Der Zustand der SPD

Ein schaler Hauch von Basta

Ein Vorsitzender mit markigen Worten, aber mickriger Bilanz, eine Politik ohne Profil und dann auch noch düstere Wahlaussichten – es steht schlecht um die SPD.

Ein typischer Sigmar Gabriel: Am Freitag trat der SPD-Vorsitzende in seiner Funktion als Bundeswirtschaftsminister vor die Presse, um »eine Art Halbzeitbilanz einer geänderten Rüstungsexportpolitik« zu präsentieren. »Aus meiner Sicht wurden die restriktiven Regeln zum Kriegswaffen- und Rüstungsexport insbesondere von der Vorgängerregierung aus CDU/CSU und FDP in der Praxis zu stark aufgeweicht«, so Gabriel. Doch er finde, dass »wir sehr gute Fortschritte in den letzten zwei Jahren gemacht haben«, lobte er sich und sein Ministerium.
Tatsächlich befinden sich die deutschen Rüstungsexporte aber auf Rekordniveau. Im vergangenen Jahr erteilte die Bundesregierung Einzelausfuhrgenehmigungen im Wert von etwa 7,85 Milliarden Euro. Hinzu kommen noch Sammelgenehmigungen im Wert von knapp fünf Milliarden Euro, was der deutschen Rüstungsindustrie Geschäfte in Höhe von insgesamt etwa 12,8 Milliarden Euro beschert – so viel wie noch nie. Zum Vergleich: 2013, im letzten Amtsjahr von Gabriels Vorgänger Philipp Rösler (FDP), erreichten die Einzel- und Sammelgenehmigungen zusammen ein Volumen von zehn Milliarden Euro, was damals ebenfalls ein Spitzenwert war.
Markige Worte, mickrige Bilanz – so ist das stets mit Gabriel. Ob bei der Vorratsdatenspeicherung, den Freihandelsabkommen Ceta und TTIP, in der Griechenland- oder der sogenannten Flüchtlingskrise: Was das Sozialdemokratische an Gabriels Politik sein soll, will sich nicht recht erschließen. Profillos dümpeln er und die SPD vor sich hin. Es fehlt an einer Idee, wie eine progressive Alternative zur Politik der christdemokratischen Bundeskanzlerin Angela Merkel aussehen könnte.
Wie SPD-Politik heute aussieht, zeigte auch der vermeintliche Streit um das sogenannte Asylpaket II. Erst verkündete Gabriel Ende Januar, sich mit Merkel und dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer geeinigt zu haben. Dann gab er sich empört, weil er nicht mitbekommen haben wollte, dass zu der weiteren inhumanen Verschärfung der Asylgesetzgebung auch die zweijährige Aussetzung des Familiennachzugs für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz gehört. Schließlich ließ Gabriel seinen Parteifreund, den Justizminister Heiko Maas, erneut mit CDU-Innenminister Thomas de Maizière verhandeln – mit dem Ergebnis, dass das »Asylpaket II« so bleibt, wie es sich die Union gewünscht hat. Was ist das »sozialdemokratische Narrativ« in der Flüchtlingsfrage? Die SPD hat keins. »Es geht nur mit Lavieren«, zitiert die »Welt« einen »Strippenzieher« aus dem Willy-Brandt-Haus.
Seit mehr als sechs Jahren ist Gabriel nun Vorsitzender der SPD. In der Nachkriegszeit amtierten nur Willy Brandt und Erich Ollenhauer länger. Dass der 56jährige Mann aus Goslar die beiden noch einholt, ist unwahrscheinlich. Denn der frühere Berufsschullehrer hat genau das nicht geschafft, was seine Partei von ihm erwartet hatte: wieder Wählerstimmen zu gewinnen. In den Meinungsumfragen liegt die SPD derzeit bundesweit zwischen 22,5 und 25 Prozent – und damit etwa auf dem Niveau des katastrophalen Bundestagswahlergebnisses von 2009, als sie mit 23 Prozent so schlecht wie noch nie in der bundesrepublikanischen Geschichte abschnitt.
