Die Graphic Novel »Der salzige Fluss«

Reif für die Wüste

Der Hamburger Illustrator Jan Bauer erzählt in seiner Graphic Novel »Der salzige Fluss« eine Liebesgeschichte aus dem Inneren Australiens.
Von

Schau! Das volle Programm: Couscous, getrocknete Anchovis, Pfannkuchen-Pulver, Spaghetti, Müsliriegel, Reis, Kaffee …« 
Jan aus Deutschland und die Französin Morgane haben sich erst
vor wenigen Stunden kennengelernt. An einem ziemlich unwirtlichen Ort. Der Larapinta Trail führt auf mehr als 200 Kilometer von Alice Springs zum Mount Sonder und zu den roten Felsen der Redbank Gorge. Wer hier wandern will, schickt lieber eine Kiste voller Nahrungsmittel voraus. Sonst hat er schwer zu schleppen. Oder nichts dabei, um einer Reisbekanntschaft zu imponieren.
Alice Springs ist auf jeder Karte von Australien verzeichnet, und nicht selten auch auf Weltkarten, obwohl die Stadt nur 25 000 Einwohner hat. Im Red Centre, einer Halbwüste im aus­tralischen Outback, gibt es eben keine größeren Städte. Das Outback des Northern Territory zeichnet sich durch kilometerlange Sanddünen aus. Wenn hier außerhalb der kurzen Regenzeit überhaupt etwas wächst, dann die äußerst robusten Stachelkopfgräser. Zum Symbol dieses unwirtlichen Teils der Welt wurde der Finke River, der salzige Fluss. Bis zu 750 Kilometer lang, entsteht er jedes Jahr zur Regenzeit aufs Neue. Um jedes Jahr irgendwo in der Wüste zu versickern. Wer sich hier nicht einfach von seinem Guide zu einem Campingplatz fahren lässt, sondern den drei Wochen Wanderschaft erfordernden Larapinta Trail zu Fuß mit seinem Rucksack bezwingen will, sollte ein erfahrener Wanderer sein. Oder einen triftigen Grund haben. Auf Jan Bauer, der im Avant-Verlag seine Graphic Novel »Der salzige Fluss« veröffentlicht hat, trifft beides zu.
Bauer wurde 1976 in Preetz/Schleswig-Holstein geboren. Er studierte Illustration an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg und Animation am Queensland College of Arts in Brisbane. Seit 2002 ist Bauer als freier Illustrator und Designer tätig, arbeitet zuweilen als Dozent für Trickfilm und Illustration, wirkt aber auch immer wieder an Trickfilmproduktionen mit. Seine bekannteste Arbeit ist das Storyboard für die Serie »Prinzessin Lillifee« von 2012.
Wenn es der vielbeschäftigte Mann trotz der ganzen Schufterei doch einmal schafft, den Zeichenstift beiseitezulegen, zieht es ihn immer wieder in Gegenden wie das Red Centre Aus­traliens.
Bauer tut gar nicht erst so, als ob die Geschichte seines Graphic-Novel-Debüts nicht autobiographisch wäre. Der Wanderer in der Wüste heißt Jan und sieht aus wie Jan Bauer, was auf dem Autorenfoto leicht nachzuprüfen ist. Eventuell hat der Zeichner sich für den Comic einen etwas dichteren Stoppelschnitt gegönnt, als er ihn im wahren Leben hat, aber wer eine Liebesgeschichte in einer Wüste mit bis zu 40 Grad Temperaturschwankungen innerhalb von 24 Stunden erzählt, dem sollte man die Wahl der bestpassenden Frisur nicht ankreiden.
Jan, der Wanderer, hat sich auf den Weg gemacht, um über eine unglückliche Liebe hinwegzukommen. Obwohl er zur Zeit der Wanderung 35 Jahre alt ist, gab es in seinem Leben bis dahin nur zwei Frauen. Eine, die ihn durch sein Leben begleitete, seitdem er 17 war. Er dachte, dass es für immer sei. Sie eigentlich auch. Bis vor zwei Jahren ein Neuer auftauchte. Auch Jan versuchte es mit einer anderen Partnerin. Doch die Sache hielt nicht lange. Dann fühlte er sich reif für die Wüste. Um wochenlang zu wandern, sich selbst zu finden und vor allem, um ganz allein zu sein.
