Die pathologischen Züge des Islamismus

Zur Psychopathologie des Islamismus

Messerattacken, Selbstmordattentate und Märtyrertum: Islamismus als grenzüberschreitender Narzissmus und Somatisierung am An­deren.

Dagestan, Nordkaukausus, Oktober 2009: Auf der Haut eines neun Monate alten Babys erscheinen Koranverse, wenn die Mutter mit einem heißen Handtuch darüber streicht. Für die muslimische Welt ein Wunder, für die Wissenschaft eine Form von Urtikaria, die Dermographismus heißt. Damit ausgerechnet Koranverse erschienen, hatten die Eltern die Haut des Kindes ein paar Tage zuvor mit Säure oder Hitze gereizt. Mit ihrem angeblichen Beweisfilm produzierten sie unwillkürlich eine Reminiszenz an dem Film »Submission« des 2004 ermordeten niederländischen Regisseurs Theo van Gogh. Darin klagen drei Frauen Allah ihr Leid: Peitschenhiebe, Schläge, Vergewaltigung. Auf ihrer vernarbten Haut erscheinen misogyne Verse aus dem Koran. Der gleiche Koran schreibt sich in Form der Jungenbeschneidung auch in die Haut der männlichen Muslime. Und die Haut der Apostaten und Ungläubigen wird in fast allen Suren mindestens einmal ewigem Feuer oder Züchtigungen überantwortet: »Jedesmal, wenn ihre Haut verbrannt ist, tauschen Wir sie ihnen gegen eine andere Haut aus, damit sie die Strafe kosten.« (Koran 4:56) Wie die Strafmaschine in Kafkas »Strafkolonie« weiß der jedes Vergehen exakt aburteilende Richter Allah alles.
Während sich in der psychosomatischen Erkrankung der Geist einen Körperteil aussucht, den er unbewusst leiden lässt, um einen Triebkonflikt zu vermeiden, suchen sich pathische Projektionen andere Körper, die sie in Phantasie und Realität leiden lassen. Der Abspaltung und Projektion von verdrängten Triebwünschen – und Ängsten – folgt die Selbstbestrafung am anderen Objekt. Für die eigene Angst, den eigenen Zweifel und Unglauben soll nicht der eigene Leib des Gläubigen zittern, die Körper der anderen sollen sich krümmen.

Dolche
Als eine neue Form der Somatisierung am anderen Körper können die fast schon täglich erfolgenden Messerattacken in Israel gelten, denen seit September mindestens 20 Israelis zum Opfer gefallen sind. Wenngleich vorher keineswegs unbekannt, haben die Angriffe ein neues Niveau erreicht. Die palästinensische Propaganda zeichnet schon triumphierend die eigenen Farben auf denselben dolchförmigen Grenzverlauf, der vormals mit der Israel-Flagge als jüdisches Messer im islamischen Rücken gekennzeichnet wurde. Der neue Dolch ist Palästina »vom Jordan bis zum Meer«.
Auch Koranverse in Form von Messern sind derzeit in der islamistischen Propaganda beliebt. Jeder gebildete Muslim weiß, was da reinszeniert wird: Schließlich hatte schon die PLO ihre Fedayin nach der Assassinensekte des schiitischen Führers Hasan-i Sabbah benannt, die ab dem 11. Jahrhundert in Nordpersien Angst und Schrecken verbreitete. Einer Legende zufolge könnte selbst der treueste Leibwächter Saladins einer der Schläfer dieser Sekte gewesen sein, der auf Befehl seinen leutseligen, arglosen Herrn hätte töten können.
Die Assassinen wählten als ausschließliches Mittel zum Mord den Dolch. Diese zeitlose Waffe muss so nah an den anderen Körper herankommen, dass der »Dolchstoß« bis heute zu einem der wirksamsten Bilder genozidaler Propaganda gehört. Dolchstoßlegenden, die gerade bei palästinensischen Karikaturisten besonders beliebt sind, laden sich an der sadistischen Energie des ödipalen Misstrauens gegen die Eltern auf. Wo sie den Wünschen des Kindes entgegentreten, gelten sie als Verräter, als Saboteure, die in ihren Schlafzimmern Geheimnisse haben.
Mit einer ähnlichen ödipalen Spannung arbeitet etwa die amerikanische Serie »Homeland«: Selbst gerettete US-amerikanische Kriegsgefangene und liebende Väter könnten darin Assassinen sein, geführt von einem Topterroristen, dem sie nach jahrelanger Folter und Gehirnwäsche die Treue halten. So unglaubwürdig die US-amerkanische Serie im Vergleich zum israelischen Original, »Hatufim«, inszeniert ist, so existiert diese Strategie doch. In Südamerika haben mitunter christliche Missionare bekehrte Indianerkinder gegen ihre Verwandten gehetzt.
Die osmanische Eliteeinheit der Janitscharen bestand aus Kindern, die ihren Christeneltern entführt und dann zu loyalsten Leibgarden erzogen worden waren. Ähnliches versucht der »Islamische Staat« derzeit mit yezidischen Kindern. Der Effekt ist in erster Linie ein moralischer: Dem Gegner kann man am besten über dessen eigene Kinder unter die Haut gehen.

