Sara García im Gespräch über das Abtreibungsverbot in El Salvador

»Die Reiche reist aus, die Arme verblutet«

El Salvador zählt zu den Ländern, in denen ein Schwangerschaftsabbruch unter allen Umständen verboten ist. Das absolute Abtreibungsverbot hat in dem mittelamerikanischen Land sogar die Kriminalisierung von Frauen zur Folge, die eine Fehlgeburt erlitten haben. Die Kampagne »Die 17« fordert nun die Begnadigung von 17 Frauen, die deswegen zu Gefängnisstrafen zwischen 30 und 40 Jahren verurteilt wurden. Die Initiatorinnen wollen außerdem eine allgemeine Debatte um die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs anstoßen. Mit der Feministin und Aktivistin Sara García, die jeden Mittwoch ein Radioprogramm zum Thema moderiert, sprach die Jungle World über die rigide Gesetzgebung in El Salvador und deren Folgen für betroffene Frauen.

17 Frauen sind in El Salvador derzeit wegen Abtreibung in Haft. Was haben diese Frauen gemeinsam?
Alle kommen aus extremer Armut und sind daher gesellschaftlich ausgeschlossen, alle verfügen über eine sehr geringe formale Bildung. Sprich, es sind Frauen, die sich gegen Verletzungen ihrer Menschenrechte kaum wehren können. Bei allen wurde der Straftatbestand Abtreibung, aufgrund dessen sie festgenommen wurden, im laufenden Gerichtsprozess nachträglich in »Mord« umgewandelt. Ihre Kriminalisierung ist Folge der gegenwärtigen Gesetzgebung, die 1998 in Kraft trat. Demnach ist jeglicher Schwangerschaftsabbruch verboten, selbst wenn der Fötus nicht lebensfähig ist, das Leben der Frau in Gefahr ist oder die Schwangerschaft aus einer Vergewaltigung hervorgegangen ist.
Wie kam es zu dieser Gesetzesverschärfung?
Die Reformen wurden von fundamentalistischen Gruppen angeregt und durchgesetzt. Die ultrarechte Organisation der katholischen Kirche, Opus Dei, setzte Schwangerschaftsabbruch mit Mord gleich und führte vor der Abstimmung über die neue Gesetzgebung eine flächendeckende Kampagne für die Kriminalisierung von Abtreibungen durch. Damit blendeten die Fundamentalisten die Lebensrealität jeder einzelnen Frau in El Salvador aus, die dieses Gesetz betreffen könnte. In vielen Ländern Lateinamerikas zieht der Opus Dei mit seiner religiösen, wirtschaftlichen, politischen und medialen Macht gegen Schwangerschaftsabbrüche zu Felde. Heute kriminalisiert der Paragraph 133 des salvadorianischen Strafgesetzbuchs sowohl die Frau, die abtreibt, als auch den Arzt oder die Ärztin, der oder die die Abtreibung vornimmt.
Wer zeigt die Frauen an?
Ausgehend von dem absoluten Abtreibungsverbot hat sich eine repressive Praxis entwickelt, in der die öffentlichen Krankenhäuser eine maßgebliche Rolle spielen. In privaten Kliniken, die natürlich Frauen mit einem gewissen Einkommens- und Bildungsstatus vorbehalten sind, scheinen diese Fälle anders geregelt zu werden. Es existiert dort nicht wie in öffentlichen Kliniken die inquisitorische Logik, nach der eine Frau, die nach einer Fehlgeburt ins Krankenhaus kommt, grundsätzlich der Abtreibung bezichtigt und dementsprechend verhört wird: Was haben Sie getan? Haben Sie abgetrieben? Wo ist das Baby? In allen Fällen, die wir untersucht haben, spielen eine Menge Mythen und antiquierte Frauenbilder eine Rolle. So wird immer wieder unterstellt, dass die Frau ihr Kind hätte retten können, auch wenn sie selbst über keinerlei Erste-Hilfe- oder medizinische Ausbildung verfügt; sogar, wenn sie selbst ohnmächtig wurde oder zu verbluten drohte. Die Polizei wird gerufen, auch wenn es medizinisch gar keine Hinweise auf einen vorsätzlich herbeigeführten Abbruch gibt. Es ist vielmehr das Profil der Frauen, das das Krankenhauspersonal sie als »verdächtig« einstufen lässt. Stets sind es sehr arme, oft junge Frauen ohne einen festen Lebens-partner. Es wird vorausgesetzt, dass diese im Fall einer Schwangerschaft abtreiben wollten.
