Die neue Regierung im Kosovo

Prekäre Stabilisierung

Erst unter internationalem Druck kam im Kosovo eine Koalitionsregierung zustande.

Anfang Dezember war es endlich so weit. In Priština besiegelten die aus den Parlamentswahlen vom Juni als stärkste und zweitstärkste Frak­tion hervorgegangenen Parteien, die Demokratische Partei des Kosovo (PDK) und die Demokra­tische Liga des Kosovo (LDK), die Bildung einer Koalitionsregierung. Anderswo mag dies Ausdruck parlamentarischen Alltagsgeschäfts sein, im Kosovo ist es der Versuch, die in die Krise geratene Nachkriegsordnung des Landes zu stabilisieren. Die Wahlen im Juni waren nötig geworden, nachdem Hashim Thaçi, Ministerpräsident und Vorsitzender der PDK, mit zwei Vorschlägen für Verfassungsänderungen im Parlament gescheitert war. Unter anderem sollten die paramilitärischen Sicherheitskräfte des Kosovo in eine reguläre Armee umgewandelt werden. Die Abgeordneten der serbischen Minderheit boykottierten die Abstimmung und verhinderten so, dass das für Verfassungsänderungen nötige Quorum erfüllt werden konnte. Thaçi, einst führendes Mitglied der Befreiungsarmee des Kosovo (UÇK), setzte daraufhin Neuwahlen an: »Ein Parlament, das nicht einmal seine eigene Armee gründen kann, sollte nicht fortbestehen«, so seine Begründung.

Aus diesen ging die PDK zwar mit 31 Prozent der Stimmen als stärkste Fraktion hervor, doch ihr bisheriger Koalitionspartner scheiterte an der Fünfprozenthürde. So konnten, kaum dass Thaçi seinen Wahlsieg erklärt hatte, die bisherigen Oppositionsparteien LDK, die Allianz für die Zukunft des Kosovo (AAK) und die neugegründete Initiative für das Kosovo (Nisma) verkünden, dass sie als Koalition die PDK-Regierung ablösen würden. Zum Ministerpräsidenten sollte der ehemalige UÇK-Kommandant Ramush Haradinaj (AAK) gewählt werden, der noch 2012 in Den Haag wegen Kriegsverbrechen vor Gericht gestanden hatte und aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden war.

Die Koalition aus LDK, AAK und Nisma verfügte über keine Mehrheit im Parlament. Doch diese Lücke versprach die »Lëvizja Vetëvendosje!« (Bewegung Selbstbestimmung) zu füllen, die 13 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Die militant-nationalistische Jugendbewegung unter der Führung des ehemaligen zivilen UÇK-Aktivisten Albin Kurti profilierte sich in den vergangenen Jahren als radikalste Kritikerin der Regierung Thaçi. Der PDK wirft sie vor, den Ausverkauf des Landes zu betreiben und als Handlanger der internationalen Protektoratsmächte zu dienen. Seit 2010 nimmt sie an Wahlen teil, seit 2013 stellt sie den Bürgermeister von Priština. Als Voraussetzung für die Duldung der Koalitionsregierung aus LDK, AAK und Nisma forderte Vetëvendosje ein Ende der Gespräche mit Serbien über die Zukunft des Nordkosovo und ein Ende der Privatisierungen vor allem der Bergwerke in Trepça und des Post- und Telekommunikationsunternehmens PTK.
Allerdings scheiterte die Bildung der Koalitionsregierung am Verfassungsgericht. Im August entschied es, dass der erste Versuch einer Regierungsbildung der stärksten Parlamentsfraktion, mithin der PDK, zustehe. Diese Entscheidung legte das politische Leben in Priština monatelang lahm. Die PDK war nicht in der Lage, eine Regierung zu bilden, die anderen Parteien hatten nicht das Recht dazu.

Anfang November schließlich verlor die US-Botschafterin im Kosovo, Tracey Ann Jacobson, öffentlich die Geduld mit dem politischen Establishment des Landes. In einer Diskussionsrunde mit kosovarischen Journalisten ließ sie allen diplomatischen Sprachgebrauch fahren und wies mit klaren Worten auf die die gesamte Gesellschaft durchziehende Korruption hin, kritisierte harsch die aus ihrer Sicht bestehende politische Unreife der lokalen Eliten und drohte unverhohlen mit der Verringerung US-amerikanischer Unterstützung für das Land. Auf albanisch wandte sie sich an die kosovarischen Politiker und forderte: »Versaut es nicht!« Offensichtlich unter Druck, vor allem aus den USA, kündigte schließlich die LDK Ende November die Dreierkoalition auf, um stattdessen mit der PDK eine Koalition einzugehen. Zum Lohn darf sie den Ministerpräsidenten stellen, während Thaçi das 2016 frei werdende Präsidentenamt übernehmen soll. Petrit Selimi, ein Politiker der PDK, sagte dazu: »Diese Koalition besteht aus Parteien, die beide den Dialog, die Privatisierungen, Wirtschaftsreformen, den Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität unterstützen.« Die nun stärkste Oppositionspartei Vetëvendosje kritisierte das Abkommen: »Die Zusammenarbeit mit der PDK macht die Korrupten noch reicher, die Armen noch ärmer. Sie wird die Kriminellen schützen, die kleine Mittelschicht zerstören (…), Mitrovica weiterhin geteilt halten und Serbien noch präsenter im Kosovo machen.«

Dass auch die US-Botschafterin keine allzu große Anhängerin der von ihr auf den Weg gebrachten Regierung ist, geht aus einem Nebensatz ihrer Generalabrechnung mit der kosovarischen Politik hervor. Darin forderte sie, dass künftig mehr junge Menschen und mehr Frauen die Politik des Landes gestalten sollten. Damit fordert sie gerade das Ende der dominanten Rolle ehemaliger UÇK-Kämpfer, die das Land seit der Unabhängigkeit von Restjugoslawien beherrschen.
Die Mitglieder von Vetëvendosje wären willens und bereit, an deren Stelle zu treten. Allerdings ist gerade diese Partei, mit ihrem militant-nationalistischen, panalbanischen Programm, ihrer Ablehnung der Präsenz internationaler Institutionen im Kosovo und der Forderung nach einem Ende der Privatisierung der Staatsunternehmen, kein akzeptabler Partner für die USA und die EU, die auch nach dem formalen Ende der »überwachten Unabhängigkeit« des Landes grundlegende Mitspracherechte in der Verwaltung des Kosovo beanspruchen. Anders als in der Ukraine kann eine nationalistische Jugendbewegung gegen Korruption und Nepotismus im Kosovo auf absehbare Zeit nicht mit Unterstützung aus dem Westen rechnen.