Masken
Die meisten der jüngsten Messerangriffe gegen Israelis fanden in der Westbank und Ostjerusalem statt, wo sie dem Palestinian Center for Policy and Survey Research zufolge auf Zustimmung bei 67 Prozent der Bewohner stoßen. Es handelt sich um eine klassische Guerrillataktik: Den Gegner durch Provokationen und Terrorismus zu Kollektivstrafen zu provozieren, so dass ihm seine vermeintliche »Maske vom Gesicht gerissen werden kann«, wie es im guevaristischen Jargon heißt. Dafür nimmt man nicht nur in Kauf, dass die israelischen Araber zuerst ihre Haut hinhalten müssen, man zielt gerade darauf. Die Attacken wollen jüdische Ausschreitungen gegen nichtjüdische Israelis auslösen, um diese dann zu rekrutieren für antijüdischen Terrorismus. Da man in Israel Counterinsurgency und Demokratie ­etwas ernster nimmt als in Europa, verweigert man sich diesem allzu offensichtlichen Plan.

Narben
Den Fedayin galt als unehrenhaft, ein Attentat selbst zu überleben. Ihre heutigen Nachfolger verhalten sich ähnlich: Die Täter morden in der Regel, bis sie erschossen werden, über 56 Angreifer sind im Zusammenhang mit den jüngsten Gewaltausbrüchen in Israel getötet worden. Die meisten waren Teenager oder Twens. Sie werden nun als Märtyrer gefeiert. In anderen Worten: Sie genießen posthum Grandiosität. Die Märtyrer haben sich als Individuen dadurch bewiesen, dass sie ihr »Ich« nach dem Muster des Wahns herstellten: Durch Auflösung, durch Defragmentierung, durch Zersprengung, aber auch durch Hingabe. Individuierung durch Hingabe, durch Aufgabe des Selbst – das wiederum ist ein Gedanke, der dem Odysseus der »Dialektik der Aufklärung« nicht allzu fremd ist, dem die Gratwanderung zwischen Verlieren und Festigen des Selbst nur knapp gelingt. Terrorismus und Hin­gabe sind sich ebenso nahe wie Liebe und Hass im Kleinkind.
In der normalen Individuation erfolgt die intrapsychische Zerstörung der geliebten/gehassten Eltern im Ödipusdrama, um dann die geliebten Anteile mitsamt Normen und Werten zu intro­jizieren, sich also mit dem eigentlich gehassten Realitätsprinzip zu identifizieren. Die Individuation fällt in den westlichen Gesellschaften schon so schwer, dass sie immer wieder auf die Haut geht, die durch die Entscheidung zum Schmerz das »Ich« produziert: »ich« habe mich zum Tattoo/Piercing/Ohrtunnel entschieden. Gelingt die Individuation nicht, wird die Selbstzerstörung Bestrafung der Eltern am eigenen Objekt: Man ritzt sich die Haut oder hungert sich zu Tode oder fährt vor Wut in einen Baum. Oder man somatisiert am anderen Körper und schlägt auf Obdachlose und Flüchtlinge ein.
In den radikalisierten islamischen Gesellschaften bleiben nur die Märtyrer als Identifikations­figuren für die Individuation. Die Elternfiguren unterwerfen sich permanent, sie werden trotz ­aller traditionellen Ehrerbietungen verachtet. Die Attentäter wissen aber: Die Eltern blicken stolz auf ihr Zerstörungswerk, weil es das einzige ist, worauf sie überhaupt noch stolz sein können. Die Hamas oder die PLO kommt vorbei und bringt den Märtyrerlohn, von dem vielleicht die Schwester in Europa zur Schule gehen kann. Individuation und konformistische Revolte sind eins.

Grenzen
Nach den beiden Pariser Psychoanalytikern Grunberger und Dessuant konkurrieren im malignen Narzissmus Selbstbezüglichkeit und archaische Triebhaftigkeit. Gerade die Universalität des Grundkonfliktes macht es unmöglich, Täterprofile zu erstellen. Maligner Narzissmus zeichnet sich durch die Tendenz zum Maximalismus aus: unendlich zu werden, Der »Islamische Staat« trachtet danach, alle Grenzen einzureißen: die zwischen Syrien und Irak ist gefallen; geht es nach ihnen, sollen als nächstes Ostrom und das Weiße Haus fallen. Und wenn das nicht gelingt, wartet das Paradies. Der islamischen Paradieskunde zufolge wächst den himmlischen Jungfrauen das Jungfernhäutchen nach jedem Verkehr wieder nach, wie in Videos propagiert wird. Von Vorhäuten ist nicht die Rede, aber jeder Mann werde physisch so gestärkt, dass er zu 100 Sexualakten an einem Morgen in der Lage sei: ein ewiger, morgendlicher 72some mit Zehntklässlerinnen, eine unreife Phantasie, die sich mit Mühe Frühpubertierenden abnötigen ließe, die aber jedem sexuell reifen Menschen sich als blanker Stress darstellte. Obwohl diese Phantasien zum Propagandarepertoire vieler Islamisten gehören, kann als Ideologie über den Islamismus die Illu­sion gelten, dass er einzig vom schlecht unterdrückten Sexualwunsch motiviert sei.
Es gibt jedoch, darauf weist Christoph Reuter in seinem Buch von 2002 »Mein Leben ist eine Waffe« hin, noch ein anderes Identifikationsobjekt als den Märtyrer im Paradies: den jüdischen Soldaten. Was die am stärksten verdrängten und dadurch am ehesten projizierten homosexuellen Regungen angeht, wird dieses eigentlich begehrte Identifikationsobjekt mit Messern vergewaltigt. Die Märtyrer zerstören jeden Trieb mit ihrem Körper – sie zerstören aber auch Lust und Trieb der Anderen, denen sie mehr ihre Fähigkeit zum Glück neiden als dessen Objekte.
Die Messerattacken sind grenzüberschreitende, narzisstische Somatisierung am anderen Objekt. Es bleibt nur die israelische Strategie, der instabilen Euphorie keine Nahrung zu geben und durch kühles Abwehren auf das Ende der Angriffe zu hoffen.