Arbeitskämpfe in China

Wo der Schuh drückt

Zehntausende Beschäftigte des chinesischen Konzerns Yue Yuen sind in den Streik getreten.

Das hat es seit der Streikwelle in Südchina im Frühjahr 2010 nicht mehr gegeben: In den Schuhfabriken des Konzerns Yue Yuen beteiligen sich seit voriger Woche in der Stadt Dongguan etwa 30 000 Arbeiter an einem Streik. Auf einem von der BBC veröffentlichten Video ist zu sehen, wie Tausende Arbeiter auf den Straßen demonstrieren. Es soll mehrfach zu Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen sein, die in China bei Streiks vor allem eingreift, wenn Arbeiter öffentlichen Raum für Proteste nutzen. Die Streikenden werfen dem Konzern vor, sich nicht an die gesetzlichen Vorschriften für die Abführung der Sozialabgaben zu halten und den Beschäftigten ihre Sozialleistungen vorzuenthalten. Einem Unternehmenssprecher zufolge ist angeboten worden, die Leistungen im Laufe des nächsten Jahres auszuzahlen. Da Yue Yuen schon Teile der Produktion nach Vietnam, Indonesien und in den billigeren Westen Chinas verlagert hat, fürchten die Arbeiter jedoch, dass sich die Firma aus dieser Verantwortung stehlen könnte.

Yue Yuen Industrial ist im Westen fast unbekannt, nach eigenen Angaben aber der größte Zulieferer für Markenschuhe. Adidas, Nike, Puma, Convers, Reebok und andere westliche Konzerne lassen von der Firma produzieren. Weltweit soll Yue Yuen über 400 000 Mitarbeiter haben, davon allein 60 000 in Dongguan. Kontrolliert wird das Unternehmen von der taiwanesischen Familie Tsai. Als Mitglied dieses Clans besitzt Tsai Wan-Tsai dem Magazin Forbes zufolge ein Vermögen von 7,7 Milliarden US-Dollar.
Die chinesische Regierung versucht seit Jahren, ein landesweites Netz von Sozialversicherungen aufzubauen. Da in der Vergangenheit die Ansprüche an den Arbeitsplatz sowie den Ort der Haushaltsregistrierung gebunden waren, hatten viele mobile Arbeitskräfte nicht die Hoffnung, Leistungen beziehen zu können. Noch immer gibt es keine allgemeine Pflichtversicherung, für Stadt- und Landbevölkerung existieren unterschiedliche Programme, deren Leistungen stark variieren.
Nach Angaben von Kevin Slaten von der NGO China Labor Watch haben Gesetzesänderungen Hoffnungen bei den Arbeitern geweckt, auch nach einem Wechsel des Arbeitsplatzes Sozialleistungen beziehen zu können. Ihr Rechtsbewusstsein sei gestiegen. Experten wiesen darauf hin, dass sich in China Protestierende eher auf bestehende nationale Gesetze berufen, als universelle Rechte oder gar die Zulassung von unabhängigen Gewerkschaften zu fordern. Mit dem Hinweis auf die Zentralregierung sollen Kader oder Unternehmer vor Ort unter Druck gesetzt werden. Die Protestierenden versuchen sich so vor dem Vorwurf zu schützen, einen Umsturz zu planen.

Die seit Jahren angekündigte Reform der staatlichen Gewerkschaften ist kaum vorangekommen, weshalb der über soziale Netzwerke selbstorganisierte Streik als die effizienteste Methode der Interessensvertretung erscheint. Ein Streikrecht gibt jedoch nicht, wer als »Rädelsführer« ausgemacht wird, muss mit Haftstrafen rechnen. Bei der Streikwelle von 2010 ging es in erster Linie um die Erhöhung der Löhne, die Arbeiter scheuten sich in den meisten Fällen jedoch, das Betriebsgelände zu verlassen. Es könnte sich im Fall der Straßenproteste in Dongguan um eine neue Qualität der Streikkultur handeln.
Die Stadt mit über acht Millionen Einwohnern ist nicht mehr nur eine endlose Aneinanderreihung von Fabriken. Die lokale Regierung setzt verstärkt auf Handel. Mit der New South China Mall soll gar das größte Einkaufszentrum der Welt errichtet worden sein. Anfang April versuchte die Polizei mit Massenverhaftungen, die über 2 000 Bordelle, Saunas und Unterhaltungsetablissements zu schließen. Die Industriemetropole hat sich im Zuge der globalen Finanzkrise und der damit verbundenen Werksschließungen zu Chinas »Sexhauptstadt« entwickelt. Das Staatsfernsehn CCTV zeigte zur Hauptsendezeit Gesichter von verhafteten Bordellbetreibern, Freiern und Sexarbeiterinnen, um sie öffentlich an den Pranger zu stellen. Wie die Staatsführung nun mit den streikenden Arbeitern von Dongguan umgehen wird, ist noch unklar.