Die AfD sieht sich im Kampf gegen die "Genderideologie"

Alternativer Genderwahn

So merkwürdig gendersensible Sprachvorschläge auch daherkommen mögen, das neurechte Milieu reagiert aggressiv darauf. Besonders die AfD fürchtet um die deutsche Kultur und geschlechtliche Identität.

»Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, sehr geehrte Schwule, sehr geehrte Lesben, sehr geehrte Androgyne, bi-gender, sehr geehrte Frau-zu-Mann und sehr geehrte Mann-zu-Frau, sehr geehrter Gender-Variable, sehr geehrte Gender-Queer, sehr geehrte Intersexuelle, sehr geehrte Weder-Noch-Geschlechter … « begrüßt Steffen Königer, sozialpolitischer Sprecher der brandenburgischen »Alternative für Deutschland« (AfD) seine Landtagskollegen in gespielter Ernsthaftigkeit. Nachdem er ebenfalls »Inter*männ­lich« und »Inter*weiblich« begrüßt hat, unterbricht ihn der Landtagspräsident zaghaft. Königer lässt sich nicht beeindrucken und fährt fort. Hämisches Gelächter erschallt auf seine Rechtfertigung, er sei ja mit der Begrüßung noch nicht einmal fertig. Der Antrag, um den es geht, ist ein »Aktionsplan für Akzeptanz von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt, für Selbstbestimmung und gegen Homo- und Transphobie in Brandenburg« und wurde gemeinsam von SPD, Linken und Grünen eingereicht. Der AfD-Mann beendet die ausufernde Begrüßung mit der demonstrativen Ablehnung des Antrags.
Königers Rede war ein medialer Erfolg: Zehntausende haben das Video der Aktion auf Youtube angesehen, in den Kommentarspalten echauffieren sich User über den »Genderwahnsinn«. Zur Anfertigung der Liste bedarf es keines Studiums der Gender Studies. Königer hat die Kategorien einfach aus den sozialen Netzwerken kopiert. Seit 2014 kennt Facebook nicht mehr nur Nutzerinnen und Nutzer, sondern es stehen insgesamt 60 unterschiedliche Geschlechtsidentitäten zur Wahl. Diese erarbeitete das soziale Netzwerk gemeinsam mit dem Lesben- und Schwulenverband Deutschlands (LSVD). Der LSVD sieht in der gendersensiblen Sprache ein Zeichen des Respekts.
Eine der Grundannahmen gendersensibler Sprachregelungen ist, dass Sprache Wirklichkeit nicht einfach beschreibt, sondern performativ hervorbringt und deshalb geeignet ist, Machtverhältnisse zu reproduzieren oder zu destabilisieren. Verwendet »man« beispielsweise das generische Maskulinum, schließt »man« damit diverse geschlechtliche Möglichkeiten sprachlich aus und tut all jenen, die sich nicht als Mann identifizieren, somit Gewalt an. Die Frage, wie man möglichst sensibel und respektvoll sprechen kann, führt bisweilen zu skurrilen Diskussionen. So wird beispielsweise der Übergang vom sogenannten Gender_Gap, einem Unterstrich, der gegenüber dem großen Binnen-I den Vorteil aufweist, dass er keine Zweigeschlechtlichkeit konstruiere, zum Sternchen (*) damit begründet, dass es in unterschiedliche Richtungen strahlt und insofern zur Repräsentation diverser Genderidentitäten besser geeignet sei als das »I«.
Gegenwärtig ist die wohl produktivste Instanz in Sachen feministischer Sprachpolitik die von Lann Hornscheidt besetzte Professur für Gender Studies und Sprachanalyse an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU). Hornscheidt behauptet etwa, dass der herkömmliche Unterstrich noch zu sehr an Zweigeschlechtlichkeit erinnere, weil er an jener Stelle des Wortes verharre, an dem normalerweise die Geschlechterdifferenz markiert wird. Der Gegenvorschlag Hornscheidts war ein dynamischer Unterstrich, der an beliebiger anderer Stelle in ein normalerweise geschlechtliches Wort eingesetzt werden kann. Dies führt zu unleserlichen Konstruktionen wie dieser, die auf einer einschlägigen Seite als Beispielsatz für sprachliches Benehmen angepriesen wird: »We_lche Mita_rbeiterin will denn i_hre nächste Fortbildung zu antidiskriminierender Lehre machen? Sie_r soll sich melden. Der Kurs ist bald voll.«
Solche Formulierungen sind weder schön, noch verständlich. Die Attraktivität der Sprachpolitik dürfte eher darin liegen, dass sie einen individuellen Ausweg aus – oder zumindest »Handlungsfähigkeit« innerhalb von – objektiven Unzumutbarkeiten verspricht. Die basisdemokratischen Töne, die in entsprechenden Veröffentlichungen angestimmt werden, es handele sich dabei lediglich um jederzeit revidierbare Vorschläge, kaschieren die autoritäre Weisung, man solle sich an einen »Sprachleitfaden« (Jungle World 19/2014) halten, um nicht gewalttätig zu sein, nur stümperhaft. Innerhalb der gender- und sprachsensiblen peer group verhilft sie zu Disziplin, nach außen dient sie der Distinktion.
