Bei der Reform der Erbschaftssteuer wurde kein Kompromiss erreicht

Erben bevorzugt

Die Bundesregierung hat zum Schutz ihrer vermögenden Klientel die Reform des Erbschaftsteuerrechts verschleppt. Nun droht das Bundesverfassungs­gericht mit einer Vollstreckungsanordnung.

So kann es kommen: Wohl auch mit dem Kalkül, die Erbschaftsteuer auf diesem Weg abzuschaffen, verschleppten SPD und Union die vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 2014 angemahnte Reform, die bis Ende Juni ­dieses Jahres verabschiedet werden sollte. Nun haben beide Parteien es ­eilig, sich mit den Bundesländern auf eine Neuregelung zu einigen. Denn sonst könnten die Bundesrichter selbst festlegen, wie eine angemessene Besteuerung aussehen soll, vor allem wenn Unternehmen vererbt werden. Ein höherer Steuersatz als der von SPD und Union favorisierte dürfte es allemal werden.
Beim Vererben geht es um viel Geld. Etwa 150 Milliarden Euro gehen in Deutschland jährlich von Verstorbenen auf deren Erben über, sehr häufig auf Kinder, Ehepartner oder andere nahe Verwandte. Allerdings wird, abhängig vom gesellschaftlichen Status, höchst unterschiedlich ge- und vererbt. Wie die Vermögen sind auch die Erbschaften in Deutschland sehr ungleich verteilt. Denn Arme haben selbstverständlich wenig oder keine materiellen Werte weiterzugeben. Und weil immer mehr Arme in Deutschland leben, gibt es auch immer mehr Menschen, die nichts erben. Nach Berechnungen des unternehmensnahen Deutschen Ins­tituts für Altersvorsorge (DIA) ist die Zahl der Erbfälle ohne Geldvermögen von neun Prozent im Jahr 2001 auf 16 Prozent im Jahr 2015 gestiegen. Die Zahl der Erbfälle mit einem Geldvermögen von mehr als 150 000 Euro ist von 2001 bis 2015 dagegen von sieben auf zehn Prozent gewachsen.
Einige Menschen erben überaus hohe Summen. »Die oberen zwei Prozent ­aller Hinterlassenschaften vereinen etwa ein Drittel des gesamten Erbschaftsvolumens auf sich«, stellt das DIA fest. Deutschland gehört mit den USA, China und Japan zu den vier Ländern mit den meisten Multimillionären, wie aus dem World Wealth Report 2016 der Unternehmensberatung Capgemini hervorgeht. Einer Studie der Schweizer Großbank UBS zufolge sind die superreichen Deutschen oft eher durch Erbschaften an ihr Vermögen gekommen als durch eigenes Handeln. Demnach haben in Deutschland 28 Prozent der Multimillionäre ihr Vermögen geerbt, in den USA 13 Prozent.
Der deutsche Fiskus schont gerade diese Leute. Das Erbschaftsteueraufkommen ist in Deutschland mit jährlich etwa fünf Milliarden Euro vergleichsweise gering. Im Jahr 2011 mussten in ungefähr 600 000 Erbfällen nur etwa 110 000 Begünstigte überhaupt Abgaben zahlen. Ein Grund dafür ist das sogenannte Blut- und Eheprinzip: Für direkte Nachkommen und Ehepartner gibt es hohe Freibeträge. Damit bleibt etwa das Einfamilienhaus, für das sich Mama und Papa krummgelegt haben, bei der Weitergabe an die Kinder weitgehend steuerfrei. Bei entfernten oder gar nicht verwandten Erben schlägt das Finanzamt allerdings schon bei Vermögen ab 20 000 Euro voll zu, was etwa für unverheiratete Partner häufig ein Problem ist.
Kein Problem mit den Abgaben auf hinterlassene Werte haben dagegen blutsverwandte Firmenerben, auch beziehungsweise gerade wenn das Vermögen sehr hoch ist. Für sie gelten zahlreiche Ausnahmen. Familienbetriebe bleiben so in fast allen Fällen von der Erbschaftsteuer befreit. Das gilt auch für die Erben von Großkonzernen. Sie müssen nur zusagen, sieben Jahre lang die Arbeitsplätze im Unternehmen zu erhalten.
