Der Blog des US-amerikanischen Literaten Dennis Cooper wurde gesperrt

Backups, Backups und nochmal Backups

Die Sperrung des Blogs von Dennis Cooper löst eine Welle der Empörung aus.
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Das Internet vergisst nichts. So lautet ein moderner Mythos, der sich mit jedem toten Link aufs Neue als unhaltbar erweist. Zur langen Liste ins Leere führender Verweise ist vor einigen Wochen das Blog des US-amerikanischen Literaten Dennis Cooper hinzugekommen. Mit Hinweis auf ­einen nicht näher genannten Verstoß gegen die »Community-Richtlinien« hat Google sein Blog auf der Plattform Blogger.com sowie seinen ­E-Mail-Account gesperrt. Cooper beklagt nun, er finde sich in einer ­kafkaesken Situation wieder, ohne Zugriff auf wichtige Teile seines Werks und ohne konkrete Angaben für den Grund der Sperrung.
In Deutschland kaum bekannt, gilt Dennis Cooper als ein wichtiger ­Gegenwartsautor, der etliche Romane und Theaterstücke veröffentlicht hat. Viele wurden ins Deutsche übersetzt, sind allerdings derzeit vergriffen. Ein wichtiger Teil seines Werks ist das nun gesperrte Blog. Darin experimentierte er seit mehr als zehn Jahren mit Texten, Bildern und digitalen Versatzstücken. Das Blog eröffnete die Möglichkeit, dem Autor beim Nachdenken über so verschiedene Themen wie Architektur, Computerspiele oder Sex zuzusehen. Sein Blog war eine Mem-Schleuder voller animierter GIFs, Grafiken, Textfragmente und Essays.
Die Sperrung des Blogs löste eine Welle der Empörung aus. Große Publikationen berichteten international und einige Tausend Menschen fordern in einer Online-Petition, der sich auch die Autorenvereinigung Pen America anschloss, die Wiederherstellung von Blog und E-Mail-Account. Während technikaffine Menschen trocken bis hämisch anmerken, Dennis Cooper sei halt selber schuld, wenn er seine Daten der Cloud eines Gratisanbieters anvertraue, weisen Tech-Blogs einmal mehr daraufhin, wie wichtig es ist, Backups, Backups und nochmal Backups zu machen.
Wer sich ein genaues Bild von Coopers Blog machen will, hat es derzeit schwer. Das Original ist nach wie vor gesperrt und weder im Google-Cache noch bei Archive.org finden sich Kopien oder wenigstens Teile davon. ­Dennis Cooper selbst, der den Vorgang in spärlichen Worten auf seiner Facebook-Seite offenlegt, vermutet, die Sperrung könne etwas mit Bildern zu tun haben, die er regelmäßig im Blog gepostet hat: Zusammenstellungen von Profilen schwuler Dating-Websites. Allein ein solcher Verstoß gegen Persönlichkeitsrechte könnte eine Sperrung durchaus rechtfertigen – schließlich wären nicht alle begeistert, ihr Datingprofil, in dem sie sich beispielsweise in der Pose eines Sexsklaven anbieten, im Blog eines bekannten Autors wiederzufinden.
Andere vermuten, da habe ein überforderter Google-Mitarbeiter übereifrig reagiert. Das ist eher unwahrscheinlich: In so einem Fall hätte Google das Blog nach wenigen Tagen vermutlich kommentarlos wieder freigeschaltet. Stattdessen äußert Google gegenüber dem New Yorker, dass man sich nicht äußern wolle und dafür handfeste juristische Gründe habe. Und Dennis Cooper selbst verkündete auf Facebook, die Anwälte von Google stünden mit seinem ­Anwalt in Kontakt. Da Coopers Werk durchsetzt ist mit Themen wie Sex, Gewalt und sexuellen Gewaltphantasien, die manchmal auch Minderjährige einschließen, nehmen Gerüchte und Geraune über die Gründe der Sperrung kein Ende.
Es ist also verfrüht, Dennis Cooper zu einem Josef K. unserer Tage zu ­erklären und auch Beschwerden über Googles kafkaeskes Vorgehen greifen reichlich kurz. Schließlich müssen internationale Internetkonzerne wie Google oder Facebook bei der Fest­legung ihrer Community-Richtlinien einen Spagat zwischen den Kulturen hinlegen. Was in einem Land als völlig unbedenklich gilt, kann in einem ­anderen tabu sein. Der Versuch, hier angemessen zu agieren, gleicht dem der Quadratur des Kreises. Und auch innerhalb eines Landes sind Rechtsfragen keinesfalls eindeutig. Man nehme beispielsweise das Veröffentlichen von Dating-Profilen im Blog: Was wiegt schwerer, das Persönlichkeitsrecht oder die Kunstfreiheit?
