Schwer geschädigt

Entschuldigung, aber das wird heute nichts. Es wird schon die ganze Woche nichts und die Woche davor war auch schwierig für mich, aber andererseits ist es ja auch nicht so, dass ich die Einzige wäre, die so nicht arbeiten kann. Wikipedia erklärt, dass als Hitzeschaden »jede Gesundheitsstörung bezeichnet (wird), die durch eine für längere Zeit erhöhte Umgebungstemperatur bedingt ist«. Und weil schlechte Dinge sich alleine meist unwohl fühlen und sich deswegen in Banden, Bürgerwehren und Arbeitskreisen organisieren, gibt es natürlich nicht nur einen einzigen Hitzeschaden, sondern viele: »Man unterscheidet den Sonnenstich, den Hitzekrampf, den Hitzekollaps, die Hitzeerschöpfung und den Hitzschlag. Als schlimmste Folge kann der Hitzetod eintreten.« Das hatte ich bereits geahnt. Aber arbeiten muss man halt trotzdem, zumal das gute alte Hitzefrei den Weg von Walkman, Sozialhilfe und MTV ­gegangen ist und jetzt nur noch als verschwommene Jugenderinnerung in den Köpfen von Menschen ­jenseits der 40 existiert.
Also schleppe ich mich zur Schule, und die Schülerinnen und Schüler schleppen sich auch hin, halb schwimmen wir die glitschigen Schultreppen hinauf, denn eigentlich ist es ja gar nicht die Hitze, die so schlimm ist, es ist die Feuchtigkeit, diese total kranke Tropenhausfeuchtigkeit, die mich begreifen lässt, warum Krokodile das Risiko eingehen, vom potentiell coolsten Tier im ganzen Zoo zum absolut langweiligsten zu werden und eines Tages durch wahrscheinlich viel dümmere Tiere wie Erdmännchen oder Lemminge ersetzt zu werden – einfach weil sie sich verdammt noch mal nie bewegen.
Im Klassenraum ­angekommen, bewegen wir uns auch nicht mehr viel und ich frage mich, ob wohl schon erste Hitzeschäden zu verzeichnen sind. Mit einiger Anstrengung hebe ich den Kopf vom Lehrertisch und beobachte meine sogenannten Lernenden. Lenny hat sein T-Shirt hochgeschoben und nutzt den Edding, den er zur Erstellung eines Lernplakates erhalten hat, um mit ­zusammengezogenen Brauen und großer Sorgfalt konzentrische Kreise um seinen Bauchnabel zu ­malen, eine Bankreihe weiter schlägt Onur seinen Kopf mit leichten, rhythmischen Bewegungen wieder und wieder auf den Tisch und singt dabei enthusiastisch »Ah! Ça ira, ça ira, ça ira!«, während die neben ihm sitzende Merve sich fünf Post-It-Zettel, auf denen in unterschiedlicher Farbe und von unterschiedlich vielen Herzen umringt der Name »Emma Watson« steht, ins Gesicht geklebt hat. Gerade ist sie mit dem vergeblichen Versuch beschäftigt, sich einen sechsten auf ihre Zunge zu kleben. Alles gut, kein Unterschied zum Winter. Erleichtert lasse ich meinen Kopf wieder niedersinken und träume, dass wir alle durch Erdmännchen ersetzt werden und dann den ganzen Tag bewegungslos im kühlen Schlamm liegen und gelegentlich ein Lernplakat ­zerkauen dürfen. Besser wär’s schon.