Autonome Wohnprojekte in Hamburg in Aufruhr

Wem gehört das Haus?

In Hamburg sorgen sich immer mehr autonome Wohnprojekte um ihre Zukunft, weil die Stadt Wohnflächen an eine Aktiengesellschaft verkauft.

In der Jäpa, einem der zahlreichen Wohnprojekte in Hamburg, leben 25 Erwachsene und sieben Kinder. Sie teilen sich ein Gemeinschaftsbad, Proberäume, eine Schneiderei und eine Küche, in der einmal in der Woche für Stadtteilbewohner gekocht wird. Der Mietvertrag mit der Stadt läuft noch bis 2018, beinhaltet aber auch Verlängerungsoptionen. Die Jäpa liegt im Sanierungsgebiet Wohlwillstraße in St. Pauli, dessen Förderzeit noch in diesem Jahr endet. »Wir müssen damit rechnen, dass wir dann an die SAGA GWG gehen, ähnlich wie es Ende 2013 auch anderen Projekten nach Ablauf des Sanierungsgebietes im Karolinenviertel passiert ist«, sagt Frank Gemein, der in der Jäpa lebt. Über 800 Wohneinheiten sind damals für knapp 80 Millionen Euro an die SAGA GWG verkauft worden.

Der Hamburger Senat überträgt immer mehr städtische Wohnflächen an die SAGA GWG. »Den Immobilienstand ordnen«, nennt die Stadt das Vorgehen. Mit der Übertragung werde gewährleistet, so die Finanzbehörde, dass die Wohnimmobilien zukünftig »im Eigentum eines Wohnungsunternehmens stehen, das seit über 90 Jahren für die Stadt Hamburg die Schaffung und die Verwaltung von Wohnraum in sozialer Verantwortung übernimmt«. Erst vor wenigen Monaten hat der Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) weitere 900 Wohneinheiten an die SAGA GWG übertragen: Für 105 Millionen Euro Kaufpreis und ein Einmalentgelt von rund 18 Millionen für Erbbaurechte.
Wegen dieser Immobilienstrategie sind nun etliche Wohnprojekte in Aufruhr. Die meisten gibt es seit über 20 Jahren. Zum kleinen Preis ermöglichen sie gemeinschaftliche Lebensformen jenseits von Single-Bude und Kleinfamilien-Apartment. Ab 2018 wäre dann für die Jäpa nicht mehr die Stadt der Verhandlungspartner, sondern die SAGA GWG. In diesem Fall rechnet die Jäpa damit, schnell eine höhere Miete zahlen zu müssen oder Probleme bei der Vertragsverlängerung zu bekommen. Die Bewohner befürchten auch den Verlust ihrer Selbstverwaltung oder gar den Verlust der von ihnen bewohnten Häuser.
»Es reicht! Unsere Projekte sind keine Verhandlungsmasse«, heißt es beim neugegründeten Dachverband autonomer Wohnprojekte. »Wir erwarten von der Stadt, dass sie sich vor einer Übertragung mit den Wohnprojekten zusammensetzt und keine Hinterzimmerpolitik betreibt«, sagt Christiane Hollander, Juristin beim Verein Mieter helfen Mietern, die den Dachverband berät.
Die Jäpa ist eines von rund 50 Wohnprojekten, die seit 1984 im Rahmen des vom damaligen SPD-Senat eingeführten Alternativen Baubetreuungsprogramms (ABB) entstanden sind. Sie liegen zwischen Wilhelmsburg und Winterhude, in Ottensen, Billbrook und an der Hafenstraße. Das ABB war damals auch ein Weg, die zahlreichen Hausbesetzungen in legale Wohnformen zu überführen. Durch Altbauinstandsetzung wurden so preiswerte Wohnungen geschaffen. Die Hausbesetzer renovierten in Eigenleistung und bekamen Fördergelder der Stadt – und die Zusage, dort künftig für geringe Mieten oder in Erbpacht für mehrere Jahrzehnte wohnen zu können. Die Hausprojekte bestehen bis heute: Wilde Mathilde, Freiheit 84, Drachenbau-Genossenschaft und MSV Schröderstift heißen einige von ihnen. Die Jäpa hatte Ende der achtziger Jahre zusammen mit der städtischen Lawaetz-Stiftung ein Nutzungs- und Sanierungskonzept entwickelt. Damit konnte das Terrassenquartier in St. Pauli erhalten werden – und auch die berühmte Tür, vor der sich John Lennon 1961 für das Plattencover von »Rock ’n’ Roll« fotografieren ließ.
Die SAGA GWG ist eine Aktiengesellschaft. Mit 130 000 Wohnungen zählt sie zu den größten öffentlichen Wohnungsunternehmen Deutschlands. Sie muss für die Stadt Gewinne erwirtschaften – nicht zuletzt um jedes Jahr rund 1,5 Millionen Euro Gehalt für die drei Vorstandsmitglieder aufzubringen. Die SAGA GWG verfolgt andere Interessen als ein Wohnprojekt, das günstiges und selbstbestimmtes Wohnen ermöglichen will. Viele Projekte liegen unterhalb des Mittelwerts des Mietenspiegels. Vor allem aber ist sie abhängig von politischen Konjunkturen. »Heute baut die SAGA GWG wieder Wohnungen, was wir sehr begrüßen. Das kann sich aber auch wieder ändern«, so Hollander. Weil es politisch nicht gewünscht war, habe sie lange Jahre kaum in den Wohnungsbau investiert.

