Die Regierung in El Salvador bricht Friedensverhandlungen mit den »Maras« ab

Experiment beendet

In El Salvador hat die Regierung die umstrittenen Friedensverhandlungen mit den kriminellen Jugendbanden, den Maras, abgebrochen.

»Mit dem Friedenspakt hatten lediglich die Mara-Bosse gute Konditionen ausgehandelt«, resümiert Mauricio Figueroa, Experte für Gangs in Mittelamerika, die Verhandlungen zwischen den Maras und der Regierung in El Salvador, die vor einigen Jahren begannen. »Sie konnten Besuch empfangen und verkehrten mit der Außenwelt, wie sie es für ihre kriminellen Geschäfte benötigten.« Dafür hatten sie die Mordrate im März 2012 von einem Tag auf den anderen um zwei Drittel sinken lassen. Die linke Regierung von Präsident Mauricio Funes (2009 bis 2014) versuchte stets, ihre Rolle im Pakt mit den Maras herunterzuspielen, erst das investigative Nachrichtenmagazin El Faro brachte die Friedensverhandlungen an die Öffentlichkeit.
Funes’ Amtsnachfolger Salvador Sánchez Cerén, ebenfalls von der ehemaligen Guerilla und heutigen Partei FMLN, hat die zögerliche Regierungshaltung beendet und ist kurz vor den Bürgermeister- und Abgeordnetenwahlen vom 1. März zur Zero tolerance-Politik zurückgekehrt. Die Maras demonstrierten noch zu Beginn des Jahres ihren Einfluss, indem sie die Mordrate im Land auf Befehl erneut von 15 auf fünf Tote pro Tag reduzierten. Doch die Regierung will nach langer Aussetzung endgültig nicht mehr mit der Mafia verhandeln. Ende Februar verlegte sie die Bandenchefs von »Mara Salvatrucha 13« und »Barrio 18« ins Hochsicherheitsgefängnis Zacatecoluca, genannt »Zacatráz«.
»Der Friedenspakt war ein Experiment«, sagt Figueroa. Die gesamte Bevölkerung stand dem Abkommen kritisch gegenüber. Und selbst unter Nichtregierungsorganisationen waren keine Unterstützer zu finden. »Die Organisationen, die die Banden und ihre Angehörigen wie niemand sonst kennen und seit Jahren Präventions- und Rehabilitationsarbeit in den Armenvierteln und Gefängnissen leisten, wurden bei den Verhandlungen schlichtweg übergangen.« Gerade an breit angelegten Präventions- und Rehabilitationsmöglichkeiten für die einfachen Gefolgsleute der Banden habe es gemangelt, sagt Figueroa.
Doch er sieht auch die Grenzen einer solchen Politik: »Die Jugendbanden sind keine geschlossene Gesellschaft. Sie werden von ganzen Familien und Vierteln getragen.« Ein großer Teil der salvadorianischen Gesellschaft sei indirekt in kriminelle Machenschaften eingebunden oder bestreite seinen Lebensunterhalt aus illegal erwirtschaftetem Geld. Schätzungsweise 100 000 Menschen könnten das sein. Die Banden hätten in den vergangenen Jahren mit ihrem kriminell erworbenen Vermögen Investitionen getätigt und Busse, Bars und Bordelle aufgekauft. »Viele Personen machen sich nicht selbst die Finger schmutzig, aber geben Befehle zu Erpressungen, Entführungen und Morden. Sie verdienten durch ein paar Telefonanrufe 1 000 Dollar die Woche«, so Figueroa. Diese Personen wollten keinen Ausstieg und bräuchten keine Alternative zu einem Leben am Abgrund.

Auch Mirna Perla, ehemalige Richterin des Obersten Gerichtshofs von El Salvador, konnte der vergangenen »Show des Friedenspaktes« wenig Gutes abgewinnen. Aber eine Zero tolerance-Politik gegen die Gewalt im Land sei ebenso verfehlt. Abseits der Millionengeschäfte des Drogenhandels werden die Jugendbanden brutal verfolgt. »Obwohl Politik und Wirtschaft korrumpiert sind, kommen Kriminelle mit Krawatte in El Salvador nicht in den Knast. Nur Arme sitzen ein«, kritisiert die einstige Jugendrichterin von Santa Tecla, weil das Gesetz über organisierte Kriminalität lediglich gegen Maras angewendet werde. »Aufgrund einer Zeugenaussage kann jemand ein Leben lang ins Gefängnis gesperrt werden.« Dabei muss der Zeuge einen Mord oder einen Überfall nicht mit eigenen Augen gesehen, sondern lediglich davon gehört haben. »Juristisch ist das unerhört. Eine Verurteilung auf der Grundlage von Gerüchten«, sagt Perla.
So säßen Unzählige unschuldig im Gefängnis. In den Haftanstalten, die mit rund 26 000 Insassen dreifach überbelegt sind, herrschen hygienisch und medizinisch untragbare Zustände. Häftlinge schlafen über- und untereinander, in Hängematten, Stockbetten und »Höhlen«, Kuhlen, die unter den Stockbetten ausgehoben wurden. »Das Essen ist mit Schimmel überzogen, es fehlt an Wasser und Trinkwasser. Alle leiden unter Haut- und Magenkrankheiten«, berichtet Sozialarbeiter Manuel Abarca aus dem Gefängnisalltag. Im Frauengefängnis von Ilopango seien darüber hinaus Kinder eingesperrt. »Sie wachsen hinter Gittern auf.« Denn bis zum fünften Lebensjahr sind sie salvadorianischer Gesetzgebung zufolge bei ihren Müttern unterzubringen.

Trotzdem sind für Abarca andere Missstände noch gravierender. »Eine Justiz, die die Rehabilitation von straffällig gewordenen Menschen anstrebt, existiert in El Salvador nicht.« Verurteilte Häftlinge würden oftmals mit absurd hohen Strafen von über 100 Jahren allein gelassen. »Die Gefängnisse sind reine Verwahrungsanstalten. Ihre Aufgabe der sozialen Rehabilitation fällt vollkommen hintenüber.« Daran ändert auch das Regierungsprogramm »Autobahn der Möglichkeiten«, das Schulunterricht und Ausbildungen im Gefängnis anbietet, allenfalls punktuell etwas.
»Der Staat reagiert nur auf die ausufernde Kriminalität, anstatt sie als Folge der dramatischen sozialen Ungleichheit zu begreifen«, gibt selbst Rogelio Miranda von der Staatsanwaltschaft für Menschenrechte zu. Diese hat einen schlechten Ruf, weil sie sich um die Fälle einzelner Häftlinge kümmert. Sie setze sich für Mörder ein, heißt es in der von den Maras drangsalierten Bevölkerung. Schutzgelderpressungen und Gewaltverbrechen haben in den vergangenen Jahren eine Fluchtbewegung ganzer Familien außer Landes provoziert.