Die »Bürgerschaftliche Vereinigung für eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs«, bei der Sie arbeiten, hat im November vergangenen Jahres einige besonders krasse Fälle vor die Kommission des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs gebracht.
Ja, wir haben beispielsweise im Fall von Manuela eine Anzeige wegen grausamer und unmenschlicher Behandlung gegen den salvadorianischen Staat gestellt. Manuela war in der Haft verstorben. Genau wie die 17 Frauen, für deren Begnadigung wir heute eintreten, hatte sie eine Fehlgeburt gehabt, zuhause, fernab jeglicher medizinischer Unterstützung. Die diensthabende Ärztin, die ihren Fall bei der Einlieferung ins Krankenhaus übernommen hatte, hatte zu den Akten gegeben, dass es eine Abtreibung gewesen sei. Die Tatsache, dass sich Manuelas Ehemann in den USA aufhielt, war für sie Beweis genug, dass das Kind aus einem Ehebruch herrührte und Manuela sich seines entledigen wollte. Manuelas spätere Verurteilung zu 30 Jahren Haft beruhte einzig und allein auf der Annahme dieser Ärztin.
Warum starb Manuela im Gefängnis?
Es stellte sich heraus, dass sie an Lymphknotenkrebs erkrankt war. Doch sie hatte nur Schmerztabletten gegen die Symptome bekommen. Es liegt auf der Hand, dass auch die Fehlgeburt auf den Krebs zurückzuführen war. Die letzten beiden Jahre ihres Lebens verbrachte Manuela im Gefängnis, getrennt von ihren beiden Kindern, denn ihre Familie hatte kaum Geld, um sie zu besuchen. Erst nach ihrem Tod wurden wir auf den Fall aufmerksam und begannen, ihn zu rekonstruieren. Dabei stießen wir auf gravierende Verfahrensfehler und Unmenschlichkeiten. Manuela wurde im Gefängnis nur sehr unregelmäßig zur Chemotherapie gebracht. Es stellte sich heraus, dass die Polizei den Vater Manuelas die Strafanzeige hatte unterschreiben lassen, obwohl dieser weder Lesen noch Schreiben kann. Die Familie hofft auf den posthumen Freispruch ihrer als Mörderin angeklagten Tochter und Mutter. Auch wenn wir ihren Angehörigen erklärt haben, dass es bis zur Urteilsverkündung vor dem Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof noch ein langer Prozess ist.
Der Fall Beatriz machte vergangenes Jahr auch international Schlagzeilen.
Ja, auch ihren Fall haben wir auf interamerikanischer Ebene angezeigt. Beatriz leidet an einer seltenen Autoimmunerkrankung. Bei einem ihrer regelmäßigen Krankenhausbesuche wurde eine Schwangerschaft festgestellt. Untersuchungen ergaben, dass der Fötus kein Gehirn hatte. 82 Tage lang wurde es Beatriz verweigert, eine Abtreibung vorzunehmen, obwohl feststand, dass das Kind nicht überleben würde, und ihr eigenes Leben akut durch die Schwangerschaft in Gefahr war. Den Ärzten fehlte jedoch die rechtliche Handhabe, eine Abtreibung durchzuführen, ohne sich selbst strafbar zu machen. Knapp drei Monate lang musste Beatriz fürchten, dass ihr erstes Kind ohne Mutter aufwachsen würde. Sie war damals sehr frustriert und verzweifelt. Es war ein Lauf gegen die Zeit.
Welche gesellschaftlichen Kräfte standen in El Salvador dem Schwangerschaftsabbruch in diesem dramatischen Fall entgegen?
Die Bischofskonferenz gab ein Schreiben heraus, in dem sie dazu aufrief, in allen Messen im ganzen Land zu verkünden, dass Abtreibung Mord sei. Die Leute von Opus Dei gingen so weit, Beatriz einen Korb mit Babykleidung zu schicken. Das grenzte an psychische Folter. Sie ignorierten vollkommen die Tatsache, dass das Baby, für das sie Häubchen schickten, kein Gehirn hatte. Wir haben schließlich Rechtsmittel vor dem Obersten Gerichtshof einlegen können. Das Kind wurde im 5. Monat der Schwangerschaft mit einem Kaiserschnitt auf die Welt geholt. Es überlebte nur wenige Stunden.
