Der Film »Buy Buy St. Pauli« auf Tour durch Deutschland

Die Henker der Hoffnung

Die berühmten Hamburger Esso-Häuser sind mittlerweile abgerissen. »Buy Buy St. Pauli« erzählt von ihren ehemaligen Bewohnern und dem Verlauf des Konflikts. Der Film befindet sich derzeit auf einer Kinotour durch Deutschland.

Lautes Klopfen an der Tür lässt die Hoffnung von Dutzenden Menschen an einem Winterabend kurz vor Weihnachten zerplatzen. Monatelang haben sie gekämpft, gebangt, gelitten – jetzt ist es aus, sie verlieren ihr Zuhause. »Lebensgefahr« lautet die Begründung, wieso sie plötzlich auf der Straße stehen. Die Schnittchen waren schon gemacht, die Biere geöffnet, die Fernseher angeschaltet. »Erst habe ich gedacht, was wackelt’n hier. Ich war gerade am Fernsehgucken. Dann hämmerte es schon an der Tür. Der Lütte war ja gerade erst eingeschlafen. Der hat gezittert vor Angst«, erzählt eine ältere Frau mit Kurzhaarschnitt. Wenig später wurde sie mit einem Bus in eine Notunterkunft gebracht. Es war der Abend, als die berühmten, heruntergekommenen Esso-Häuser in wenigen Minuten geräumt und zu leeren Gebäuden wurden – für immer. Mieter lassen ihrer Verzweiflung, ihrem Gefühl der plötzlichen Haltlosigkeit freien Lauf.
Das Engagement für den Erhalt der 1961 fertiggestellten Esso-Häuser hatte die Hamburger bewegt wie schon lange kein anderes Thema mehr. Es war das endgültige Zeichen, dass sich die Eventisierung mit der einhergehenden Enteignung alter Mieter zum Wohle von Investoren auf St. Pauli nicht mehr aufhalten lassen würde. Doch Anwohner, Stadtteilinitiativen und solidarische Hamburger waren noch nicht bereit, ihren Kiez verloren zu geben. Von diesen Monaten des Kampfs, der sich nur auf den ersten Blick um ein verwittertes Betonklotzensemble mit Gewerberiegel drehte, wird nun auch im Kino erzählt. »Buy Buy St. Pauli« von Irene Bude, Olaf Sobczak und Steffen Jörg zeigt das Hoffen der Bewohner der Esso-Häuser und der umliegenden Gewebetreibenden – und das Ende ihrer Hoffnung.
Nach »Empire St. Pauli« ist »Buy Buy St. Pauli« der zweite Film, der dokumentarisch darauf hinweist, was in diesem Stadtteil nicht mehr stimmt. St. Pauli war jahrhundertelang so etwas wie ein Hafen für die Unangepassten, die Heimatlosen, für einfache Menschen. Rund um den Kiez boten sich immer irgendwelche Jobs an, es gab Wohnraum sowie eine eigene Untergrundkultur zwischen Theke, Tanzlokal und kleinen Läden. Doch seit mindestens 30 Jahren verändern sich die Strukturen grundlegend in den engen, kleinen Seitenstraßen der Reeperbahn. Die Esso-Häuser mit ihren vergilbten Fassaden, der seltsamen Tankstelle, in der Junggesellen, Punks, Rocker und Schichtarbeiter nach Ladenschluss einkaufen gingen, waren zuletzt so etwas wie ein Denkmal der alten Zeiten. Schön waren sie zwar schon lange nicht mehr anzusehen. Aber wer schön im Sinne von Hamburg-Eppendorf oder anderer gut situierter Stadtteile erwartete, wollte eigentlich auch nie auf den Kiez.
Während »Empire St. Pauli« noch einen Überblick lieferte und die Veränderungen rund um den Kiez thematisierte – das Verschwinden der Eckkneipen, die hier die familiären Wohnzimmer der Einsamen waren –, konzentriert sich »Buy Buy St. Pauli« auf den Mikrokosmos zweier Häuser, die sich bis Anfang 2014 parallel gegenüberstanden. Ganz nebenbei versteht der Zuschauer, wieso gerade Menschen häufig Opfer werden, die in ihrem Leben schon immer Entbehrungen hinnehmen mussten. »Wenn man das verliert, tja, hat man eben Pech gehabt«, sagt ein ehemaliger Seefahrer, während er das Kamerateam durch seine Wohnung führt, vorbei an Stofftapeten, selbstgebauten Schränken und den Mitbringseln aus Übersee. Pech, Schicksal: Egal wie man die Brocken, die einem das Leben hinwirft, nennen mag, viele der Essoianer haben gelernt, sie zu schlucken.
