Haifa Al-Hababi im Gespräch über Wahlen und Frauenrechte in Saudi-Arabien

»Wir machen so etwas zum ersten Mal«

Bis Mitte September konnten sich in Saudi-Arabien erstmals Frauen für die im Dezember geplanten Lokalwahlen als Kandidatinnen und Wählerinnen registrieren lassen. König Abdullah hatte diese Entscheidung vor vier Jahren angekündigt, sein Nachfolger König Salman setzte sie nun um. Die Befugnisse der Gemeinderäte sind begrenzt, zwei Drittel der Ratsmitglieder werden gewählt, der Rest wird ernannt. Die 36jährige Haifa al-Hababi ist eine der wenigen Frauen, die sich für die Wahlen aufstellen ließen. Sie hat zehn Jahre in London studiert und zur Rolle der Frau in der Architektur promoviert. Derzeit ist sie Dozentin an der Prinz-Sultan-Universität in Riad. Die Jungle World sprach mit ihr über die Situation von Frauen in Saudi-Arabien und die politische Relevanz der neusten Entwicklung.

Wie hat sich die Situation von Frauen unter König Abdullah verändert?
König Abdullah war der Ansicht, dass für eine bessere Zukunft des Landes vor allem Bildung wichtig ist. Er setzte sich dafür ein, dass alle Personen, egal welchen Geschlechts, Zugang zu Bildung bekommen. Er hat Frauen staatlich finanzierte Stipendien und Auslandsaufenthalte in Europa, Amerika und Asien ermöglicht. Nicht wenige junge Frauen haben deshalb einen Universitätsabschluss. Das hat sich ausgezahlt. Viele junge Frauen kommen aus dem Ausland zurück und kurbeln politische Prozesse im Land an.
Wird sich die Änderung des Wahlrechts auf das Königshaus auswirken?
Ich glaube, dass die Auswirkungen marginal sein werden. Die Politiker und Politikerinnen in Saudi-Arabien haben derzeit nur wenig Befugnisse. Sie kümmern sich unter anderem um die Verkehrspolitik, das Recycling und Baugenehmigungsangelegenheiten. In meinem Land ist der Gemeinderat nicht der Kern der Stadt. Ganz im Gegensatz zu europäischen Städten.
Gehen viele Frauen wählen?
Nicht besonders viele. Auch die Zahl an Männern, die wählen gehen, ist sehr klein. Bis gestern waren es, gemessen an der Einwohnerzahl, nur wenige Menschen, die sich in Riad als Wahlberechtigte registriert haben. Generell haben Politikerinnen und Politiker also wenig Unterstützung und Legitimation durch die Bevölkerung. Den Menschen ist das Wählen leider nicht so wichtig.
Was ist der Grund dafür, dass so wenige Menschen wählen gehen?
Ich denke, es liegt daran, dass wir in Saudi-Arabien keine Steuern zahlen. Dadurch entsteht kein ernsthaftes Verantwortungsgefühl für die politischen Prozesse im eigenen Staat. Niemand hat das Gefühl, dass das, was entschieden wird, eine Relevanz für das eigenen Leben hat. In Europa wird durch Steuergelder zum Beispiel die Müllabfuhr finanziert. Hier hingegen werden solche Leistungen vom Staat getragen.
Menschen, die hier etwas bewegen wollen, die an die Demokratie glauben, beteiligen sich auch an den Wahlen. Ich vermute aber, dass viele denken, dass es in Saudi-Arabien für immer Öl geben wird. Eines Tages wird es kein Öl mehr geben und bis dahin müssen wir hier politisch etwas verändern.
Kennen Sie andere Frauen, die kandidieren?
Ja, die meisten sind schon etwas älter als ich. Sie gehören zu der ältesten Generation derer, die all die Umbrüche erlebt haben. Sie zählen zu den Frauenrechtlerinnen, die sich für Gleichstellung eingesetzt haben. Sie waren zum Beispiel stark in die Debatte um das Autofahren involviert. Die meisten von ihnen haben eine gute Bildung genossen und einen Doktorinnentitel. In den siebziger und achtziger Jahren sind sie ins Ausland gegangen, um dort zu studieren und sind dann zurückgekehrt, um sich für Reformen im eigenen Land einzusetzen.
Wie organisieren Sie sich derzeit? Gibt es einen Verbund von Frauen, die sich für die Wahlen aufstellen lassen?
