Die österreichische Flüchtlingspolitik

Vereinende Grenze

In Österreich wird über die Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen debattiert. Die Regierung will mit ihrem Beschluss vor allem die deutsche und europäische Asylpolitik beeinflussen und erfüllt so Forderungen der Rechtsextremen.

In scheinbar trauter Einigkeit traten am Mittwoch vergangener Woche in Wien die führenden Vertreter der österreichischen Regierungskoalition vor die Presse, um die Ergebnisse des vorangegangenen Asylgipfels zu präsentieren. Inhalt der erzielten Einigung: Bis 2019 will Österreich maximal 127 500 Asylsuchende aufnehmen. Dieses Jahr müsse die Zahl auf 37 500 begrenzt werden. Das wären über 50 000 weniger als im Jahr 2015. De facto hat Österreich damit als erstes EU-Land eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen beschlossen. Ob der Begriff »Obergrenze« hier angebracht ist, wie diese durchgesetzt werden soll, ob dies überhaupt möglich ist und was genau damit erreicht werden soll, darüber wird nun debattiert.
Kurz nach der Verkündung der Ergebnisse des Asylgipfels wurde bei den Sozialdemokraten (SPÖ) interne Kritik laut, derzufolge eine Obergrenze weder mit sozialdemokratischen Werten noch mit der Genfer Flüchtlingskonvention in Einklang stehe. Bundeskanzler Werner Faymann und der Wiener Bürgermeister Michael Häupl (beide SPÖ) bemühten sich um Schadensbegrenzung: Die Obergrenze sei in Wirklichkeit gar keine, denn in dem von der Regierung aufgesetzten Papier sei lediglich von einem »Richtwert« die Rede. Was nach einer reichlich lächerlichen und vor allem rein semantischen Frage klingt, hat auch inhaltliche Relevanz. So spricht die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) ganz entschieden von einer Obergrenze und nicht von einem Richtwert und betont dabei, dass keine weiteren Asylbewerber aufgenommen würden, sobald das Kontingent von 37 500 Flüchtlingen erfüllt ist. Die SPÖ will dagegen den »Richtwert« nicht ganz so kompromisslos auslegen.

Sinn und Zweck des Beschlusses liegt in der Wirkung des Postulats; er kann als symbolpolitischer Akt aufgefasst werden, der, auch ohne konkret umgesetzt zu werden, seine Wirkung entfalten soll. Dies wird von den Regierungsvertretern auch explizit ausgesprochen. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) erklärte vor wenigen Tagen in einem Interview mit der Kronen Zeitung, er erhoffe sich einen »Dominoeffekt« durch die Bekanntgabe einer Obergrenze. Österreich sei im Vorjahr durch die Aufnahme von 90 000 Flüchtlingen »einfach erdrückt worden«, so Kurz weiter. Ziel des Beschlusses ist also nicht, die Obergrenze tatsächlich durchzusetzen, sondern ein europäisches Einlenken in der Asylpolitik zu erwirken und den Druck auf Deutschland zu erhöhen.
Einher geht der Beschluss mit der geplanten Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsstaaten, einer Kürzung der Sozialleistungen für Asylsuchende, einer Erschwerung des Familiennachzugs und intensivierten Grenzkontrollen. Notfalls mit einem Ausbau des Zauns an der Grenze zu Slowenien will Österreich die Flüchtlinge durch die Grenzübergänge in Spielfeld und am Karawankentunnel schleusen, wo diese gleich kontrolliert und registriert werden sollen. Österreich soll als Zielland für Flüchtende unattraktiver werden, wobei die postulierte Obergrenze nur einen Punkt in einem viel umfassenderen Programm darstellt. Die nach den Anschlägen in Paris und den Übergriffen in Köln rassistisch aufgeladene Stimmung im Land kommt der Regierung dabei entgegen. Der symbolpolitische Charakter des Obergrenzen-Beschlusses wird schon dadurch deutlich, dass bis Ende März ein verfassungsrechtliches Gutachten abgewartet werden muss, bevor an konkrete Schritte für dessen Umsetzung gedacht werden kann.

In Österreich hat sich, wie am Beispiel des Beschlusses deutlich wird, eine ganz spezifische, arbeitsteilige Form einer »pluralistischen Einheitspartei« (Johannes Agnoli) herausgebildet, die der Politikwissenschaftler Anton Pelinka vor kurzem folgendermaßen beschrieben hat: Die rechte Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) macht einen Vorstoß, wenige Wochen später zieht die ÖVP nach, am Ende stimmt die SPÖ zu. Hinzuzufügen wäre noch, dass, nachdem die Sozialdemokratie Forderung um Forderung der Rechtsextremen erfüllt hat, sie sich um blumige Umschreibungen ihrer rassistischen Politik bemüht, um die verbliebenen Linken in der Partei zu besänftigen. Deshalb ist es auch völlig absurd, wenn Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) im Norddeutschen Rundfunk die Obergrenze damit verteidigt, dass man ohne diesen Beschluss »die Zukunft den Populisten und den Radikalen« überlasse. Was die österreichische Regierung gerade macht, ist, den Forderungskatalog der Rechtsextremen Punkt für Punkt abzuarbeiten.
Die bisherigen Auswirkungen des österreichischen Beschlusses für Europa sind in den Balkan-Ländern am deutlichsten. Die Staaten entlang der Balkan-Route befürchten einen Rückstau durch die restriktivere Grenzpolitik in den Zielländern der Flüchtenden und reagieren mit Einschränkungen des Flüchtlingstransits. In Slowenien wird gerade auch über eine Obergrenze diskutiert, während Mazedonien vergangene Woche sogar kurzfristig die Grenze zu Griechenland geschlossen hat. Durch diesen Dominoeffekt wird das Regime der Dublin-Verordnungen quasi unter der Hand wieder eingeführt, zumindest in dem Sinne, dass die Hauptlast auf die EU-Außenstaaten abgewälzt werden sollen. Mikl-Leitner drohte in der Welt am Sonntag dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tspiras sogar mit einem Ausschluss aus dem Schengen-Raum, sollte dieser nicht die Grenze zur Türkei schärfer kontrollieren lassen. Die Reaktionen der Balkan-Länder auf den österreichischen Beschluss verstärken zusätzlich den Druck auf Griechenland. Der symbolpolitische Akt der österreichischen Regierung entfaltet also bereits seine Wirkung.