Klar, dass so etwas in einem Roman nicht klappt.
Als Jan die Frau trifft, die seine Pläne durcheinanderbringt, sieht er gerade ziemlich bescheuert aus. Er befindet sich in einem von Fliegen heimgesuchten Gebiet. Um die abzuwehren, hat er Grashalme ausgerupft und sich als eine Art Schleier unter den Hutrand geklemmt. Das wirkt zwar, hat aber noch nie einen Mann geschmückt, der von einer 23jährigen Französin namens Morgane angelächelt wird.
»Und woer kommst du geradö?« fragt sie in einem Akzent, den sich zuletzt Uderzo und Goscinny Ausländern anzuhängen trauten, wenn diese Asterix und Obelix auf ihren Reisen trafen.
Nach einer gemeinsamen Tasse Tee bekennt Jan: »Ich bin halt gern allein.« Morgane senkt ein wenig den Kopf: »Ach so. Dann gehe ich mal wieder.«
Natürlich bemerkt er schon nach kurzer Zeit, dass er einen Fehler gemacht hat. Da Morgane ihm ihr nächstes Etappenziel genannt hat, einen Campingplatz mit Dusche und Kiosk, eilt Jan ihr nach. Vorbei an Dünen, trockenen Bäumen, am Horizont auftauchenden Berggipfeln. Der Zeichner Jan Bauer hat sich in Interviews als »Landschaftsmaler« bezeichnet. Tatsächlich fragt man sich als Leser immer wieder, von welchen Fotos er seine imponierenden Landschaftsaufnahmen wohl durchgepaust hat. Doch spätestens nach einem Besuch auf Bauers Blog »Der Weltenbauer« und den dort dokumentierten Gemälden stellt sich heraus: Der Mann kann das einfach.
Am Campingplatz hat Morgane insgeheim auf Jan gewartet. »IHR! Ihr sind die Wanderer!« winkt sie ihn heran.
Von da an setzen sie ihre Wanderschaft gemeinsam fort. Besonders interessant ist die Geschichte allerdings nie. Locken, blocken, nachgeben vor wunderschöner Landschaft eben. Man teilt sich das Zelt in kalter Nacht, man schwimmt zusammen im See an einem heißen Tag. Eine Liebesgeschichte, die nur sechs Tage Zeit hat. Am Ende des Trails warten nämlich zwei französische Freunde auf Morgane, um sie mit dem Auto in ganz andere Teile des Landes mitzunehmen.
Was Morgane macht, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, erfährt der Leser nie. Auch sie hat wie Jan zwei Beziehungen hinter sich, ist 23 Jahre alt und auf der Suche nach ihrem Traummann.
Der aber kann Jan nicht sein, weil er zu chaotisch ist. Das sagt sie ihm unverblümt, während sich das Paar in einer Bar beim Billardspiel betrinkt. Immerhin gibt es beim Weiterwanken den schönsten Dialog des Romans zu lesen.
»Spin kanschön btrunkten.«
»Schauch. Schwarerst drei oder vier Mal btrunkön.«
»Echt?«
Als am nächsten Tag die Freunde von Morgane eintreffen, versteht Jan nur noch »Tableau chanson portemonnaie?« Oder so ähnlich. Und am nächsten Tag ist sie weg. Nur einen Brief lässt sie zum Abschied zurück.
»Der salzige Fluss« ist ein nettes Buch. Was ihm fehlt, ist eine zweite Ebene, die die Welt, ­in der die Geschichte spielt, spürbar werden lässt. Etwa die der Aborigines. Wie in »Australia« mit Nicole Kidman und Hugh Jackman, der neulich wieder im Fernsehen lief. Auf ein weiteres Werk von Jan Bauer kann sich der Leser dennoch freuen.

Jan Bauer: Der salzige Fluss. Avant-Verlag, Berlin 2014, 236 Seiten, 19,95 Euro