Die Koalitionsverhandlungen in der Türkei sind gescheitert

Erdogan mischt sich ein

Die Koalitionsverhandlungen zwischen Erdoğans AKP und der sozialdemokratischen CHP blieben ergebnislos.

Es ist ein merkwürdiges Spiel, das in Ankara gespielt wird. Tagelang verhandelten Delegationen von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğans regierender AKP und der sozialdemokratischen CHP miteinander. Glaubt man der Darstellung der CHP, so redeten jedoch nur ihre Vertreter, während die der AKP schweigend dasaßen und sich Notizen machten, um schließlich zu sagen: »Lasst uns doch eine Regierung für drei Monate machen.«
Damit war auch nach den Worten von Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu jede Chance auf eine dauerhafte Koalition vertan. Die Börse und die Devisenkurse brachen ein wie lange nicht mehr. In diesem Moment meldete sich der Vorsitzende der ultranationalistischen MHP zu Wort und kritisierte das Scheitern der Koalitionsverhandlungen. Dabei könnte auch seine MHP mit der AKP eine Regierung bilden. Doch Devlet Bahçelis Bedingungen sind für die AKP unannehmbar. Aber vielleicht war Bahçelis Auftritt vor allem dazu gedacht, am Ende seine Bedingungen etwas abzuschwächen. Vielleicht würden sich über die Parteigrenzen hinweg diejenigen im Parlament zusammenfinden, die wenig Lust auf baldige Neuwahlen haben.
Doch Erdoğan trat den Funken sofort wieder aus. Er sagte, das Regierungssystem der Türkei habe sich geändert, dem müsse nun auch gesetzlich Rechnung getragen werden. Gemeint ist, dass Erdoğan die verfassungsgemäßen Grenzen seines Amtes überschreitet, indem er der Regierung praktisch vorschreibt, was sie zu tun hat, und auch parteipolitisch auftritt, ganz so, als wäre er Präsident, Ministerpräsident und Parteivorsitzender in einer Person.

Damit wiederholte Erdoğan seine Einmischung in die Regierungsgeschäfte. Genau diese Einmischung ist aber einer der Hauptgründe, warum keine Koalition zustandekommt. Denn sowohl die CHP als auch die MHP befürchten, dass sie in einer Regierung mit Erdoğan im Hintergrund nur ein Feigenblatt sein werden.
Der andere Grund ist, dass Erdoğan keine Koalitionsregierung will. Der Präsident hat sich längst auf Neuwahlen festgelegt und spinnt bereits an der Mär, dass das schlechte Wahlergebnis vom Juni nur zustandegekommen sei, weil kurdische Politiker den Wählern mit ihren PKK-Verbindungen gedroht hätten.

Türkische Demoskopen prognostizieren derzeit für Neuwahlen keine großen Veränderungen. Dazu seien die Wähler zu sehr polarisiert. Die prokurdische HDP wird demnach einige Stimmen von Leuten verlieren, die sie vor allem gewählt haben, damit sie ins Parlament kommt, um eine Mehrheit der AKP verhindern. Die meisten Stimmen erzielte die HDP allerdings bei den Kurden und die wird sie wohl behalten. Die HDP wird derzeit bei gut zwölf Prozent und damit wieder im Parlament gesehen. Die Stimmen, die die HDP verliert, gehen nach den Umfragen außerdem an die CHP, nicht an Erdoğan.
Die meisten Chancen hat Erdoğan bei den MHP-Wählern, denen sein strammer antikurdischer Kurs gefällt. Doch Erdoğan hält sich weiter Hintertüren in der Kurdenfrage offen, neue Verhandlungen mit Abdullah Öcalan hat er keineswegs ausgeschlossen. Wohl deshalb kommt Erdoğans kriegerische Haltung bei den Ultranationalisten nicht ganz an. Bisher werden nur moderate Zugewinne der AKP aus dem Lager der MHP angenommen.
Indem Erdoğan selbst die Ausdehnung seiner präsidialen Amtsgewalt wieder in den Vordergrund rückte, sprach er ein Thema an, mit dem seine Partei im Juni nicht gut zurechtkam. Die kurdische HDP bräuchte ihre Wahlkampfparole vom Juni nur leicht anzupassen, von »Wir werden dich nicht zum Präsidenten machen« zu »Wir werden dich wieder nicht zum Präsidenten machen«.
Erdoğan scheint indessen darauf zu vertrauen, dass er in der entfachten Atmosphäre des Antiterrorkampfes die Opposition schon an die Wand drücken wird. Außerdem haben findige Juristen herausgefunden, dass die Parteien bei einem zweiten Wahlkampf im Jahr keinen Anspruch auf Wahlkampfgelder haben. Das trifft vor allem die Opposition, denn Erdoğan kann auf die Ressourcen des Staats zurückgreifen und hat ohnehin einen riesigen Medienapparat hinter sich.