Taxifahrer wollen den Akademikerball in Wien bestreiken

Kein Taxi für Rechtsextreme

In Wien soll am 30. Januar erneut der umstrittene »Akademikerball« stattfinden. Aus Protest verweigern Taxifahrer die Beförderung von rechten Ballgästen.

Kaum jemand hätte gedacht, welche Wellen es schlägt, wenn Wiener Taxifahrer beschließen, den für den 30. Januar geplanten »Akademikerball« zu bestreiken. »Viele sind schon die letzten Jahre nicht gefahren, aber heuer haben wir gesagt, wir rufen alle Kollegen auf, auch zu streiken«, meint Keivan Amiri, einer der Sprecher der Organisatorengruppe, in einem seiner vielen Interviews für Presse, Radio und Fernsehen.
»Akademikerball: Jetzt streiken Wiens Taxler«, betitelte die bürgerliche Wiener Bezirkszeitung ihren ganzseitigen Artikel, der in einer Auflage von 600 000 Stück gratis an jeden Haushalt verschickt wurde. Binnen fünf Tagen hatte die Facebook-Seite »50 000 Gründe, warum wir nicht zum Ball fahren«, die von politischen Freunden und Freundinnen der Taxler betrieben wird, mehr als 10 000 Likes. Amiri und seine Kollegen machen aus ihren Motiven keinen Hehl: »In einer Demokratie darf es keinen Ball wie diesen geben, schon gar nicht an einem Ort, der den Staat repräsentiert.« Er und die meisten seiner streikenden Kollegen sind in den neunziger Jahren aus dem Iran, Irak, Kurdistan oder der Türkei nach Wien emigriert, nach einigen Jahren konnten sie sich selbständig machen und fahren nun auf eigene Rechnung. »Niemand kann uns sagen, wen und wohin wir fahren sollen«, antwortet Amiri selbstsicher auf die Frage, ob es denn keine Verpflichtung gebe, jeden zu transportieren. Die rechte Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) droht den Taxifahrern mit Anzeigen, der Präsident der Wiener Wirtschaftskammer, Walter Ruck, sieht es erstaunlich locker: »Das ist für mich ein Teil der Meinungsfreiheit und das kann jeder handhaben, wie er möchte.«

Der auf junges Publikum getrimmte öffentlich-rechtliche Radiosender FM4 stellte die Frage, ob es einen Unterschied mache, knutschende Homosexuelle aus dem Café zu verweisen, Schwarzen den Eintritt in die Diskothek zu verweigern oder Rechtsextremen eine Taxifahrt zu verwehren. Eine Antwort darauf gab der Moderator nicht. Es ist genau diese verordnete Toleranz für Intolerante, die es gesetzlich ermöglicht, dass Jahr für Jahr in den Prunkräumen der Hofburg, dem Sitz des Bundespräsidenten, eine bizarre Tanzveranstaltung der FPÖ für die rechtsextreme Elite Europas veranstaltet werden kann. 2012 behauptete der FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache gar, »die Ballgäste sind die neuen Juden«, weil sie vereinzelt Farbbeutel abbekommen hatten. Und sein Stellvertreter Johann Gudenus sagte eine Woche vor dem Ball: »Eines zeigt der diesjährige Aufruf zu Gewalt und Widerstand von den diversen dumpflinken Bündnissen ganz deutlich: Der Faschismus des 21. Jahrhunderts kommt ganz klar von links und nur von links.« Den wütenden Protesten Tausender Demonstrierender in den vergangenen drei Jahren ist es zu verdanken, dass die Besuchszahlen des Balls von 3 000 auf zuletzt 700 gesunken sind. Nur mit Taxis, eskortiert von der Polizei, war eine unbehelligte Zufahrt zum Ball möglich.
Die Protestform der rot-grünen Stadtregierung wirkt dagegen verschämt. Am 31. Januar, dem Tag nach dem Akademikerball, findet im Wiener Rathaus der »Ball der Wissenschaften« statt. Dass auch dieser Ball keine antielitäre Gegenveranstaltung ist, zeigt schon der stolze Eintrittspreis von 100 Euro pro Person.
Es wird also wieder den Bündnissen »Jetzt Zeichen setzen«, »Offensive gegen rechts«, »NO­WKR« und den erwarteten Tausenden von Demonstrierenden überlassen bleiben, den Ball zu stören. Dora Schimanko, eine Überlebende des NS-Regimes und bei der Gegenkundgebung vor der Hofburg auch dieses Jahr wieder dabei, macht darauf aufmerksam, dass »im Gedenkjahr 2015, 70 Jahre nach der Befreiung Europas, die Republik noch immer schulterzuckend dabei zusieht, wie Rechtsextreme die Hofburg nutzen und sich derartige demokratiefeindliche Ideologien dort breitmachen«.

Die Wiener Polizei versucht scheinbar, mit einer Charmeoffensive zu deeskalieren: Es soll kein Vermummungsverbot geben, Polizisten sollen zunächst keine Helme tragen und eigene Twitter-Infos vor Ort verbreiten. Die Zahl der Polizisten, 2 500, deutet aber darauf hin, dass die Wiener Innenstadt am 30. Januar wieder unter Belagerung stehen wird, um der extremen Rechten ihren Ball zu ermöglichen. Mit der Aktion »50 000 Gründe scheinbar, warum wir nicht zum Ball fahren« ist die Hoffnung vieler verbunden, dass dieser rechte Spuk in diesem Jahr das letzte Mal stattfindet. Der freundliche Mittfünfziger Amiri ist binnen weniger Tage zum Hoffnungsträger eines neuen linken Optimismus geworden. »Im Iran habe ich als Kommunist nicht offen auftreten können, hier ist Demokratie, da sag ich laut und deutlich, was ich denke«, meint er auf die Frage, ob er keine Angst vor Konsequenzen habe. In Postings wird er oft rassistisch beschimpft. Er solle »ruhig sein und brav fahren« anderenfalls »wieder abhauen«, ist noch der harmloseste Angriff.
Amiri und seine Kollegen sind nicht religiös, es geht auch nicht um kulturelle Eigentümlichkeiten oder Identitäten, sondern schlicht um politische Positionen. »Wenn es eine antifaschistische Aktion ist, dann bin ich gerne dabei«, antwortet Nasi Missouri auf die Frage, warum er sich am Streikaufruf beteilige. Was er sich wünschen würde für den 30. Januar? »Dass kein einziges Taxi hinfährt und niemand bei den Demonstrationen verhaftet und verletzt wird.« Amiri und Missouri werden es nicht bei dieser Einzelaktion belassen. Bei den Wirtschaftskammerwahlen im Februar kandidieren sie bei den Taxiunternehmern mit der eigenen linken Liste »Gerechtigkeit«. Ein oder zwei Mandate wollen sie dabei gewinnen. Ihre mutige Aktion gegen die extreme Rechte hat ihre Chancen darauf sicherlich erhöht.