Ein Austausch über das Geschehen jenseits des Sprachlichen scheint ohnehin nicht von Interesse, aber selbst Sprache wird simplifiziert: ihre wirklichkeitsstiftende Funktion grandios überschätzt, ihre deskriptive Seite verleugnet und Ironie getilgt. Wenn Herr Königer im Genderwahn nun auch noch so viele politische Korrektheiten begeht, an der gewalttätigen Wirklichkeit ändert dies wenig. Denn seine Gemeinheit funktioniert ja gerade, weil die politisch korrekte Ansprache keine realen Folgen hat außer der Verhöhnung ihrer vermeintlichen Adresse. Königer zeigt die Performanz eines Täters, der sich seines Sieges und der Zustimmung am digitalen Stammtisch Facebook sicher ist. Die wirklichkeitsstiftende Kraft erhält diese Sprache nicht dadurch, dass sie gesprochen wird, sondern dass Gesetz, Medizin und Mob ihre unmenschliche Wahrheit gewaltsam absichern und geschlechtliche Eindeutigkeit erzwingen. Von solch materiellen Gewalten haben die linguistisch geprägten Gender Studies keinen Begriff.
Auch die AfD überschätzt die Macht der sprachtheoretisch orientierten Gender Studies maßlos. Im Kampf gegen »Gender-Ideologie« oder »Genderwahn« setzt sie sich somit nicht nur gegen Gender Mainstreaming, sexuelle Früherziehung oder für eine Verschärfung des Abtreibungsrechts ein, sondern erhebt in Widerspruch zu der tatsächlichen Irrelevanz der Gender Studies deren Abschaffung zu einem zentralen Punkt ihres Grundsatzprogramms. Die eigene Unsachlichkeit wird positivistisch begründet: Die Genderforschung sei unseriös, ihre Methoden pseudowissenschaftlich und ihre »Zielsetzung primär politisch motiviert«. Als würden nicht ohnehin ganze Studiengänge dem Spardiktat zum Opfer fallen, plädiert die AfD dafür, dass Bund und Länder »keine Sondermittel für die Gender-Forschung mehr bereitstellen«, bestehende Gender-Professuren nicht nachbesetzt und Forschungsprojekte nicht verlängert werden.
Die heftigen Reaktionen des neurechten Milieus auf die queerfeministische Sprachpolitik stehen in keinem Verhältnis zur gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit der performativitätstheoretisch verbrämten Gender Studies. Die Erregung der neuen Rechten hat mindestens zwei Gründe: Die AfD lehnt »politisch korrekte Sprachvorgaben« zum einen ab, weil sie in ihnen eine Gefährdung der deutschen Kulturnation sieht. Geschlechtsneutraler Sprachgebrauch sei ein »Eingriff in die natürlich gewachsene Kultur und Tradition« eine »Verunstaltung der deutschen Sprache«.
Gleichzeitig scheint die gendersensible Sprache in den Reihen der neuen Rechten tatsächlich eine Art »Gender Trouble« (Judith Butler) auszulösen: Als Hornscheidt 2014 zusammen mit der Gruppe »Feministisch Sprachhandeln« der HU den Sprachleitfaden vorschlug, brach sich bei den »neuen Rechten« der Hass Bahn. Da sich Hornscheidt weder männlich noch weiblich identifiziert, bat Hornscheidt darum, in Zukunft mit »Sehr geehrtx Profx. Lann Hornscheidt« und dem dazugehören Pronomen »x« angeschrieben zu werden. Bei Facebook ereifert sich der Mob daraufhin über den »sinnlosen Genderwahnsinn«. Der eigene, offenbar für sinnvoll befundene, Wahn gipfelte schließlich in Mord- und Vernichtungsphantasien. In Vergewaltigungsdrohungen artikulierte sich der der Hass auf die eigenen verdrängten homosexuellen Anteile sowie der Wunsch danach, die Geschlechtsidentität des prospektiven Opfers auf brutalst mögliche Art zu vereindeutigen und es gleichsam dem männlichen Subjekt zu unterwerfen.
Mittlerweile hat Hornscheidt den eigenen Vorschlag zur genderkorrekten Sprache weiter modifiziert. Statt mit »Sehr geehrtx Profx. Lann Hornscheidt« möchte die Instanz für Sprachverwirrung nun mit »Professecs« betitelt werden. Dies jedoch nicht aufgrund einer plötzlichen Eingebung über den Unsinn solch esoterischen Gebrabbels angesichts der gewaltsamen Wirklichkeit, sondern weil die Form des »-x« als eine »Vereinnahmung der antirassistischen Strategie« kritisiert worden sei – sie erinnere nämlich an Malcolm X. Die Idee hinter der neuen Anrede sei, mit »esc« für »exit gender« Geschlecht sprachlich zu verlassen und zu betonen, »dass es etwas jenseits der Frauen- und Männerlogik gibt«. »Esc« für »exit gender« und nicht für »escape«? Seien wir mal nicht so genau, schließlich lassen sich die repressive Geschlechterordnung und ihre Wächter bei der AfD ohnehin weder sprachlich noch durch Tastendruck bekämpfen.