfen hat. Jetzt sei aber alles anders: »Im Zentrum dieses Gebildes waren einst die Bürger, jetzt sind es die Märkte. Und ich befürchte, dass sich dies nicht ändern wird.« Die europäische Idee wird immer fremder für die griechischen Bürgerinnen und Bürger. Ein geplanter Protestmarsch bei den Feierlichkeiten anlässlich der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft Anfang Januar in Athen wurde sogar verboten.
Den Optimismus, den der konservative Ministerpräsident Antonis Samaras an diesem Tag ausdrückte, teilt Eleni nicht: »Samaras redet von diesem berühmten ›Primärüberschuss‹. Davon merke ich nichts in meinem Alltag. Die Firma, bei der ich arbeitete, hat vor zwei Monaten dicht­gemacht. Mein Chef schuldet mir sechs Monate Gehalt und will die Firma nur unter der Bedingung weiterführen, dass wir eine Lohnkürzung von 50 Prozent akzeptieren«, schildert sie ihre Lage, während sich immer mehr Arbeitnehmer und -nehmerinnen in Griechenland in einer vergleichbaren Situation befinden. Angesichts dessen klingt es zumindest ironisch, wenn Evangelos Venizelos, stellvertretender Ministerpräsident und Vorsitzender der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (Pasok), sagt, Griechenland habe während der EU-Ratspräsidentschaft die Chance, zu beweisen, dass es ein »normales Land« sei. Die Statistiken und Zahlen und der Alltag Tausender Menschen zeigen ein ganz anderes Bild.

Fünf Jahre nach dem Ausbruch der Krise und nach einer Reihe von europäischen »Rettungspaketen« steht Griechenland wieder am Anfang, was den Abbau seines Schuldenbergs angeht. Die Staatsschulden belaufen sich inzwischen auf 320 Mil­liarden Euro. Die Arbeitslosigkeit liegt bei etwa 29 Prozent. Man schätzt, dass 38 Prozent der Gesamtbevölkerung in Armut lebt oder in naher Zukunft leben wird. Das brachte Anfang des Jahres den Spiegel sogar dazu, Griechenland mit Afghanistan oder Pakistan zu vergleichen.
Die Ironie der Geschichte ist, dass gerade jetzt, wo die Ergebnisse der Gläubigerpolitik immer deutlicher werden, Griechenland den Vorsitz im Rat der Europäischen Union innehat. Und das gerade jetzt, wo immer neue Korruptionsskandale aufgedeckt werden, etwa die Schmiergeldaffäre bei Rüstungsprojekten und ein Kreditskandal bei der griechischen Postbank, in die Politiker und Großunternehmen verstrickt sind. Diese Entwicklungen, in Verbindung mit der durch den Sparkurs verursachten, anhaltenden sozialen und wirtschaftlichen Krise, lösen sowohl in Athen als auch im Ausland Alarm aus. Und während die Regierung versichert, ein drittes Hilfspaket vermeiden zu wollen, spricht man in Brüssel über ein Nachfolgemodell der sogenannten Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds, nachdem diese im parlamentarischen Untersuchungsbericht über ihre Rolle als intransparent und nicht demokratisch legitimiert kritisiert worden war.
Noch drastischer äußert sich der bekannte Autor Stavros Lygeros (»Von der Kleptokratie zum Bankrott«). Die Deutschen hätten Griechenland in ihre postmoderne Kolonie verwandelt, meint er: »Offiziell ist Griechenland ein gleichberechtigtes Mitglied der EU, in der Praxis sind jedoch seine Rechte geschrumpft. In Wirklichkeit entscheiden die Deutschen über die wichtigsten Themen und setzen sie mittels der Troika in der griechischen Regierung durch.«
Trotz solcher düsteren Aussichten besteht für viele seit Ende vergangenen Jahres auch eine Hoffnung, und sie heißt Alexis Tsipras. Der Fraktionsvorsitzende des Linksbündnisses Syriza wurde im Dezember zum Spitzenkandidaten der europäischen Linken für das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission ernannt. Tsipras betont immer wieder, dass er Griechenland als Teil der Eurozone sieht. »Unser Ziel ist, die EU zu verändern und sie nicht zerfallen zu lassen«, sagte er jüngst in einem Interview und betonte, der Sparkurs müsse sofort beendet werden und ein EU-Gipfel über die Schulden Griechenlands und anderer Länder einberufen werden. Seine Partei sei Umfragen zufolge derzeit die stärkste Partei Griechenlands. Bei den Kommunalwahlen, die gleichzeitig mit den Europawahlen stattfinden werden, wird Syriza Umfragen zufolge erste Partei in der wichtigen Region Attika sein, in der Athen liegt. Tsipras gilt jetzt sogar bei seinen harten Kritikern als salonfähig, was auch damit zu tun hat, dass unter Umständen gleichzeitig mit den Europa- und Kommunalwahlen auch Parlamentswahlen durchgeführt werden könnten, die vermutlich Syriza gewinnen würde. »Der Europäer Herr Tsipras kehrt zum Realismus zurück«, schrieb am Sonntag die linksliberale und regierungsnahe To Vima auf ihrer Titelseite. »Er glaubt, dass das neoliberale Modell im Bewusstsein der Völker diskreditiert sei und nicht mehr verteidigt werden kann, weil es nur den privilegierten Kasten und Eliten dient.«