»Alternative Wohnformen genießen eine hohe Akzeptanz in Hamburg«, sagt Hollander. Die Wohnprojekte wirkten auch positiv in die Nachbarschaft, sie sorgten dafür, dass Menschen eine Unterkunft finden, die sonst keine Wohnung erhalten. »Es wird sehr viel über Beteiligung gesprochen, aber an dieser Stelle findet sie nicht statt«, bemängelt die Juristin. Die Bewohner der Wohnprojekte fragen sich, ob das Vorgehen Gedankenlosigkeit geschuldet ist – oder ob ein Plan dahintersteckt. Der Dachverband autonomer Wohnprojekte vermutet, dass die von Bewohnern sanierten und instand gehaltenen Immobilien interessant für die Verwertung durch Verkauf werden.
Manche haben den Eindruck, dass nun Projekte, die sich einst Zugeständnisse von der Stadt erkämpft haben, abgewickelt werden sollen. Im rot-grünen Koalitionsvertrag steht: »Wir wollen den Erfolg der vorwiegend selbstverwalteten Wohnprojekte und Mietergenossenschaften aus den vergangenen Jahrzehnten sichern. Ein Verkauf kommt nur an Träger infrage, die die Gewähr dafür bieten, dass die sozialen, stadtentwicklungs- und wohnungspolitischen Ziele weiterverfolgt werden und die Selbstverwaltung wie in der Vergangenheit gewährleisten.«
Sowohl die SAGA GWG als auch die Finanzbehörde behaupten, dass sich für die selbstverwalteten Wohnprojekte nichts ändere. »Der Eigentümer hat lediglich innerhalb des Konzerns der Freien und Hansestadt Hamburg gewechselt, die Verträge bleiben unverändert gültig«, so der Sprecher von SAGA GWG Michael Ahrens.