Reflexhaft wird Google Zensur vorgeworfen, obwohl es auch hierzu­lande weitgehend anerkannt ist, dass es Inhalte im Netz gibt, die entfernt werden müssen. Darin waren sich sogar diejenigen Piratenparteigänger und anderen selbsternannten Internetaktivisten einig, die vor Jahren gegen »Zensursula« auf die Straße gingen. Als Ursula von der Leyen (CDU) den Versuch unternahm, in Deutschland Netzsperren gegen die Verbreitung pornographischer Darstellungen von Kindesmissbrauch einzurichten, hieß der Slogan der Bewegung schließlich »Löschen statt sperren«.
Dass die Situation für Menschen wie Dennis Cooper kafkaesk ist, während die Konzerne vor unlösbaren Problemen stehen, ist vor allem Politikversagen. Die großen Plattformen wie Google oder Facebook sind private Unternehmen, die festlegen können, was sie auf ihren Plattformen dulden möchten und was nicht. ­Natürlich gibt es Mittel gegen diese Privatisierung des Internet: Server oder Webspace mieten und selber hosten, E-Mails verschlüsseln, Backups machen, TOR nutzen, die großen Anbieter meiden. Das sind aber ­offenbar alles Ratschläge, die für die Mehrheit der Internet-Nutzer nicht praktikabel sind.
Zwar gibt es die revolutionäre Idee, hinreichend große Plattformen einfach zu demokratisieren, aber auch das würde das Problem nicht lösen: Welches Recht gilt, wenn eine demokratische Plattform entscheidet, ­bestimmte Inhalte zu erlauben, während gleichzeitig in ebenso demokratischen Staaten diese Inhalte strafbar sind?
Deshalb sind hier eigentlich Parlamente und Regierungen gefordert. Gebraucht werden klare Standards, was zu löschen ist und was nicht. ­Benötigt wird eine neutrale Instanz, die im Streitfall Inhalte überprüfen kann, sozusagen eine Art Internetgericht, das schnell genug agieren müsste, damit eine existenzbedrohende Sperrung von Online-Diensten schnell geklärt werden kann, ohne dass es zu einem jahrlangen Prozess vor herkömmlichen Gerichten kommt. Gebraucht werden Standards, die Internet-Anbieter wie Google zwingen, auch im Falle einer Sperrung die Inhalte aus E-Mail-Accounts zum Download anzubieten.
Das ist sehr wohl auch auf nationaler Ebene machbar, wie unter anderem das »Recht auf Vergessenwerden« zeigt. Es geht auf einen Urteilsspruch des Europäischen Gerichtshofs zurück und zwingt Google, bestimmte Suchergebnisse auf Antrag zu unterdrücken. In dem Fall ging es um einen Spanier, dessen Jahre zurückliegende Privatinsolvenz auffindbar war, wenn man seinen Namen mit Google suchte, was ihm im Alltag immer wieder Probleme bereitete. Auch wenn dieses Recht auf Vergessenwerden scharf kritisiert wird, da es den Zugriff auf Archive und somit auch die journalistische Bericht­erstattung einschränkt, zeigt das Beispiel, dass es sehr wohl möglich ist, Anbietern wie Google bestimmte Regeln aufzuzwingen.
Und für das Problem, dass in verschiedenen Staaten verschiedene Inhalte strafbar sind, ließe sich zumindest ein gemeinsamer Nenner finden und in Form internationaler Abkommen festlegen. Statt jedoch neutrale Schiedsgerichte zu schaffen, für sie Regeln zu finden und diese auch international zu verhandeln, setzt ­beispielsweise Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) lieber auf die ­private Lösung und fordert Facebook auf, mit seinen Mitarbeitern strenger gegen Hasskommentare vorzugehen, was in der Sache lobenswert ist, aber den derzeitigen kafkaesken Zustand wohl eher zementieren dürfte. Solange das so bleibt, ist der beste Rat vielleicht wirklich, sich bei wichtigen Dingen einfach nicht auf Cloud-Dienste und Gratisplattformen zu verlassen.