Der Umgang mit dem ersten offen schwulen US-Footballspieler Michael Sam

Ein schwuler Cowboy

Michael Sam, der erste offen schwule Footballspieler in der NFL, wurde zunächst von den Rams gefeuert und dann von den Dallas Cowboys verpflichtet.

Wer als 249. Spieler gedraftet, also von einem US-amerikanischen Football-Verein vorläufig unter Vertrag genommen wird, beginnt seine neue Karriere normalerweise weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Während live im Fernsehen übertragen wird, wie die Superstars, die in den ersten Draft-Runden ausgewählt werden, auf der Bühne ihre neuen Trikots in Empfang nehmen und mehr oder weniger enthusiastische kurze Reden halten, sitzt das Gros der Aspiranten auf eine Football-Karriere zu Hause vor dem Telefon und wartet darauf, vom neuen Team verpflichtet zu werden. Wer nicht gerade als Letzter ausgewählt wird – als Draftpick Nummer 256 erhält man neben einem Vertrag den wenig schmeichelhaften Titel »Mister Irrelevant«, eine Reise nach Disney World und viel Medienaufmerksamkeit –, ist bei der großen Draftshow nur als Foto präsent.
Bei der diesjährigen Show wurde die 249. Verpflichtung jedoch zum Spektakel: Ein Kamerateam übertrug live aus dem Wohnzimmer des Spielers, wie er jubelte – und anschließend seinen Lebensgefährten küsste. Michael Sam hatte sich kurz zuvor öffentlich als schwul geoutet, als erster aktiver Footballspieler überhaupt. Die NFL reagierte eindeutig: Man empfange ihn mit offenen Armen, hieß es in einem Statement, zudem wurden einige Spieler, die sich negativ über Schwule geäußert hatten, exemplarisch bestraft.
Sam war von Anfang an kein Kandidat für einen frühen Draftpick, darüber waren sich die meisten Experten einig. In seinem Collegeteam Missouri Tigers hatte Sam sich schon im August 2013 intern geoutet und anschließend eine erfolgreiche Saison absolviert, aber seine Leistungen beim jährlichen Combine – bei dem die für die Draft gemeldeten Collegespieler in Disziplinen wie 40 yards dash, three cone drill, vertical jump und Bankdrücken ihre Eignung als Profispieler unter Beweis stellen – waren durchwachsen. Es stellte sich sogar die Frage, ob er überhaupt gedraftet würde. Denn auch wenn er in seinem letzten Collegejahr als »SEC Co-Defensive Player of the Year« ausgezeichnet worden war, gab es doch noch ein weiteres Problem: Er ist ein sogenannter Tweener, eigentlich zu klein und leicht für einen Defensive End im Profibereich, und doch wieder zu schwer und nicht agil genug, um auf der Position des Outside Linebackers zu spielen.
Gedraftet wurde Michael Sam dann schließlich in der siebten und letzten Runde. Die St. Louis Rams schrieben mit seiner Verpflichtung zum zweiten Mal Football-Geschichte: 1946 hatten die Rams mit Kenny Washington den ersten schwarzen Spieler des American Football unter Vertrag genommen. Sam bot das Team allerdings keinen idealen Start in die Profikarriere, denn die Rams sind bei den Defensive Ends mit zwei Spielern, die letzte Saison im Pro-Bowl spielten, sehr gut besetzt. Und so kam es, dass Sam nach dem Trainingscamp und trotz vier guter Leistungen in den Pre-Season-Spielen bei den Nominierungen für den 53 Spieler zählenden endgültigen Kader der Rams nicht berücksichtigt wurde. Coach Jeff Fisher lobte ihn sogar: »Er ist ein guter Football-Spieler.« Und fügte hinzu: »Er kann in der NFL spielen.« Daraufhin galt es eigentlich als sicher, dass Sam für das Practice Squad von St. Louis verpflichtet werden würde – wenn nicht ein anderes Team ihn vorher in den Kader aufnehmen wollte.
