Die Rückgabe von Deutschland in Namibia erbeuteter Schädel

Übergabe ohne Publikum

Deutschland hat Namibia erbeutete Schädel aus der Kolonialzeit zurückgegeben – ohne die Opferverbände einzuladen.

Die Schädel liegen in weißen Pappkartons aufgebahrt, die namibische Flagge bedeckt die deutsche Kolonialbeute: Vorige Woche gaben die Berliner Charité und die Universität Freiburg menschliche Überreste an den namibischen Kulturminister Jerry Ekandjo zurück – nach über 100 Jahren. Er nehme die Gebeine der »namibischen Söhne und Töchter mit nach Hause, die abscheulichen Verbrechen zum Opfer gefallen sind«. Diese Gräueltaten würden weltweit als erster Genozid des 20. Jahrhunderts anerkannt, sagte Ekandjo in seiner Ansprache. Er wies damit auf den Vernichtungskrieg der deutschen Armee in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika hin. Zwischen 1905 und 1908 starben unter dem Kommandeur Lothar von Trotha schätzungsweise 80 Prozent der Herero, etwa 80 000 Menschen. Sammler und Soldaten beschafften sich damals Leichenteile, zwangen Verwandte, die Haut und Muskeln der Toten mit Glasscherben zu entfernen oder steckten komplette Köpfe in Formalinkanister und verschifften sie ins Deutsche Reich.
Bis heute fordern die Nachfahren der Überlebenden für den großen Verlust an Menschen, Land und Vieh Reparationen und Entschädigungen von der Bundesrepublik Deutschland und deutschen Unternehmen wie etwa der Deutschen Bank. Die Bundesregierung vermeidet deshalb den Begriff »Genozid«. Die abgetrennten Schädel und vollständigen Skelette seien ins Kaiserreich geschafft worden, um einer rassistischen Wissenschaft dabei behilflich zu sein, die angebliche Minderwertigkeit der Afrikaner zu beweisen, sagte der Minister weiter bei seiner Rede in Berlin.
Inzwischen sind die Knochen der Herero, Nama, San, Damara und Ovambo in Windhuk angekommen. Bei einem Staatsakt mit Präsident Hifikepun­ye Pohamba und über 300 Gästen wurden sie feierlich in Empfang genommen und an das Nationalmuseum übergeben. Einige Opferverbände blieben der Veranstaltung aber demonstrativ fern, etwa die Hälfte der Stühle blieb leer. Sie werfen der deutschen Regierung vor, die Rückführung von Gebeinen »unehrlich und geheim« mit der namibischen Regierung geplant zu haben. Die erste Rückführung aus Berlin 2011 war zu einem diplomatischen Eklat geraten, weil die damalige Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper (FDP), nach ihrer Rede eilig den Saal verlassen hatte – noch bevor die Vertreter der aus 70 Personen bestehenden Delegation verschiedener namibischer Opferverbände und Regierungsvertreter ihre Sicht der Dinge vorgetragen hatten. Utjiua Muinjangue von der Ovaherero and Ovambanderu Genocide Foundation rief ihre Anhänger vorige Woche dazu auf, der Empfangszeremonie fernzubleiben, und sagte der zeitung The Namibian: »Wie kann man uns als bloße Dekoration zu einer hiesigen Veranstaltung einladen, wenn wir von der Planung und Durchführung der Schädelrückgabe ausgeschlossen worden sind?«

Die Umstände der Übergabe sorgten auch in Deutschland für großen Unmut. Es gab keine öffentliche Ankündigung, Vereine wie Berlin Postkolonial, die davon Wind bekommen hatten, machten den Übergabetermin erst publik.
»Es ist ein Skandal, dass die Bundesregierung aus Angst vor Protesten und berechtigten Reparationsforderungen weder die Nachfahren der Opfer des Genozids noch die breite Öffentlichkeit in die Charité eingeladen hat«, kritisiert der in Berlin lebende Herero Israel Kaunatjike. Erst wenige Tage vor der geplanten Übergabe habe er davon erfahren und hatte bis zuletzt keine Zusicherung erhalten, an der Feier teilnehmen zu dürfen. »Ich bin total sauer, aber am Ende durfte ich doch noch Abschied nehmen«, sagt Kaunatjike. Er vermisste allerdings Vertreter der Bundesregierung oder des Parlaments, die beiden Terminen in Freiburg und Berlin ferngeblieben waren.
Besonders störte ihn, dass Minister Ekandjo nicht von einem deutschen Minister in Empfang genommen wurde. Dies zeige, wie wenig Gewicht der Angelegenheit beigemessen werde. Ein Sprecher des Auswärtigen Amts sagte der Nachrichtenagentur DPA, die Bundesregierung komme ihrer Verantwortung durch eine verstärkte bilaterale Zusammenarbeit nach.

