Die Repression gegen soziale Bewegungen in Ägypten

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Fünf Jahre nach Beginn des »arabischen Frühlings« ist die Situation in Ägypten annähernd so wie vor dem Sturz Hosni Mubaraks. Geblieben sind gemeinsame Erfahrungen und der Wunsch nach Veränderung.

Wer heute nach Ägypten schaut, fragt sich, ob es die Revolution je gegeben hat. Was für Bilder, die vor fünf Jahren um die Welt gingen: Hunderttausende, die auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo demonstrierten, die Angriffe von Polizei und bewaffneten Schlägertruppen abwehrten, und nach 18 Tagen ihren großen Sieg errangen: Präsident Mubarak, über 30 Jahre im Amt, musste gehen. Der Tahrir-Platz im Jubel, Jugendliche, die die Straßen des Landes putzten, überall Aufbruch, Erwartung, ungläubige Euphorie. Statt Hosni Mubarak herrscht heute Abd al-Fattah al-Sisi, wie jener ein Mann der Armee, die seit dem Putsch von 1952 Politik und Wirtschaft des Landes kontrolliert. Die gefürchteten Geheimdienste sind wieder aktiviert, die Muslimbruderschaft, seit 60 Jahren Lieblingsfeind der Armee, wieder verboten. Die Presse ist wieder zensiert, in den Gefängnissen wird weiter gefoltert, viele Akteure der »Arabellion« sind im Ausland oder in Haft. Als im Dezember das neue Parlament zusammenkam, saßen darin wie früher mehrheitlich korrupte Geschäftsmänner und Günstlinge des Präsidenten. Die erste Sitzung nutzten sie vor allem, um Selfies zu schießen. Der Abgeordnete Mortada Mansour, Präsident des Menschenrechtskomitees, weigerte sich, auf die Verfassung den Eid abzulegen, weil deren Präambel auf die Revolution 2011 Bezug nimmt – und kündigte gleich an, mit diesen »Kindern«, die weiterhin Proteste organisieren, endgültig Schluss zu machen, notfalls, indem man ihre Mütter, Väter oder Ehepartner als Geisel nehme.

Kurz vor dem Jahrestag durchkämmten Polizisten die Innenstadt von Kairo, stürmten über 5 000 Wohnungen, schlossen Cafés und soziale Zentren, nahmen jeden mit, den sie verdächtigten, an der Revolution teilgenommen zu haben – oder nun, zum fünften Jahrestag des Aufstandes, eine neue zu planen. Die Reste der Jugendbewegungen konterten trotzig: Unter dem Motto #ItookpartintheJanuaryRevolution teilten sie ihre Erinnerungen – wohl wissend, dass kritische Äußerungen im Internet inzwischen reichen, um verhaftet zu werden. »Die Erinnerung an die Revolution ist die einzige Waffe, die uns geblieben ist«, schreibt eine junge Frau auf Twitter. Der Satz ist doppelt wahr. Den jungen Revolutionären ist kaum Spielraum geblieben. Die Zeit, als regelmäßig Zehntausende die Straßen und Plätze füllten, ist vorbei. Wer soll noch protestieren, wenn Demonstrationen verboten sind, über 40 000 wegen angeblicher politischer Vergehen in den Gefängnissen sitzen, wenn jung zu sein schon Verdacht erregt?

Gerade die Vehemenz, mit der das Regime versucht, jede Form von Kritik zu unterdrücken, zeigt: Ägypten ist nicht mehr das Land, das es vor 2011 war. Der Umsturz hat eine ganze Generation geprägt, diese Erfahrung lässt sich nicht einfach wieder ablegen. Die naive Annahme, dass mit dem Sturz Mubaraks das Regime bereits besiegt sei, hat sich als falsch erwiesen, den spontanen Bewegungen fehlten die Struktur und die Ressourcen, den Protest in langfristige Reformen zu überführen. Die Beispiele von Syrien, Libyen und dem Jemen mögen dazu beigetragen haben, dass viele Ägypter aus Furcht vor ähnlichen Entwicklungen sich zurück in vermeintlich stabile Verhältnisse flüchteten. Aber der Aufstand hat dem Regime – und der Welt – vor Augen geführt, wie brüchig auch die scheinbar stabilste Herrschaft sein kann. Unter der Oberfläche der wiedererrichteten Diktatur klaffen tiefe Risse. Von den Forderungen der Revolution, denen sich die Mehrheit der Ägypterinnen und Ägypter anschloß, ist keine erfüllt: Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit. Die sozialen Gegensätze verschärfen sich, wie überall auf der Welt, auch in Ägypten weiterhin. Ob »denen vom Tahrir«, wie man sie nannte, mehr bleibt als nur Resignation oder die kleinen Veränderungen des Alltags, wird nicht nur von Ägypten abhängen.