Linke Syriza-Anhänger sind enttäuscht

Zwischen Hoffnung und Resignation

Nach der grundsätzlichen Einigung zwischen der griechischen Regierung und den Geldgebern sind viele Syriza-Anhänger enttäuscht. Aber die Demonstrationen bleiben klein.

Die Stimmung in Griechenland scheint zu kippen. Der Wahlsieg von Syriza am 25. Januar ließ viele Menschen Hoffnung schöpfen, dass der Kampf gegen die Austeritätspolitik Erfolg haben könne. Nach dem deutlichen Erfolg des »Nein« im Referendum vom 5. Juli schlug diese Hoffnung geradezu in Euphorie um. Für eine Woche lebten viele griechische Linke in dem Gefühl, dass sich etwas bewegt, dass sich Kräfteverhältnisse verändern und sie dazu beitragen. Die Ernüchterung setzte einer Woche später ein, als das griechische Parlament die Regierung beauftragte, den Gläubigerstaaten einen Einigungsvorschlag vorzulegen, der sich nur in Nuancen von den im Referendum abgelehnten Maßnahmenkatalog der Euro-Gruppe unterscheidet. Avraam, Mitte 50, Syriza-Basisaktivist in einem Athener Arbeiterviertel, meint dazu: »Die Parteiführung hat mit einem wesentlich knapperen Ergebnis gerechnet. Sie haben uns angerufen und gesagt, es wird hart, aber wir müssen die 50 Prozent schaffen. Die haben nicht damit gerechnet, dass die Leute so weit mitgehen. Große Teile der Bevölkerung sind weit radikaler als unsere Parteiführer. Die gehen nun nach Brüssel mit einem Vorschlag, den wir gerade abgelehnt haben. Ich hoffe nur, dass die Europäer den Vorschlag nicht akzeptieren und uns aus dem Euro schmeißen.«

Dass die Forderung nach einem Ausstieg aus dem Euro jedoch kaum mehrheitsfähig ist, wird am Sonntagabend, dem 12. Juli, auf dem Syntagma-Platz vor dem Parlament deutlich. Das linke Bündnis Antarsya hatte zu einer Demonstration für die Beendigung der Verhandlungen und den Austritt aus dem Euro und der EU aufgerufen. Es sind einige Hundert Leute aus verschiedenen linksradikalen Gruppen, die fordern, dass die griechische Delegation die Verhandlungen abbrechen und nach Athen zurückkehren solle. Stavros, Befürworter eines Euro-Ausstiegs, stellt mit Blick auf die kleine Demonstration fest: »Tja, wir sind halt die Minderheit. Die Masse will nicht zurück zur Drachme.« Die Veranstalter hingegen sehen den Grund für die schwache Teilnahme darin, dass die Leute alle vor den Fernsehern säßen und das Ergebnis der Verhandlungen abwarteten.
Doch auch am Montag, nach der Bekanntgabe der Einigung von Brüssel, ändert sich das Bild auf dem Syntagma-Platz nicht. Erneut haben mehrere linke Gruppen zur Demonstration vor dem Parlament aufgerufen. Es sind aber lediglich einige Protestierende mehr, nicht nur der harte Kern der Athener außerparlamentarischen Linken. Neben Transparenten und Fahnen der vertretenen Organisationen werden einige griechische Flaggen geschwenkt, doch die Sprechchöre aus dem Lautsprecher verhallen über den in lockeren Grüppchen herumstehenden Demonstranten. Diesmal sehen die Organisatoren den Grund darin, dass die Menschen zu schockiert von dem Ergebnis seien, um auf die Straße zu gehen.
Tatsächlich wirkt die Bekanntgabe der von Ministerpräsident Alexis Tsipras in Brüssel akzeptierten Auflagen auf viele geradezu wie ein physischer Schock. Elena, Syriza-Anhängerin, ist erschüttert und vor Wut den Tränen nah: »Wofür haben wir abgestimmt? Dafür, dass wir jetzt Sparmaßnahmen durchsetzen sollen, die keine griechische Regierung bisher durchbekommen hat?« Andere nehmen es mit schwarzem Humor. Vasilios, Syriza-Mitglied, Gegner der Einigung von Brüssel und deswegen von Parteifunktionären aufgefordert, die Partei zu verlassen, lacht bitter: »Ich komme aus einer Familie von Erschossenen und Verbannten. Ich bin mit den Geschichten der verratenen Revolutionen aufgewachsen. Ich werde nun wahrscheinlich von ehemaligen Pasok-Leuten aus der Partei geworfen.«
Andere verteidigen die Regierung. »Auch Lenin hat den Vertrag von Brest-Litowsk unterzeichnet, das ist nicht das Ende«, insistiert Stefanos, Künstler aus Exarchia. Die in der internationalen Presse erwartete Spaltung der Partei findet aber vorerst, trotz vereinzelter Rücktritte von Abgeordneten und Regierungsmitgliedern, nicht statt. Zwar erklären Mitte voriger Woche 109 von 201 Mitgliedern des Zentralkomitees, faktisch des erweiterten Parteivorstandes von Syriza: »Diese Übereinkunft ist nicht vereinbar mit den Ideen und Prinzipien der Linken, aber vor allem ist sie nicht vereinbar mit den Bedürfnissen der arbeitenden Klassen. Dieser Vorschlag kann von den Mitgliedern und Funktionären von Syriza nicht akzeptiert werden.« Sie fordern eine Dringlichkeitssitzung des ZK. Gleichzeitig rufen sie aber auch dazu auf, die Einheit der Partei zu bewahren.