Der Oberste Gerichtshof wird nun auch die Instanz sein, die über die Begnadigung der 17 Frauen entscheidet.
Gleichzeitig stellen die Obersten Richter und Richterinnen das größte Hindernis dafür dar. Einer der Obersten Richter hat kürzlich einen Vortrag an der Zentralamerikanischen Universität UCA gehalten. Darin betitelte er ungeborene Babys als eine der drei verletzlichsten Gruppen im Land. Dass marginalisierte Frauen ebenfalls eine in ihren Rechten sehr verletzliche Gruppe darstellen, kam ihm anscheinend nicht in den Sinn. Ein Richter, der eigentlich objektiv Recht über den Fall sprechen sollte, ist also ein aktiver Abtreibungsgegner. Eine sehr schwierige Situation.
Wann ist mit einem Urteil des Obersten Gerichtshofes zu rechnen?
In den nächsten Monaten, hoffen wir. Solange ist es wichtig, einen so hohen gesellschaftlichen Druck mit der Kampagne zur Freilassung der 17 Frauen zu erzeugen, dass der Oberste Gerichtshof sich diesem beugen muss. Auf unserer Facebook-Seite veröffentlichen wir Fotos, die uns Menschen aus aller Welt senden, die sich mit einer Blume für »Die 17« fotografieren lassen. Am 1. Juli gab es erneut eine Demonstration in San Salvador und Solidaritätskundgebungen in verschiedenen Ländern. Nur wenige Tage vorher fand allerdings auch eine Demonstration von Abtreibungsgegnerinnen statt, angeführt von der Kolumnistin Regina de Cardenal Sol, einer Protagonistin des Opus Dei, die aus einer der reichsten Familien des Landes kommt.
Welche Gruppen unterstützen die Kampagne für »Die 17« in El Salvador?
Die Kampagne geht mittlerweile weit über die feministischen Gruppen hinaus, die sie initiiert haben. Sie wird von Gemeinderadios unterstützt, von Gewerkschafterinnen, Menschenrechtsgruppen, vom Verein Equipo Maíz, der populäre Bildungsmaterialien erstellt, und sogar die protestantische Kirche ist mit dabei. Außerdem Gruppen sexueller Diversität, Lesben und Transsexuelle, auch organisierte Arbeitslose und Studierende. Wir können keine Massen stellen, die die Straßen füllen, aber es ist auch kein kleiner Zirkel mehr. Wir hoffen, eine allgemeine Debatte um die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in El Salvador anzustoßen.
Wie steht die wiedergewählte Regierung der ehemaligen Guerilla FMLN dem Thema gegenüber?
Die FMLN ist eine linksgerichtete Regierung, die für Forderungen aus der Zivilgesellschaft ein offenes Ohr hat. Es gibt jedoch keine Abgeordneten, die sich klar für Schwangerschaftsabbrüche aussprechen. Sie halten immer wieder an dem Vorwand fest, dass sie doch gerade im Wahlkampf seien. Sie fürchten die politischen Kosten. Währenddessen werden Frauen weggesperrt oder sterben an den Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen, die unter lebensbedrohlichen Umständen durchgeführt werden. Wer gegen die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ist, nimmt diese Folgen in Kauf. Denn allen Gesetzen zum Trotz werden jährlich in El Salvador schätzungsweise 35 000 Abtreibungen vorgenommen. Eine Kriminalisierung befördert die Ungleichheit in der Gesundheitsversorgung. Die Reiche reist außer Landes, die Arme verblutet. Wir glauben, dass es so nicht weitergehen kann. Wir müssen eine wissenschaftliche, ethische Diskussion beginnen, die von der Religion losgelöst ist. Uns ist aber auch bewusst, dass der Kampf um einen legalen Schwangerschaftsabbruch langwierig ist. In aller Welt müssen erzielte Erfolge immer wieder verteidigt werden – wie gerade in Spanien zu sehen ist.