Diese faktische Steuerbefreiung ist eine Folge der Erbschaftsteuerreform der schwarz-gelben Bundesregierung von 2009. Diese hat jedoch das Bundesverfassungsgericht kassiert. Im Dezember 2014 rügten die Karlsruher Richter, dass Unternehmer in großem Umfang Vermögen vererben können, ohne dass das in einem konkreten Zusammenhang mit der Sicherung von Arbeitsplätzen steht. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verfolgte daraufhin den Plan, Firmen mit einem Wert von mehr als 20 Millionen Euro nicht ohne Weiteres steuerfrei vererben zu lassen – und traf auf den erbitterten Widerstand unter anderem des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann (Grüne). Dieser will die vielen Unternehmen in seinem Bundesland nicht belastet sehen.
Der Kompromiss, auf den sich SPD und Union schließlich verständigten und den sie im Juni in den Bundestag einbrachten, verzichtet auf größere Belastungen für Unternehmer. Die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, zog eine Parallele zwischen der vorgesehenen Entlastung reicher Erben und der zugleich vorgesehenen Belastung von alleinerziehenden Hartz-IV-Empfängern, denen das Geld gekürzt werden soll, wenn ihre Kinder tageweise nicht bei ihnen, sondern beim anderen Elternteil sind. »Bei Millionenerben hat Schwarz-Rot Spendierhosen an, bei Trennungskindern in Hartz IV wird geknausert wie verrückt«, sagte sie. Die Linkspartei spricht sich für eine deutliche Erhöhung der Erbschaftsteuer für Unternehmen aus.
Bis zum 30. Juni hätten Bundestag und Bundesrat eine Neuregelung verabschieden müssen. Doch die Bundesländer mit Regierungsbeteiligung der SPD, der Grünen und der Linkspartei haben den Gesetzentwurf im Bundesrat nicht angenommen. Denn selbst den Sozialdemokraten in den Bundesländern ist die von SPD und Union ­getroffene Einigung zu unternehmensfreundlich. Die Folge: Das Bundesverfassungsgericht könnte eine sogenannte Vollstreckungsanordnung erlassen. Damit haben die Richter zumindest in einem Brief an Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat gedroht. So etwas gab es bislang nur einmal, als 2013 die Gleichstellung von verheirateten Schwulen oder Lesben bei der Grunderwerbssteuer verschleppt wurde.
Voraussichtlich Ende September wird das Bundesverfassungsgericht in der Sache beraten. Anfang September soll der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat zusammentreten und nach einem Kompromiss suchen. Die Diskussion ist nun neu ­eröffnet. Bei den Grünen macht sich nicht nur Kretschmann für eine reichenfreundliche Regelung stark. Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir fordert einen Pauschaltarif für Erben. »Warum führen wir nicht eine Flat­rate ein? Jeder zahlt 15 Prozent auf sein vererbtes Vermögen«, sagte er der Welt am Sonntag. »Er kann dies in einem Zeitraum von 15 Jahren tun. Durch Beibehalt der bestehenden Freibe­träge wird das Familienerbe geschont.« Damit würde der Staat immerhin mehr Erbschaftsteuer erhalten als bislang, und das Einfamilienhäuschen könnte abgabenfrei an die Kinder weitergegeben werden. Dem DIA zufolge würde schon eine Flatrate von drei Prozent reichen, um die gleichen Steuereinnahmen wie in den vergangenen Jahren zu erzielen.
Aber eine Flatrate ist ungerecht. Sie wäre eine Abkehr von der bisherigen Besteuerungslogik, nach der Vermögende nicht nur absolut, sondern auch ­relativ mehr Abgaben leisten sollen. Für Unternehmenserben wäre ein Flatrate deshalb eine ziemlich gute Lösung. Und sie könnte darüber hinaus der Einstieg in ein Steuersystem sein, das Angela Merkel bereits im Bundestagswahlkampf 2005 gemeinsam mit dem ehemaligen Verfassungsrichter Paul Kirchhof propagierte: die flat tax mit dem Bierdeckel als Steuerformular. Damals ist das Vorhaben gescheitert. Aber vielleicht lebt es ja als schwarz-grünes Projekt wieder auf.