Auch die Abgeordneten der linken Plattform, der größten und am besten organisierten Strömung innerhalb Syrizas, der etwa 20 Prozent der Parteimitglieder zugerechnet werden und die in der Regierung durch Panagiotis Lafazanis, den nun von Tsipras entlassenen Minister für industriellen Wiederaufbau, Umwelt und Energie, vertreten war, erklären am gleichen Tag, sie würden zwar gegen die für die Umsetzung der Brüsseler Einigung notwendigen Gesetze stimmen, aber weiterhin die Regierung unterstützen. Wie diese Unterstützung praktisch aussehen soll und wie weit sie gehen kann, vor allem wenn die Regierung die ihr von den Gläubigern auferlegten Maßnahmen gegen die Proteste der Betroffenen durchsetzen muss, bleibt allerdings unklar.
Während das Parlament diskutiert, wird vor dem Gebäude den dritten Tag in Folge demonstriert. Aufgerufen haben diesmal auch die traditionskommunistische KKE und der ihr nahestehende Gewerkschaftsverband Pame. Die KKE hat die Politik Syrizas von Anfang an scharf kritisiert und hat nun wenig Probleme, zum Widerstand gegen die Regierung aufzurufen. Aber auch ihr gelingt es nicht, mehr als einen symbolischen Protest zu organisieren. Die von ihr aufgerufenen Volksmassen jedenfalls erscheinen nicht auf dem Syntagma-Platz. Da hilft es auch nicht, dass der 90jährige Komponist Mikis Theodorakis, Symbol des Widerstands gegen die Obristendiktatur von 1967 bis 1974, das Volk dazu aufruft, gemeinsam mit den Kommunisten Widerstand gegen die Deutschen zu leisten. Am Abend der Abstimmung kommt es vor dem Parlament zu den heftigsten Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei seit der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Syriza. Hatten bei der Wahl auch viele Autonome und Anarchisten insgeheim Syriza gewählt, sich mehr noch Anfang Juli offen an der Kampagne für das »Nein« beim Referendum beteiligt, greift nun die Enttäuschung um sich. Maria, Anwältin und Antirassistin, glaubt den Versprechungen Tsipras’ nicht, die Regierung werde weiter alles für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der armen Griechen tun: »Die werden sich mit den Oligarchen nicht anlegen. Die Leute um Tsipras sind verbandelt mit den herrschenden Familien. Das ist der gleiche Mist, den wir bisher hatten, nur in einer neuen Farbe.« Stefanos hingegen will die Hoffnung nicht aufgeben: »Wir müssen Zeit bis zu den Wahlen in Spanien gewinnen, wenn Podemos gewinnt, dann verschieben sich die Gewichte in Europa noch einmal, dann sind wir nicht mehr allein und verhandeln erneut.«
Andere sind, was die europäische Linke angeht, nach den Erfahrungen des vergangenen halben Jahres skeptischer. »Natürlich sind das alles Bastarde«, sagt Avraam mit einem Blick auf das Parlament, »aber keiner in Europa hat das Recht, mit dem Finger auf sie zu zeigen. Was diese Regierung vom ersten Tag an gebraucht hätte, war tatsächliche materielle und politische Unterstützung, und seien es Konvois mit Lebensmitteln. Aber außer warmen Worten: nichts.«