In Indonesien stockt die Vergangenheitsaufarbeitung

Offene Wunden

In Indonesien wird die Aufarbeitung der antikommunistischen Massaker vor 50 Jahren immer noch behindert.

Während Indonesien als Ehrengast der diesjährigen Frankfurter Buchmesse im Rampenlicht stand und eine Reihe von politischen Romanen vorstellte, ist es mit der Pressefreiheit im eigenen Lande nicht weit her. Was im Ausland erlaubt ist, darf in Indonesien selbst nicht sein. Vergan­gene Woche fand auf Bali das jährliche Ubud Writers and Readers Festival statt. Unter Drohungen forderte der indonesische Geheimdienst die Festivalveranstalterin auf, alle Veranstaltungen, die mit der kritischen Aufarbeitung der Massaker von 1965/66 im Zusammenhang stehen, vom Programm zu streichen; es durften keine kritische Autoren zu Wort kommen.
Bei den antikommunistischen Pogromen vor 50 Jahren wurden in Indonesien zwischen 500 000 und einer Million Mitglieder der Kommunistischen Partei sowie mutmaßliche Sympathisanten, aber auch viele ethnische Chinesen durch Angehörige des indonesischen Militärs unter Führung von General Suharto umgebracht (Jungle World 33/2015). In Ubud sollten dieses Jahr nicht nur Akademiker, sondern auch Überlebende und Zeitzeugen zu Wort kommen. Die Vorbereitungen für das Gedenken an die Pogrome vor 50 Jahren liefen seit über einem Jahr. Unter anderem wurde eine Reihe von Büchern, die sich dem Thema widmen, ins Englische übersetzt. Neben den geplanten Lesungen und Diskussionen wurde aufgrund des politischen Drucks auch die Vorführung des preisgekrönten Films »The Look of Silence« von Joshua Oppenheimer untersagt. Befragt nach den Gründen des Verbotes, antwortete der lokale Polizeichef Farman: »(Das Verbot) ist zum Nutzen aller, das Festival sollte keine Themen behandeln, die alte Wunden aufreißen könnten.« Kommunisten wurden in ganz Indonesien verfolgt, denunziert, eingesperrt und getötet, doch auf Bali gab es besonders viele Opfer.

Die Unterbindung einer kritischen Vergangenheitsaufarbeitung durch Geheimdienst oder Polizei ist kein Einzelfall. Seit 50 Jahren werden die Massaker an den Kommunisten mit allen zur Verfügung stehenden staatlichen Mitteln totgeschwiegen. Mitte Oktober forderten Angehörige von Polizei und Militär, dass die Publikation einer Sonderausgabe der Campus-Zeitschrift Lentera, herausgegeben von einer studentischen Vertretung der Universität Satya Wacana in Salatiga, Zentraljava, zum selben Thema unterbunden werden müsse. Die konfiszierten 500 Hefte wurden trotz lautstarker Proteste von Menschenrechts- und Presseorganisationen anschließend verbrannt.
Etwa zur selben Zeit wurde Tom Iljas aus Indonesien deportiert und erhielt ein unbegrenztes Einreiseverbot. Iljas, 77 Jahre alt und in Schweden im Exil lebend, hatte zusammen mit einer Filmcrew ein Massengrab in Nordsumatra besucht, in dem er seinen ermordeten Vater vermutet. Als er an dem Grab beten wollte, wurde er verhaftet, verhört und anschließend ausgewiesen. Zum Zeitpunkt der Massaker studierte Iljas Landwirtschaft in Peking. Wie viele seiner Kommilitonen durfte er nach 1965 nicht mehr nach Indonesien zurückkehren und verlor seine indonesische Staatsbürgerschaft. Erst nach dem Machtwechsel von 1998, als General Suharto abtreten musste, durften viele zwangsausgebürgerte Indonesierinnen und Indonesier zurückkehren.
Mit dem Machtwechsel und den sich anschließenden Reformen verbanden viele nicht nur die Hoffnung auf mehr Demokratie, sondern auch auf eine umfassende Vergangenheitsaufarbeitung und eine Wiedergutmachung für die Opfer. Nicht nur die unmittelbar Betroffenen hatten an Gewalt und Verfolgung gelitten, auch ihre Familienangehörigen wurden über zwei Generationen hinweg in Alltag und Berufsleben stigmatisiert.

Nach einer mehrjährigen Untersuchung mit hunderten von Zeugenbefragungen veröffentlichte die indonesische Menschenrechtskommission 2012 einen Bericht, der die Ereignisse von 1965 als schwere Menschenrechtsverletzungen einstufte und forderte, die verantwortlichen ­Militärangehörigen vor Gericht zu stellen. Bisher hat die Staatsanwaltschaft nicht reagiert. Suharto war bereits 2008 verstorben, ohne zur Rechenschaft gezogen worden zu sein, viele andere Verantwortliche jedoch sind noch am Leben. Vom jetzigen Präsidenten Joko Widodo ist kein Ende der Straffreiheit zu erwarten. Im ersten Jahr ­seiner Regierungszeit hat er viele seiner früheren Unterstützer mit einer Politik verschreckt, die alles andere als menschenrechtsfreundlich ist. Außerdem ist Widodo auf die Unterstützung der alten Oligarchie aus Suharto-Zeiten angewiesen, um überhaupt zu regieren können. Angesichts des längst ins Stocken geratenen Reformprozesses in Indonesien sprechen Kritiker mittlerweile von der Post-Post-Suharto-Ära.