Das Gleichstellungsgesetz steht auf dem Prüfstand

Jubiläum in der Beschwerdestelle

Vor zehn Jahren trat das Allgemeine Gleichstellungsgesetz in Kraft. Die Evaluatoren des Gesetzes sehen keinen Grund zum Feiern.

Diskriminierung hat einen Preis – in Deutschland allerdings keinen allzu hohen. Einen Discobetreiber kostet die Zurückweisung eines Gastes wegen dessen Hautfarbe etwa 2 500 Euro. Stellen Unternehmen Bewerber wegen deren Alter, Geschlecht oder Religion nicht ein, müssen sie mit maximal drei Monatsgehältern Entschädigung rechnen. Menschen, die nach einer Diskriminierung vor Gericht gingen, erhielten im Jahr 2015 im Schnitt eine Entschädigung von 4 019,68 Euro, 2014 waren es 4 633,09 Euro.
Auch wenn das nicht wirklich viel ist: In den zehn Jahren seit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG) hätten Milliarden Euro den Besitzer oder die Besitzerin wechseln müssen. Theoretisch. Nach einer Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat fast jeder und jede Dritte in Deutschland in den vergangenen zwei Jahren Diskriminierung im Sinne des AGG erlebt. Aber kaum einer wehrt sich juristisch dagegen.
Vor zehn Jahren trat das AGG in Kraft, das auch Antidiskriminierungsgesetz genannt wird. Seitdem können Menschen, die sich wegen ihrer Herkunft, ihres Geschlechts, ihres Alters, ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert fühlen, vor Gericht Schadensersatz erstreiten. Das damit verbundene Signal ist unmissverständlich: Diskriminierung ist nicht nur ethisch verwerflich, sondern wird sanktioniert. Das ist eine gute Sache, weil damit der eine oder die andere vor Diskriminierung zurückschreckt oder etwas unternimmt, um sie zu verhindern. Heutzutage schulen immer noch wenige, aber mehr Unternehmen als vor zehn Jahren diesbezüglich ihr Personal, denn sie dürfen nicht nur bei Einstellungen und Bezahlung nicht diskriminieren. Sie müssen auch Klagen fürchten, wenn Beschäftigte von Kollegen oder Vorgesetzten herabgesetzt werden. Die meisten Stellenanzeigen sind mittlerweile strikt geschlechtsneutral formuliert. Antirassistische Initiativen können auf Grundlage des AGG besser arbeiten, um beispielsweise etwas gegen rassistische Einlasskontrollen zu unternehmen – wenn sie einen Betroffenen finden, der dagegen klagt. Denn Verbände selbst können das nicht.
Kritiker aus dem konservativen und unternehmernahen Milieu hatten gegen das AGG mit der Warnung vor einer großen Klagewelle Stimmung gemacht. Diese hat es nicht gegeben. Nur sehr wenige Menschen gehen gegen eine Diskriminierung vor: Der Datenbank Juris zufolge gab es in den vergangenen zehn Jahren etwas mehr als 1 400 Entscheidungen mit direktem Bezug zum AGG, in etwa 3 100 Fällen nahmen Richter in der Urteilsbegründung Bezug auf das Gesetz. Entschädigungen in Millionenhöhe, wie sie Diskriminierungsopfern im angelsächsischen Raum immer wieder zugesprochen werden, gibt es in Deutschland aber nicht. In wenigen Einzelfällen sprechen Richter Geschädigten Summen im niedrigen fünfstelligen Bereich zu. Wieviele außergerichtliche Einigungen oder gerichtliche Vergleiche es gegeben hat, ist unbekannt.
Die meisten Klagen gibt es im Bereich des Arbeitsrechts. »Von Rassismus betroffene Menschen klagen besonders wenig«, schreiben die Gutachter eines Evaluationsberichts zum AGG, den die Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Auftrag gegeben hat und den Juristen um die Rechtsprofessorin Christiane Brors verfasst haben. Das sei nicht auf wenige Diskriminierungsfälle zurückzuführen, sind die Gutachter sicher, sondern auf die fehlenden Möglichkeiten und Anreize für die Durchsetzung des Rechts.
Die damalige Regierung hat das Gesetz nicht aus freien Stücken eingeführt, sondern damit vier europäische Richtlinien umgesetzt. Anders als etwa Großbritannien hatte und hat Deutschland keine langjährige Antidiskriminierungspraxis. Das schlägt sich auch im AGG nieder. Das fehlende Verbandsklagerecht erschwert die Entwicklung einer solchen Praxis. Denn so sind Betroffene gezwungen, selbst zu klagen, was nicht nur das Risiko einer weiteren Erniedrigung, sondern auch hoher Kosten bedeutet. Gegen strukturelle Diskriminierung gerichtlich vorzugehen, ist ohne ein Verbandsklagerecht ungeheuer schwer. »Angesichts der zahlreichen Barrieren auf dem Weg zu individuellem Rechtsschutz sollte der Gesetzgeber kollektiven Rechtsschutz im Wege eines Verbandsklagerechts für entsprechend qualifizierte Antidiskriminierungsverbände etablieren und die Rechte von Betriebsräten und Gewerkschaften stärken«, fordern die Autoren des Evaluationsberichts.