Gabriels Wiederwahlergebnis auf dem SPD-Bundesparteitag im Dezember war ein erstes Warnsignal. Ohne Gegenkandidaten nur auf 74,3 Prozent der Stimmen zu kommen, das hat vor ihm noch kein SPD-Vorsitzender geschafft. »Jedem ist klar, was ich will«, rief er den Delegierten dennoch zu. »Jetzt ist mit Dreiviertelmehrheit in dieser Partei entschieden, wo es langgeht – und so machen wir das auch.« Es klang wie ein schaler Abklatsch von Gerhard Schröders »Basta«-Parole.
Bislang konnte Gabriel wenigstens noch mit der Stärke der SPD in den Ländern reüssieren. Immerhin sitzen SPD-Minister an 14 von 16 Kabinett­stischen, die Partei führt neun Landesregierungen. Fünf Landtagswahlen stehen in diesem Jahr bevor – und in fast allen wird die SPD nach dem derzeitigen Stand verlieren. Einzig in Berlin, wo im September gewählt wird, kann sich die Partei mit ihrem Regierenden Bürgermeister Michael Müller vermutlich behaupten.
Schon im kommenden Monat stehen die Wahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt an. In Rheinland-Pfalz kann sich Ministerpräsidentin Malu Dreyer durchaus hoher persönlicher Beliebtheit erfreuen, auch liegt die SPD mit 31 bis 33 Prozent in den Umfragen gar nicht so übel. Trotzdem stehen die Chancen für Dreyer schlecht. Denn die CDU mit der Gegenkandidatin Julia Klöckner liegt vorne, für Rot-Grün wird es nicht mehr reichen. Damit droht nach einem Vierteljahrhundert der Machtverlust: Der rheinland-pfälzischen SPD könnte nur noch die Wahl zwischen Opposition und Juniorpartnerschaft bleiben.
In Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt ist die SPD bereits Juniorpartner. Das ist ihr nicht gut bekommen, weder an der Seite des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann im Südwesten noch an der seines sachsen-anhaltinischen CDU-Pendants Reiner Haseloff. Kehrt sich die Tendenz bis zum Wahltag nicht um, wird die SPD in beiden Ländern ein Debakel erleben. In aktuellen Umfragen liegen sie in Sachsen-Anhalt zwischen 16 und 19 Prozent und in Baden-Württemberg zwischen 13,5 und 16 Prozent.
Falls die Wahlergebnisse so ausfallen sollten, könnte die SPD in Sachsen-Anhalt zwar weiter mit der CDU koalieren. Weitaus komplizierter wäre die Situation aber in Baden-Württemberg: Die SPD wäre dort so schwach, dass sie weder für die Grünen noch für die CDU als alleiniger Mehrheitsbeschaffer in Frage käme – was eine Große Koalition von CDU und Grünen zur wahrscheinlich macht.
Spätestens wenn im ­September auch noch der Posten des Ministerprä­sidenten in Mecklenburg-Vorpommern verloren ­gehen sollte, dürfte es für Gabriel eng werden. Bei der Wahl vor fünf Jahren holte die SPD dort unter Ministerpräsident Erwin ­Sellering noch 35,6 Prozent. Der jüngsten Umfrage des konservativen Meinungsforschungsinstituts Insa zufolge liegt die SPD inzwischen nur noch bei 22 Prozent und damit zwar vor der Linkspartei mit 19 Prozent, aber deutlich hinter dem Koalitionspartner CDU mit 29 Prozent. Damit könnte in diesem Jahr ein zweiter SPD-Ministerpräsident sein Amt verlieren. Während die Leitartikler der Republik über die vermeintliche Kanzlerinnendämmerung schwadronieren und bereits abenteuerliche Spekulationen darüber anstellen, ob Angela Merkel dieses Jahr politisch überleben wird, spielt sich ein weitaus dramatischeres Schauspiel ab: der Zerfall des kleinen Koalitionspartners. Die Krise der SPD ist allerdings nicht nur eine ihres Vorsitzenden, sondern auch derjenigen, die sich nicht gegen ihn auflehnen. Irgendwann könnte es zu spät sein.