Wir haben hier ja keine Parteien, dennoch halten wir als Interessengemeinschaft der Frauen zusammen. Vor einiger Zeit bin ich auf eine Twitter-Ankündigung aufmerksam geworden. Es wurde ein Workshop für weibliche Interessierte angekündigt. Ich nahm teil und konnte 45 andere Kandidatinnen kennenlernen. Unsere libysche Trainerin Nadine Sawa, die Leiterin der Bewegung, die sich mit der Müllproblematik beschäftigt, klärte uns über die politischen Grundlagen von Wahlen auf. Als Staat ist Saudi-Arabien erst 86 Jahre alt. Diese Wahlen bilden also so etwas wie unsere erste Demokratieerfahrung. Von daher haben wir von ihr eine Menge lernen können. Nach dem Workshop haben die Kandidatinnen eine gemeinsame Whatsapp-Gruppe gegründet. Täglich tauschen wir uns über unsere Erfahrungen aus und teilen relevante Nachrichten.
Was sagen Sie zum Ablauf bei der Einführung erster demokratischer Strukturen?
Irgendwas stimmt mit dem Timing noch nicht ganz (lacht). Das Seltsame ist, dass es nur drei Wochen gibt, um sich zu registrieren. Zum Wählen hat die Bevölkerung jedoch fast drei Monate Zeit. Von anderen Ländern weiß ich, dass man sich teilweise noch bis zum letzten Tag vor der Wahl registrieren lassen kann. Auch hier glaube ich, dass es daran liegt, dass wir so etwas zum ersten Mal machen und noch am Ausprobieren sind.
Welche Position hätten Sie inne, wenn Sie ­gewählt würden?
Ich wäre Mitglied im Gemeinderat im Olaya-Viertel von Riad. Ich versuche es so zu beschreiben: Wir sind wie das Auge der Leute auf das Beratungsgremium des Königs.
Was würden Sie als Politikerin verändern wollen? Was sind Ihre Träume?
Ich wünschte mir ein Parlament wie in Europa wünschen. Ich würde mich auch gerne für ein richtiges Steuersystem einsetzen. In jeder Gemeinde wünschte ich mir die Verwirklichung eines festen Gesetzgebungssystems. Das ist mir am Wichtigsten. Denn dann würden die Menschen ein Gefühl von Partizipation verspüren. Ohne eine ausgearbeitete und verschriftlichte Gesetzgebung wird sich hier nicht so viel ändern und die Bewegung im Keim ersticken.
Wie steht es derzeit um die Rechtsprechung in Saudi-Arabien?
Das Problem ist, dass Saudi-Arabiens Gesetzgebung hauptsächlich nach ungeschriebenen Gesetzen funktioniert. Dieses Prinzip begünstigt eine flexible und offene Auslegung. In westlichen Medien wird ja oft betont, dass Frauen in Saudi-Arabien vor dem Gesetz schlechter dastehen. Das stimmt auch. Über etwas anderes wird jedoch nicht berichtet. Ich möchte nur ausnahmsweise erwähnen, an welcher Stelle Männer benachteiligt werden können; nämlich, wenn es um die gemeinsamen Kinder geht. Die Kinder werden nach einer Scheidung meistens der Frau überlassen. Doch auch hier gilt: es gibt kein festes Gesetz. Wem Recht gegeben wird, hängt oft davon ab, wer zuerst Anklage erhebt und an welches Gericht man sich gewendet hat. Es ist auch kein geschriebenes Gesetz, dass Frauen nicht Auto fahren dürfen. Faktisch fährt natürlich kaum eine Frau Auto und das ist zu kritisieren. Es handelt sich hier eher um eine mündliche Vereinbarung der Mitglieder einer Gemeinde. In großen Städten fahren Frauen kein Auto, wenn man jedoch aufs Land, sieht man Frauen am Steuer.
Sie erwähnen westliche Medien, was ist Ihre konkrete Kritik an diesen?
Es herrschen Stereotype vor und es wird nach dem gesucht, was gefunden werden soll. Ich würde mich darüber freuen, wenn mehr Menschen hierherkämen, um sich tatsächlich ein Bild über das zu machen, worüber sie berichten. Als ich in London studiert habe, wurde ich oft gefragt, woher ich komme. Niemand hat mir geglaubt, dass ich aus Saudi-Arabien stamme, weil mir die Eigenschaften »Offenheit« und »Flexibilität« zugesprochen wurden.