Der Mangel an Wohnraum für Studenten in Göttingen

Kein Zimmer frei

Das Semester hat begonnen und in der Universitätsstadt Göttingen mangelt es an Wohnraum. Das Studentenwerk hat Übernachtungen auf Feldbetten im Angebot.

Das Thema ist altbekannt. Mit Beginn des neuen Wintersemesters kommen jeden Herbst einige tausend Studienanfänger in die Universitätsstadt Göttingen und geben den Startschuss für die alljährliche Wohnraumdebatte. Universität und Studentenwerk haben es über Jahre verpasst, ausreichend neue Wohnheimplätze für den wachsenden Ansturm von Studierenden zu schaffen, so dass ein WG-Zimmer in der Stadt inzwischen schwer zu finden und kaum zu bezahlen ist. Die Mietpreise liegen deutlich über dem Bundesdurchschnitt und sind in den vergangenen Jahren gestiegen wie in kaum einer anderen deutschen Stadt.

Die prekäre Wohnraumsituation hat in Göttingen eine ebenso lange Tradition wie die Auseinandersetzung zwischen Studierenden und dem Studentenwerk darüber. Bereits in den siebziger Jahren wurden die ersten Häuser besetzt, von denen einige dann im Rahmen des »Göttinger Modells« legalisiert wurden und vom Studentenwerk bis heute an die Bewohner vermietet werden. Seit diese im Sommer 2012 über Umwege davon erfahren hatten, dass die Zukunft ihrer Häuser unsicher ist, gehen sie an die Öffentlichkeit. In der Taz mussten sie schließlich lesen, dass Jörg Magull, Geschäftsführer des Studentenwerks, aus wirtschaftlichen Gründen am Erhalt der kleinen Wohnheime »nicht mehr interessiert« sei. Sie gründeten die Wohnrauminitiative, die seither mit Unterstützung aus der linken Szene und aus verschiedenen Hochschulgruppen als Interessenvertretung der Wohnheime arbeitet.

Als die Diskussion über den Mangel an Wohnraum in diesem Herbst erneut begann, hatten sowohl das Studentenwerk als auch die Wohnraum-initiative vorgesorgt. Während ersteres die Übernachtung auf Feldbetten im spartanisch eingerichteten Notquartier für den »symbolischen Betrag« von fünf Euro anpreist, hat letztere ein Camp für Wohnungssuchende errichtet. Neben dem Angebot, in einem der Zelte unterzukommen, gibt es Workshops, Konzerte, gemeinsames Kochen und die Möglichkeit, am Lagerfeuer ins Gespräch zu kommen. Zeitweise wohnen bis zu 20 Personen in der provisorischen Unterkunft. Die Berichterstattung fällt überwiegend positiv aus und die Forderungen erhalten in den Medien mehr Raum.
Ohnehin scheinen der Ort und Zeitpunkt des Camps klug gewählt. Anfang Oktober wurde ein Konflikt um das Wohnheim in der Humboldtallee 9, in dessen Garten die Zelte stehen, öffentlich. Nachdem das Studentenwerk entschieden hatte, die freigewordene Dachgeschosswohnung zukünftig selbständig und ausschließlich an internationale Studierende zu vergeben, beschloss die übrige Hausgemeinschaft, sich das Mitspracherecht bei der Belegung der Wohnungen in ihrem Haus nicht nehmen zu lassen, und ließ kurzerhand eigenmächtig neue Mitbewohner einziehen. Das Studentenwerk reagierte und drohte sämtlichen Bewohnern mit Kündigung, Exmatrikulation und strafrechtlichen Konsequenzen.
Florian Kramer von der Wohnrauminitiative sieht darin einen Angriff auf die Selbstverwaltung des Hauses: »Wir haben mehrfach das Gespräch gesucht, aber das Studentenwerk schien überhaupt erst an einer Lösung interessiert, als der öffentliche Druck zu groß wurde.« Man kann den Eindruck gewinnen, dass hinter dem Vorgehen des Studentenwerks Kalkül steht. Immer wieder berichten Bewohner kleiner Wohnheime von Auseinandersetzungen mit ihrem Vermieter, der plötzlich beharrlich auf die Einhaltung vertraglicher Vorschriften pocht und in diesem Zuge etwa Keller- und Garagenräume räumen und anschließend verwaisen lässt. Auch politische Transparente an den Außenfassaden einiger Häuser sind dem Studentenwerk ein Dorn im Auge und werden regelmäßig beanstandet. Einige kleine Wohnheime wurden bereits entmietet und verkauft oder abgerissen, andere sollen saniert und anschließend neu vermietet werden. Dass damit nicht nur die Mieten steigen, sondern ebenso Wohngemeinschaften durch Einzelapartments ersetzt werden dürften, ist keine abwegige Prognose. Das Bekenntnis des Studentenwerks zum Erhalt selbstverwalteter Wohnformen und der Einsatz für die Integration internationaler Studenten in der Humboldtallee 9 erscheinen vor diesem Hintergrund wenig glaubhaft. Kramer vermutet, dass es vielmehr darum gehe, die eigenen Bilanzen aufzubessern: »Sollte sich das Studentenwerk dazu entscheiden, eines unserer Häuser abzustoßen, lassen sich Leute mit befristeten Mietverträgen nun einmal schneller loswerden.«

Auch die Rolle der Universität ist keine glückliche. Viele der betroffenen Häuser sind in ihrem Besitz. In Gesprächen verwies sie dennoch zumeist auf das Studentenwerk, das als Vermieter allein zuständig sei. Ein weiteres ehemaliges Wohnheim steht dagegen seit vier Jahren leer, nachdem die Universität den Nutzungsvertrag mit dem Studentenwerk gekündigt hat. Um auf diesen Umstand hinzuweisen, wurde das Gebäude in der Geiststraße seitdem mehrfach besetzt.
In der Humboldtallee 9 ist dagegen mittlerweile ein wenig Ruhe eingekehrt. Zwar campen im Garten noch immer wohnungslose Erstsemester und Auszubildende, doch zumindest für die Dachgeschosswohnung scheint eine Lösung gefunden. Hausgemeinschaft und Studentenwerk einigten sich auf einen Kompromiss, die Bewohner können weiterhin über die Belegung der Wohnungen entscheiden. Ein Erfolg auch für die Wohnrauminitiative. Gleichwohl demonstrierten am vergangenen Samstag 300 Menschen unter dem Motto »Wohnraum für alle«.