Heike Sudmann, die wohnungspolitische Sprecherin der Linkspartei, hält die Sorgen der Wohnprojekte hingegen für berechtigt: »Allein die Geheimhaltungspolitik des Senats, die fehlende Transparenz bei der Übertragung der Grundstücke muss misstrauisch machen.« Auf eine Kleine Anfrage von Sudmann, über wie viele Liegenschaften, auf denen Wohnprojekte existieren, die Stadt verfüge und welche Überlegungen es gebe, diese zu verkaufen, hatte der Senat im Juni 2013 noch geantwortet: »Keine.« Der Senat habe die öffentliche Debatte anscheinend gescheut, da er Widerstand und Protest erwartet habe. Zudem seien auf geeigneten Grundstücken Erweiterungs- und Nachverdichtungsmaßnahmen zu befürchten, so Sudmann.
Die Finanzbehörde wiegelt ab: »Die Nutzer werden regelhaft nicht über eine Eigentumsübertragung informiert, da sichergestellt ist, dass sich die Rahmenbedingungen für sie nicht verändern.« Daniel Stricker, Sprecher der Finanzbehörde, sagt: »Die Verwaltung wird durch den bisherigen Verwalter weiter wahrgenommen. Die SAGA informiert nach Eigentumsübertragung die Nutzer anschließend unmittelbar.« Im Fall des queer-feministischen Wohn- und Werkstattprojekts Villa Magdalena K. dauerte es allerdings 14 Jahre, bis die Mieterinnen über den Verkauf informiert wurden, und weitere drei Jahre, bis sehr wohl ein Verwaltungswechsel erfolgte: 2014 holte die städtische Aktiengesellschaft die Villa-Aktenordner bei der Lawaetz Service GmbH ab. Kurz davor gab es eine Gebäudebegehung. »Sie wollten wohl mal sehen, was sie da, im Paket mit anderen Häusern, eingekauft haben«, so eine der Bewohnerinnen.
Offenbar verlieren sowohl die Finanzbehörde als auch die SAGA GWG den Überblick über ihre Objekte. Laut Finanzbehörde sind seit 1995 fünf selbstverwaltete Wohnprojekte, laut SAGA GWG nur zwei übertragen worden. Und anders als von der Finanzbehörde dargestellt, ändern sich die »Rahmenbedingungen« spürbar. »Da hat mal eine andere den Rasen gemäht«, dachte Karin Kröll kürzlich, als sie nach Hause kam, bis sich herausstellte, dass es keine Mitbewohnerin aus der Villa, sondern der Gartenservice der SAGA GWG war, der das Gras im Vorgarten gestutzt hatte. »Sie räumen Schnee, obwohl wir gesagt haben, dass wir das machen. Aber das beinhaltet wohl die übliche SAGA-Verwaltung«, so Kröll. »Irgendwann kommt die Rechnung«, glaubt sie.
Die Küche in der Villa Magdalena K. teilen sich fünf Frauen. Kröll und Shirin Kunze sitzen am Tisch, auf dem Verträge, Fotos und Briefe liegen. »Bereits 1997 sind wir an die SAGA verkauft worden – und keiner hat’s gemerkt, nicht einmal die SAGA«, sagt Kröll. Seit fast 25 Jahren, nach einer kurzen Besetzung und einer mehrjährigen Sanierung in Eigenleistung, leben Handwerkerinnen und Künstlerinnen in dem Gebäude der Stadt Hamburg. Bittere Ironie der Geschichte: Auch dieses Haus gehörte schon einmal der SAGA. Damals, vor der Besetzung, ließ sie es leerstehen und verfallen.
Gemeinsam mit benachbarten Projekten wie der Mädchen-Oase und einigen Schulen nutzen die Frauen Atelier, Galerie und Werkstätten. Sie kümmern sich darum, dass der Rasen gemäht wird, neue Fenster eingesetzt werden und das Dach erneuert wird. Auch die Betriebskostenabrechnung erstellen sie selbst. Mittlerweile zahlen sie knapp sechs Euro für den Quadratmeter, davon geht eine Pauschale für die Instandhaltung ab. Erst Ende 2011 haben sie – per Telefon – von dem Verkauf erfahren. Dabei war das Haus bereits 1997 mit einer Reihe anderer Gebäude in der Nachbarschaft an die SAGA übertragen worden. Kurios: Noch 2009, als das Haus bereits der SAGA gehörte, was aber offenbar keiner der Beteiligten zu diesem Zeitpunkt wusste, handelte die Stadt über die Lawaetz Service GmbH neue Mietvertragsergänzungen mit dem Verein aus. Darin wurden Verlängerungsoptionen und moderate Mietsteigerungen vereinbart. Doch in diesem Frühjahr nun verweigerte die SAGA GWG die Vertragsverlängerung, weil diese Option 2009 nicht in Absprache mit ihr ausgehandelt worden und deshalb nicht gültig sei. Gleichzeitig erkenne sie aber andere Teile der gleichen Vertragsergänzung, etwa die regelmäßige Mieterhöhung, sehr wohl an, sagt Kröll. »Wie es 2016 weitergeht, wissen wir momentan nicht«, so Kunze. Angesichts der unsicheren Perspektive sei es schwer, anstehende Sanierungen wie die Fassadenerneuerung anzugehen. Bleibt es beim plötzlichen Nein zur Verlängerungsoption, dann läuft im November dieses Jahres der Mietvertrag für die Villa Magdalena K. aus.