Das Erbschaftsrecht wird geändert

Erben ist keine Sünde

Die Bundesregierung überarbeitet das Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz. Angesichts der vorliegenden Pläne müssen Erben auch in Zukunft keine Angst haben. Große Vermögen werden auch weiterhin geschont.

»Die Erbschaftssteuer ist die größte Dummensteuer, die wir in Deutschland haben«, urteilte vor gut zwei Jahren selbst einer der eifrigsten Verfechter der steuerlichen Schonung großer Vermögen. Die Zahlen geben Lars P. Feld, einem »Wirtschaftsweisen« und Mitglied im Rat der Sachverständigen der Bundesregierung, recht. Denn trotz der immer größeren Gesamtsummen, die in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten vermacht wurden, blieben Erbschaften weitgehend vom Staat verschont, wenn die Erben sich nicht allzu blöd anstellten.
Betrug das vererbte Gesamtvermögen im Jahr 1990 umgerechnet noch etwa 74 Milliarden Euro, so erreichte es im vergangenen Jahr einer Studie der Postbank zufolge schätzungsweise 264 Milliarden Euro. Rechnet man noch den im selben Jahr erzielten Rekord an innerfamiliären Schenkungen in Höhe von 39,9 Milliarden Euro hinzu, auf den das Statistische Bundesamt unlängst hinwies, so ergibt sich eine Summe von über 300 Milliarden Euro, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde. In die Staatskasse wanderten von dieser gigantischen Summe allerdings lediglich 5,5 Milliarden Euro – ­weniger als zwei Prozent und als absoluter Betrag etwa so viel wie 1990. Kaum ein Prozent zum Gesamtsteueraufkommen trugen Erben und großzügig Beschenkte damit zur Finanzierung der öffentlichen Haushalte im vergangenen Jahr bei.
Dass auch die Erbschaften selbst immer unterschiedlicher ausfallen, versteht sich fast von selbst. So hat zwar jeder fünfte Bundesbürger eine Erbschaft in mindestens sechsstelliger Höhe zu erwarten. Fast 40 Prozent der Gesamtsumme entfallen allerdings auf weniger als ein Tausendstel der Hinterlassenschaften.

Daran, dass Einkommen relativ hoch und Vermögen so gut wie gar nicht besteuert werden – die Einkommensteuer trägt über 64 Prozent zum gesamten Steueraufkommen bei –, wird auch die derzeit diskutierte Neuregelung der Erbschaft- und Schenkungsteuer nichts ändern, die vom Bundesfinanzministerium vorgelegt wurde. Denn an den beiden Grundlagen der annähernden Nichtbesteuerung von Erbschaften, den hohen Freibeträgen und der seit 2009 gültigen vollständigen Schonung von Betriebsvermögen, will die Bundesregierung festhalten, was kaum überraschend ist.
Eine Neuregelung wurde notwendig, weil der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts Ende 2014 »die steuerrechtliche Privilegierung von Unternehmenserben gegenüber Erben anderer Vermögenswerte für unvereinbar mit dem Grundgesetz« erklärte. Bis Mitte dieses Jahres gab das Gericht Bundestag und Bundesrat Zeit, eine neue gesetzliche Regelung zu beschließen. Hilfreich für die Genossen der Bosse in den Koalitionsparteien ist, dass das Urteil sich nicht grundsätzlich gegen die Privilegierung von Unternehmens­erben richtete. Im Gegenteil: »Der Senat betont in seiner Entscheidung, dass der Schutz von Familienunternehmen und Arbeitsplätzen grundsätzlich einen legitimen Sachgrund darstellt, Betriebe teilweise oder vollständig von der Steuer zu befreien«, sagte Ferdinand Kirchhof, der Vorsitzende des Ersten Senats, anlässlich der Entscheidung.
Dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und weitere Finanzpolitiker der Koalition möglichst wenig zu ändern gedenken, wird nicht nur daran deutlich, dass das am 27. Februar vor­gelegte Eckpunktepapier, das die Grundlage des Gesetzentwurfs darstellt, lediglich zwei Seiten umfasst. In denen stand auch explizit, man wolle sich auf »minimalinvasive Korrekturen« beschränken. Zwar solle bei Vermögenswerten über der Millionengrenze geprüft werden, ob es sich um originäres Firmenvermögen handele, aber in der Praxis sollen erst bei Werten über 20 Millionen Euro – im Gesetzentwurf hat man sich in der Koalition nach Interventionen des CDU-Wirtschaftsflügels inzwischen auf die doppelte Summe geeinigt – Steuern fällig werden können, wenn der Betrieb weitergeführt wird. Wem das nicht ausreiche, der könne noch eine »individuelle Bedürfnisprüfung« vornehmen lassen, bei der der Nachweis der Gefährdung der Unternehmens­erhaltung durch die Verringerung der Vermögenswerte ausreichen würde, um eine Stundung und im Falle von Investitionen gar Streichung der Steuerschuld zu erwirken.