Doch dieser Brocken ist anders. Vor allem am Lebensabend möchten selbst die Härtesten nicht mehr: »Ich habe ja schon vieles mitgemacht, den Krieg hab’ ich überlebt, aber das habe ich noch nicht erlebt. Die Flucht aus Ostpreußen vor den Russen habe ich auch gemacht. Aber das? Irgendwas stimmt doch nicht«, fasst eine alte Frau ihre Wut und ihr Unverständnis zusammen. Ihr Mann hatte im kleinen Innenhof, der über den 500 Autostellplätzen der beide Häuser unterirdisch verbindenden Tiefgarage lag, Rosen, einen Kirschbaum und Flieder gepflanzt und Rasen gesät. Die scheinbar immer tadellos frisierte Frau, die selbst in dem Moment, als sie plötzlich ihre Wohnung verlassen musste, um mit einem Bus in eine Mehrzweckhalle gekarrt zu werden, aussieht, als würde sie einer Einladung zum Kaffeetrinken nachkommen, wohnte seit 1961 in dem Komplex. Sie erzählt von Pferdefuhrwerken, mit denen die Bavaria-Brauerei Bier auslieferte. Es wirkt fast so, als phantasiere sie, so unvorstellbar scheinen Erzählungen wie diese heute. Und dass sie und ihr Mann sich damals für 5 000 Mark Wohngeld als Mieter einkaufen mussten, ein Betrag, für den es früher anderthalb VW Käfer gegeben hätte und von dem sie heute nichts mehr haben, da ein Mietvertrag nun mal diese Investition nicht schützen kann, wenn ein neuer Eigentümer ganz andere Pläne hat, ist nicht weniger phantastisch.
Zum Glück schlachtet der Film solche Geschichten nicht aus, um süße, kitschige Nostalgie à la »früher war alles besser« zusammenzurühren. Nüchterne Stop-Motion-Animationen mit Pappe zeigen die Fakten und unterbrechen die Erzählungen der Einzelschicksale und berichten in diesen Sequenzen sachlich. Zum Beispiel davon, wie der Sohn des Bauherrn, der einst eine Vision von »topmodernen Plattenbauten« auf der Kriegsbrache neben seiner Esso-Tankstelle für sechs Millionen Mark verwirklichte, das Ensemble einfach verfaulen lässt. Und wie er es 1997 für einen Spottpreis von umgerechnet 4,5 Millionen Euro aus der Erbpacht bei der Stadt herauskauft mit der gelogenen Begründung, er habe wahnsinnig viel sanieren müssen. Solche Momente sind für den Zuschauer eine Wohltat, da hier nicht wie sonst Empörung den Blick verstellt.
Es ist einfach so: Jemand erbt etwas, zu dem er keine Beziehung hat, und aus der Vision vom schönen Wohnen wird der kalkulierte Gewinn für ein Filetgrundstück. Als habe Jürgen Schütze, der Sohn, einfach eine Kiste antiker Perlen auf dem elterlichen Dachboden gefunden, nimmt er auf die Mieter keinerlei Rücksicht. Es ist der Anfang vom Ende der Häuser. Zwölf Jahre später verkauft Schütze die Kiste an die in München ansässige Immobilienagentur Bayerische Hausbau – eine Tochtergesellschaft der Schörghuber-Gruppe, zu der Brauereien, eine Luxushotelkette und eine Fischzucht gehören.
»Die Häuser waren an den Markt verloren«, sagt Ted Gaier. Der Musiker wohnte ebenfalls in den Esso-Häusern. Denn auch das zeigt der Film: Wie wichtig die Heterogenität in einem Viertel ist. Die Jungen, Kreativen und Studierenden vernetzten sich schnell, als die Immobilienagentur den Mietern neue Verträge unterjubeln will. Der Verein »Mieter helfen Mietern« bekommt Wind davon. Die Esso-Häuser-Initiative entsteht. Die Mieter treffen sich immer wieder. Egal, ob die Augen einer jungen Studentin oder die eines ehemaligen Handwerkers zu sehen sind, sie leuchten vor Kampfeslust. Schließlich ist der gesunde Menschenverstand auf ihrer Seite. »Wieso sollen diejenigen, die den Bau jahrelang verrotten ließen, jetzt damit Gewinn machen?«, fragt eine Frau auf einer Podiumsdiskussion.
»Buy Buy St. Pauli« erzählt nicht nur von Schicksalen, das Filmteam hat auch Mieter begleitet, die sich auf den Weg nach Paris begeben haben. Sie wollen sich ein Projekt der Architektin Anne Lacanton ansehen, ebenfalls einen Plattenbau, der allerdings nicht abgerissen, sondern sozialverträglich und dennoch gewinnbringend saniert wurde. Die Freude der Mieter, als sie mit eigenen Augen sehen, was möglich wäre, stimmt traurig. Denn das Ende der Hamburger Häuser kennt man als Zuschauer bereits. Es ist dann die Statik, die den Schlussstrich zieht – nicht der Investor. Aber der Film zeigt in den letzten Minuten auch, dass der Kampf nicht ganz umsonst gewesen ist und es wieder Hoffnung gibt.

Buy Buy St. Pauli (D 2014). Regie: Irene Bude, Olaf Sobczak, Steffen Jörg.
Termine: 12. Februar Hamburg (Lichtmeß), 14. Februar Freiburg (Kommunales Kino), 15. Februar Hamburg (B-Movie), 15. Februar München (Werkstattkino), 16. Februar Dortmund (Sweet Sixteen), 17. Februar Bochum (Endstation), 21. Februar Freiburg (Kommunales Kino), 23. Februar Hamburg (Abaton), 28. Februar Ahrensburg (Allmende Wulfsdorf)