»Wir hören nichts als Floskeln, das ist das Problem, das wir haben«, sagt Kaunatjike. »Es ist alle gesagt, Reparationen und Entschuldigung – mehr wollen wir nicht.« Der Minister dagegen sprach von »wahrer Versöhnung« und »Gerechtigkeit«, die in gemeinsamer Anstrengung erreicht werden müssten. Die Deutschen sollten sich mit der Frage auseinandersetzen, wie man vergangene Fehler angemessen anerkennen könne. Ausdrücklich dankte er den Initiativen und Einzelpersonen, die couragiert und beharrlich dabei seien, Licht in die dunklen Kapitel der gemeinsamen Geschichte zu bringen.
Bei der Übergabe der Gebeine entschuldigte sich der Vorstandsvorsitzende der Charité, Karl Max Einhäupl, dafür, »dass hier im Namen der Wissenschaft die Gebote der Menschenwürde verletzt wurden«. Wissenschaftler der Charité haben im Rahmen eines Forschungsprojekts in den vergangenen drei Jahren versucht, die Herkunft der Gebeine und deren Weg in die Berliner Sammlungen nachzuvollziehen – und zwar ohne die Überreste weiter zu beschädigen. Sie hatten rekonstruiert, dass die nun restituierten 21 Objekte in den Jahren 1898 bis 1913 nach Berlin gebracht worden waren. Es handelt sich um die sterblichen Überreste von zwölf Frauen, sieben Männern und zwei Kindern. Nur die Gebeine von fünf Personen lassen sich eindeutig auf die Periode des Kolonialkriegs zwischen 1904 und 1908 zurückführen. Die meisten starben möglicherweise eines natürlichen Todes, manche aber eindeutig als Folge einer Gewalttat. Die Charité hat nun zum vierten Mal menschliche Überreste aus ihren anthropologischen Sammlungen an die Herkunftsstaaten der Opfer restituiert. Neben Namibia gab es Übergaben an Paraguay und Australien. Ob es weitere Rückgaben geben wird, ist derzeit offen. Die historische und biologische Provenienzforschung von ausgewählten Teilbeständen ist jedenfalls seit Ende vorigen Jahres beendet. An der Universität Freiburg hatte der Anthropologe Alexander Ecker Mitte des 19. Jahrhunderts eine Schädelsammlung angelegt, die von dem Arzt und »Rassenhygieniker« Eugen Fischer weitergeführt wurde. Er hatte Kolonialsoldaten und -ärzte animiert, ihm weitere Schädel zu beschaffen, und ließ sogar Gräber ausheben, um an Skelette zu kommen. Über 1 000 Schädel umfasst die Sammlung heute. Auf Bitte der namibischen Regierung hat die Anthropologin Ursula Wittwer-Backofen Teile der Sammlung untersucht und ­14 Schädel identifiziert, die aus Namibia stammen.

»Wir bedauern sehr, dass nicht mehr Institutionen ihre Depots nach menschlichen Überresten aus Namibia durchsucht haben«, sagte Ekandjo bei der Übergabe. Deshalb wolle er noch einmal an die Forderung von Präsident Pohamba erinnern, dass alle deutschen Institutionen, insbesondere die Museen, ihre Sammlungen überprüfen sollen.
»Wir sind uns sicher«, so Mnyaka Sururu Mboro vom Verein Berlin Postkolonial, »dass in Berlins Sammlungen auch zahlreiche Gebeine und heilige Objekte tansanischer Herkunft zu finden sind – selbst wenn die Stiftung Preußischer Kulturbesitz bisher nicht zu einem diesbezüglichen Gespräch bereit war.« Das heutige Tansania war wie Namibia eine deutsche Kolonie. Mboro ist verärgert über die Arroganz der Museen, die eigentlich verpflichtet seien, Rückgabeverhandlungen selbst zu initiieren.
Wissenschaftler, die im Rahmen des »Charité Human Remains Project« Teilbestände der über 800 Schädel zählenden Sammlung erforscht haben, gehen davon aus, dass allein in Berlins Museen über 10 000 Objekte menschlicher Überreste lagern. Manche davon, etwa Gehirnpräparate, seien sogar Gegenstand aktueller Forschungsfragen gewesen.