Des »Alarms der Familienunternehmen« (FAZ) nach Bekanntwerden der Pläne nahm sich die Bundeskanzlerin schließlich ganz persönlich an. Auf dem von der »Stiftung Familienunternehmen« im Juni in Berlin abgehaltenen »Tag des deutschen Familienunternehmens« machte Angela Merkel als Gastrednerin den Anwesenden deutlich, auf wessen Seite sie steht. Ihre Regierung habe einen Weg gefunden, um den »Kernbereich, nämlich das zu vererbende Vermögen«, zu schützen. »Sie dürfen davon ausgehen, dass wir uns Mühe geben, Regelungen zu finden, die Ihnen helfen«, versprach sie.
In dem einen Monat später veröffentlichten Gesetzentwurf wurden dann nicht nur die Prüfuntergrenzen für die Unternehmenswerte verdoppelt, sondern auch die Grenzen der »Verschonungsbedarfsprüfung« auf 26 Millionen Euro für herkömmliche Familienunternehmen beziehungsweise 52 Millionen Euro für Familienunternehmen mit Konzernstrukturen nochmals angehoben. So wurde sichergestellt, dass das »Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts« keinem Millionen- und Milliardenerben wehtun wird. Für den Rest sorgen spezialisierte Anwaltskanzleien.
Einige Hardliner in der CDU/CSU-Fraktion jammern weiterhin, wie etwa Christian Freiherr von Stetten, der von der Fraktion bestimmte ­Berichterstatter für die Reform und Vorsitzende des »Parlamentskreises Mittelstand«, dem mehr als die Hälfte aller christdemokratischen Abgeordneten angehört. Sie stellen die Neuregelung als gerade noch mit Mühe und Not akzeptabel dar, was eher taktischem Kalkül entspringen dürfte, um die Grünen, deren Zustimmung im Bundesrat wegen der Mehrheitsverhältnisse und dem Zugriff der Länder auf diese Steuern erforderlich ist, auf den vorliegenden Entwurf einzuschwören. Wer von den Grünen könnte sich aber von Stettens Argumentation verschließen: »Wir dürfen mit unserer Gesetzgebung nicht zulassen, dass auch nur ein einziges Unternehmen Deutschland wegen der Erbschaftsteuer verlassen muss. Wenn dies passieren würde, hätten wir unsere Auf­gabe als Bundesgesetzgeber falsch verstanden«, mahnte er eindringlich in der FAZ und warnte alle, man dürfe sich nicht am »Wirtschaftsstandort Deutschland versündigen«. Bei den Grünen, deren Wählerschaft im Durchschnitt die reichste aller Parteien ist, dürfte er da auf großes Verständnis treffen.

Wenn, wie anzunehmen ist, der Gesetzentwurf im kommenden Frühjahr endgültig angenommen wird, wird die Bundesregierung damit dem zur Ständeordung übergehenden Kapitalismus und seiner Oligarchie einen zukunftsweisenden Dienst leisten. Nach einer von der Postbank bereits im Jahr 2011 veröffentlichten Studie wird die Gesamtsumme der Erbschaften in der Dekade von 2011 bis 2020 exponentiell auf insgesamt 2,6 Billionen Euro steigen und sich gegenüber dem Vorjahrzehnt immerhin verdoppeln. Die wenigen glücklichen Nachkommen werden auch künftig kaum zur Kasse gebeten.