Die zehn Spieler umfassenden Practice Squads sind dazu da, junge Spieler an das jeweilige Team heranzuführen. Sie nehmen am Training teil, dürfen aber nicht bei den Spielen eingesetzt werden – es sei denn, sie werden doch noch für den Hauptkader unter Vertrag genommen. Und das passiert in einer Footballsaison nicht selten, zum Beispiel wenn Verletzungen den ursprünglichen Kader ausdünnen.
Doch die Rams nahmen Sam auch nicht für das Practice Squad unter Vertrag. Man brauche für das Training Spieler auf anderen Positionen, hieß es. Michael Sam reagierte auf Twitter gelassen auf den Rausschmiss – wohl auch, weil er es gewohnt ist, mit schwierigen Situationen umzugehen. Als Kind war er Augenzeuge, als einer seiner älteren Brüder an einer Schussverletzung starb, ein anderer Bruder wird seit 1998 vermisst. Zwei weitere Brüder sind im Gefängnis; bei der Verhaftung des einen bekam auch der kleine Michael eine Ladung Pfefferspray ins Gesicht. Zeitweilig lebte er mit seiner Mutter im Auto, weil die Familie obdachlos geworden war. Seinen großen Traum, Footballspieler zu werden, unterstützte sie nicht, so dass Sam eine Zeit lang lieber bei den Eltern eines Klassenkameraden lebte als bei ihr.
Wie seine Familie dazu steht, dass er schwul ist, ist unklar. Sams Vater beteuert mittlerweile, er sei mit negativen Bemerkungen von der New York Times falsch zitiert worden, während die Zeitung behauptet, lediglich das geschrieben zu haben, was er auch gesagt habe. Sein inhaftierter Bruder Josh sagte dagegen in einem Interview: »Ich bin stolz darauf, dass er nicht so geworden ist wie ich. Ich liebe ihn, egal wie er lebt.«
Für Sam und seinen Lebensgefährten Vito Cammisano, der an der University of Missouri im Schwimmteam war, wurde das Leben nach dem Rausschmiss durch die Rams zunächst ziemlich stressig. In den US-Medien wurde wild spekuliert, ob überhaupt ein Team an dem Spieler Interesse habe, gleich mehrere Trainer erklärten, alleine schon wegen des Medienzirkus würden sie ihn nicht verpflichten – US-Talkshow-Star Oprah Winfrey hatte eine Reality-Show mit Michael Sam angekündigt, die sein erstes Jahr in der Liga dokumentiert.
Für die Practice Squad unter Vertrag genommen haben Michael Sam am Ende die Dallas Cowboys. Auch wenn das Journalistenaufkommen beim ersten öffentlichen Training etwas höher war als gewohnt, ist das doch ein passender Club für Sam. Denn bei »America’s Team« ist der ganz große Medienzirkus Programm: Hier ist Michael Sam nur eine Nebenattraktion, kann sich ganz auf seine Entwicklung als Footballspieler konzentrieren und sich so einen Platz auf dem Feld bei Spielen erarbeiten. Noch dazu gilt hier die Defensive Line – wenn nicht gleich die ganze Defense – als eine, die jede Hilfe eines guten Spielers gebrauchen kann. So ist es auch glaubhaft, wenn Cowboys-Besitzer Jerry Jones versichert, nicht von der NFL darum gebeten worden zu sein, Sam zu verpflichten. (Einige Team-Besitzer hatten berichtet, von der Liga angerufen und gebeten worden zu sein, den Spieler aufzunehmen.) »Es ist kein Geheimnis, dass wir Pass Rusher und Defensive Linemen brauchen«, sagte Jones.
Die meisten Football-Trainer bescheinigen Michael Sam großes Potential. Man möge seinen Arbeitseinsatz, seine Wendigkeit, seine Schnelligkeit, heißt es. Nun müsse er in Ruhe trainieren und sich entwickeln. Diese Ruhe scheint schneller eingetreten zu sein als erwartet: Die mediale Begeisterung über den ersten offen schwulen NFL-Spieler ist weitgehend abgeflaut. Skandale um einen Spieler, der seine Freundin bewusstlos schlug und um einen weiteren, der sein kleines Kind mit einem Stock prügelte, beherrschen nun die Schlagzeilen.