Die Pegida-Organisatorin Tatjana Festerling im Porträt

Auf Anstand scheißen, auf Refugees schießen

Tatjana Festerling ist ein Phänomen der extremen Rechten in Deutschland. Sie ist rhetorisch geschickt, scheut nicht die Zusammen­arbeit mit Hooligans und nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, die rassistische Stimmung in Sachsen anzuheizen. Mit Vertretern der deutschen »Lügenpresse« spricht sie dagegen nur ungern. Vor zwei Wochen jedoch gab sie einem britischen Journalisten ein Interview.

»Wenn Flüchtlinge weiterhin über die Grenze kommen und man sie nicht festnehmen kann, erschießt sie.« Mit diesem Satz brachte es die Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling vergangene Woche auf dem Umweg über England erneut bundesweit in die Medien. Gedruckt wurde er in der britischen Boulevardzeitung Daily Mail im Rahmen eines Interviews des britischen Journalisten Jake Wallis Simons, der Festerling in Dresden getroffen hatte.
Zu dem Treffen war Festerling mitsamt Bodyguard erschienen. Fotografieren ließ sie sich von Simons unter anderem vor dem Martin-Luther-Denkmal an der Frauenkirche. Luthers Ausspruch »Hier stehe ich, ich kann nicht anders« fand sie wohl passend für ihr Engagement gegen die »Islamisierung«.
Festerling, die aus Hagen am Rand des Ruhrgebiets stammt, kam über die »Alternative für Deutschland« (AfD) zu Pegida. In Hamburg hatte sie die AfD mitgegründet. Der Slogan »Mut zur Wahrheit«, den die AfD nutzt, gehe auf sie zurück, hieß es in der Welt. Im Herbst 2014 bekam Festerling jedoch Probleme mit ihrer Partei. Sie war zur Demonstration der »Hooligans gegen Salafisten« (Hogesa) nach Köln gereist und verteidigte hinterher die gewalt­tätigen Ausschreitungen auf Facebook und in der rechten Schweizer Weltwoche. Sie schrieb: »Nein, die Hools wollten eine friedliche Demonstration, und sie haben untereinander dafür gesorgt, dass einzelne Ausreißer schnell wieder beruhigt wurden.« Über 50 verletzte Polizisten und ein umgeworfener Polizeiwagen zeigten jedoch ein anderes Bild. Die AfD, damals unter Bernd Lucke noch um ein gemäßigtes Auftreten bemüht, dachte über den Rausschmiss Festerlings nach. Sie kam dem zuvor und trat aus. Kurze Zeit später schloss sie sich Pegida an. Im Januar 2015, nach dem Ausscheiden von Kathrin Oertel und anderen Mitgründern, stieg sie in das Organisationsteam von Pegida auf. Zur Dresdner Bürgermeisterwahl im vergangenen Juni trat Festerling als Kandidatin für Pegida an und erzielte 9,6 Prozent der Stimmen. Über 20 000 Dresdner wünschten sich die Frau aus Hamburg als Bürgermeisterin der sächsischen Landeshauptstadt.
Das Interview mit der Daily Mail führte Festerling in einem Café. Wie der Tagesspiegel recherchierte, gab es kein Aufnahmegerät. Lediglich ein kurzes Videostatement wurde aufgezeichnet. Eine Autorisierung sei, wie in Großbritannien üblich, nicht vereinbart worden. Später beschwerte sich Festerling auf ihrer Facebook-Seite über die Wiedergabe des eingangs zitierten Satzes, der in Deutschland für so viel Aufregung gesorgt hatte. »Das ist natürlich völliger Blödsinn und wer mich halbwegs kennt, weiß, dass ich mich nie so äußern würde.« Tatsächlich habe sie gesagt: »Es geht um Zäune, es geht um Infrastruktur, es geht um das Militär. Man muss ernst machen, wenn man ernst genommen werden will.« Es folgte demnach der Satz: »Unsere Grenzen müssen geschlossen werden, Eindringlinge sollten festgenommen werden, oder – als letzte Möglichkeit muss geschossen werden.«
Inwieweit damit tatsächlich etwas anderes ausgesagt ist, sei dahingestellt.An den übrigen in der Daily Mail zitierten Äußerungen hat Festerling offenbar nichts zu beanstanden. Die »is­lamische Invasion« Deutschlands müsse demnach endlich gestoppt werden, bald sei es zu spät. Nordrhein-Westfalen sei schon ein »Kalifat«, in dem die »Sharia-Polizei auf der Straße patrouilliere«. Deutschland leide unter einem kollektiven »Stockholm-Syndrom«, was den Islam angeht. Man müsse die »Eliten mit Mistgabeln verjagen« und endlich auf den »Anstand scheißen«.
Dem Videostatement ist zu entnehmen, wie redegewandt und charmant Festerling ihre Hetze von sich gibt. Nicht so, wie man sich vielleicht eine Frontfrau der extremen Rechten vorstellt. Etwas anders wirkt das bei ihren öffentlichen Auftritten. Beispielsweise als sie Mitte Januar bei einer Kundgebung in Leipzig sprach. Dort hatte sie sich fast wortgleich, aber in schärferem Ton geäußert. So sagte sie dem Tagesspiegel zufolge: »Wenn die Mehrheit der Bürger noch klar bei Verstand wäre, dann würden sie zu Mistgabeln greifen und diese volksverratenden, volksverhetzenden Eliten aus den Parlamenten, aus den Gerichten, aus den Kirchen und aus den Pressehäusern prügeln.«
Über die Hooligans, die bei Pegida mitmarschieren, wusste Festerling in der Daily Mail Positives zu berichten. Das seien normale Männer, »Steuerzahler« mit einem vielleicht »bizarren Hobby« – aber immerhin widersetzten sie sich der »Femi­nisierung der Gesellschaft«. Einen politischen, gar rechtsextremen Hintergrund mag Festerling nicht erkennen.
René Jahn, der das Organisationsteam von Pegida im Januar 2015 verließ, berichtete im Gespräch mit Simons anderes. Natürlich habe man sich bei Pegida neonazistischer Hooligans bedient, um die »Spaziergänge« vor Linken zu schützen. Dies sei innerhalb von Pegida auch ein »offenes Geheimnis«.
Am Montag schließlich verteidigte Festerling bei der wöchentlichen Pegida-Kundgebung die Anfeindungen ­gegen Flüchtlinge im sächsischen Clausnitz. Medienberichten zufolge lobte sie am Auftreten des Mobs den »Mut der Bürger«. Sie schäme sich »nicht für die Clausnitzer und verstehe die Interessen der Bürger«. Vielmehr ­stelle sie sich »voll und ganz hinter die Clausnitzer«. Von den Pegida-Anhängern wurden die Äußerungen mit »Clausnitz«-Rufen und Beifall quittiert.
Auch die AfD nähert sich mittlerweile Festerling wieder an. Im Februar durfte sie bei einem Stammtisch der »Patriotischen Plattform« des Landesverbandes Sachsen der Partei auf­treten.