Mit dem Gesetz wurde auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes eingerichtet. Ihre Ausstattung lässt Zweifel aufkommen, ob sie mehr als ein Alibi ist. An die Stelle haben sich in den vergangenen zehn Jahren 15 000 Menschen gewandt. Bei 27 Prozent war eine Behinderung Anlass der Benachteiligung, bei 23 Prozent die Herkunft und bei 20 Prozent das Alter. Viel für die Betroffenen können die Beschäftigten dort nicht tun. Die Antidiskriminierungsstelle hat keine Klage- oder Sanktionsbefugnisse. Sie darf forschen lassen, Öffentlichkeitsarbeit betreiben und allgemein informieren. Sie soll auf eine gütliche Einigung hinwirken, also schlichten. Konkrete Hilfe für klagewillige Diskriminierungsopfer bieten weder die Stelle selbst noch die von ihr empfohlenen Einrichtungen in den Ländern an. Sie selbst hat keine Außenstellen. In Österreich hat die Antidiskriminierungsstelle vier Filialen, in Großbritannien gibt es neben der Zentrale sogar 14 dezentrale Einrichtungen. Mit einem Budget von 3,7 Millionen Euro im Jahr 2015 lagen die Haushaltsmittel der deutschen Antidiskriminierungsstelle im unteren Drittel der EU-Staaten – obwohl Deutschland der reichste und größte Staat in der EU ist.
Antidiskriminierungsstellen in anderen EU-Staaten bekommen nicht nur mehr Geld, sondern haben auch mehr Befugnisse. In Belgien soll die dortige Antidiskriminierungsstelle ebenfalls schlichten, hat aber Klagebefugnisse. In Österreich kann sie Fälle untersuchen, Betroffene beraten und vor Gerichtsverhandlungen begleiten sowie Verfahren bei der Gleichbehandlungskommission einleiten. Der französische Défenseur des Droits kann eine Mediation für beide Seiten anbieten und eine finanzielle Entschädigung für die Betroffenen vorschlagen, die bei natürlichen Personen bis zu 3 000 Euro und bei juristischen bis zu 15 000 Euro betragen darf.
So etwas fehlt in Deutschland. Die wenigen Auswirkungen, die das AGG hatte, sind vor allem im Arbeitsleben zu finden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund zieht eine gemischte Bilanz. Immerhin stärkt das AGG die Rechte von Beschäftigten. Arbeitgeber müssen Arbeitnehmer vor Diskriminierung schützen. Dazu müssen sie spezielle Beschwerdestellen einrichten. Doch die gibt es kaum, kritisiert die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack. »Neben den innerbetrieblichen Beschwerdestellen braucht es aber auch kommunale und regionale Beratungsstrukturen, um von Diskriminierung Betroffene zu unterstützen«, fordert sie. Auch der DGB fordert ein Klagerecht für Verbände.
Mit der derzeitigen Bundesregierung wird es das nicht geben. Die Union will davon nichts wissen. »Ich bin dagegen, dass wir eine Art Sittenpolizei in Deutschland aufbauen«, sagte dazu der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Michael Fuchs. Die Arbeitgeber hatten sich schon gegen die Einführung des Antidiskriminierungsgesetzes gesträubt. Von den vorgeschlagenen Reformen halten sie nichts. Der »sogenannten Evaluation« ginge es nicht um sachliche Auseinandersetzung, sagte der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter. Die Vorschläge gehörten »in den Papierkorb«.
Da sähen die deutschen Firmen wohl gern das ganze AGG. Denn die Unternehmen müssen tatsächlich achtsamer sein als früher. Sie fürchten nicht in erster Linie die echten Diskriminierungsopfer, sondern sogenannte AGG-Hopper. Das sind vor allem Juristen, die aus diskriminierenden Stellenausschreibungen Kapital schlagen wollen: Sie bewerben sich und verklagen das Unternehmen, wenn sie die Stelle nicht bekommen. Berühmt geworden ist mit diesem Geschäftsmodell ein Münchener Rechtsanwalt, der unter anderem die R+V Versicherung wegen Altersdiskriminierung verklagt hat – ausgerechnet jenes Unternehmen, das Profit aus dem Antidiskriminierungsgesetz schlagen will, indem es Firmen spezielle Policen gegen AGG-Klagen verkauft. Kürzlich hat der Europäische Gerichtshof dem AGG-Hopping ein Ende gemacht. Er hat entschieden, dass nur Anspruch auf Entschädigung hat, wer sich ernsthaft um eine Stelle bewirbt. Jetzt müssen diskriminierende Firmen noch weniger mit einer Klage rechnen.