Warum sind Landwirtschaftssimulationen so beliebt?

Ackern nach Feierabend

So regressiv Computerspiele wie »Landwirtschafts-Simulator 17« sind, nachvollziehbar ist ihre Beliebtheit allemal.

Für eine kurze Zeit war Traktorfahren das Sozialistischste, was man überhaupt tun konnte. Nach der Russischen Revolution galten die knatternden Landmaschinen als das Symbol schlechthin für den Aufbruch des unterdrückten Muschik der Zarenzeit hinein in die kommunistische Kolchosenwirtschaft. Stolze Parteisekretäre nannten ihre Töchter Traktorina, Plakatkampagnen informierten die Landbevölkerung über sensationelle Leistungen der Sowjetwirtschaft bei der Traktorproduktion und in Nachfolge von Traktorpionierin Pascha Angelina fuhren Frauen am Steuer des Schleppers gen Gleichberechtigung. Nun erfreut sich der Traktor bei der technikaffinen Bevölkerung erneut großer Beliebtheit. Doch statt Kolchoseflächen pflügen die begeisterten Landwirte heute lieber digitale Äcker.
Der »Landwirtschafts-Simulator 2017« ist noch nicht mal erschienen und schon eines der beliebtesten Spiele in den Amazon-Verkaufs­charts. Gleich mehrere Male in verschiedenen Versionen ist das Spiel in den Top Ten vertreten. Sicher können ähnliche Spiele dank ihres Trash­faktors zu einer gewissen Beliebtheit gelangen. Der Goat-Simulator, in dem das äußerst abenteuerliche Leben einer Ziege nachgespielt werden kann, ist nur das bekannteste Beispiel. Bei der Landwirtschafts-Simulator-Reihe dagegen liegt die Sache anders. Das Spiel erscheint inzwischen in seiner neunten Auflage und tritt mit ernsthaften Ambitionen an. Vom realistischen Fahrmodell für einzelne Maschinen über den Multiplayermodus bis zum detailliert simulierten Traktorcockpit.
Die Ökonomie der Landwirtschaftssimulatoren dagegen ist angenehm flach. Man kauft Saatgut, bringt es aus, pflegt, erntet und verkauft die Pflanzen hinterher wieder mit Gewinn. Da gibt es keine sinkende Nachfrage, keine Versicherungen und Getreidebörsen und auch sonst nichts von alldem, was den Kapitalismus so kompliziert und unangenehm macht. Was sich anfühlt wie völlig natürliche Meritokratie ist tatsächlich ein Phantasiewirtschaftssystem, wie es von vielen Erwachsenen erträumt wird, doch nie existieren könnte. Während in der echten Landwirtschaft längst die Devise »go big or go home« gilt, nach der Bauern entweder klei­nere Wettbewerber ausstechen müssen oder eben selbst ausgestochen werden, kann man sich im Landwirtschafts-Simulator noch von der kleinen Scholle aus hocharbeiten bis zum solide wirtschaftenden Großbetrieb.
Wie kompliziert Landwirtschaft ist, ließ sich in den vergangenen Jahren anschaulich verfolgen an den deutschen Milchbauern. Weil sie gerne mehr davon verkauft hätten, lobbyierten die Bauernverbände gegen die scheinbare Planwirtschaft der Milchquoten und am 1. April 2015 lief die Quotierung tatsächlich aus. Was folgte, war jedoch ein bitterer Aprilscherz, denn sofort vergrößerten alle Landwirte, die es sich leisten konnten, ihre Herden, um mehr von ihrem lukrativen Produkt verkaufen zu können. Schon bald kam der Preisverfall, der gegenwärtig viele landwirtschaftliche Betriebe in die Existenznot bringt. Die Entfesselung der ­Produktivkräfte verwohlfeilert die Produkte, was unfreiwillig das beste Argument für eine gewisse staatliche Planung der Wirtschaft gibt. Am Ende ist es aber nicht der böse Aldimarkt, der den Preis ruiniert, sondern der liebe Kollege, der auch gerne mehr verdienen würde und durch seine Überproduktion die Preise weiter drückt.
Doch mit solchen Sorgen muss man sich im Landwirtschafts-Simulator nicht herumschlagen. Wer ­ordentlich arbeitet, wird hier auch ordentlich entlohnt. Das Spiel simuliert eine Ökonomie ohne Gesellschaft, in der alle produzieren können und immer Abnehmer finden. Hier ist der virtuelle Landwirt nicht nur ein kleines Rädchen in einem gigantischen Getriebe, machtlos dem Markt ausgeliefert. Wenn er finanziellen Überschuss erwirtschaftet, kann er es wieder in neue Projekte investieren und schafft so nicht nur wiederum neues Kapital, er kann sich sogar der alle umgebenden Natur bemächtigen – einer der ältesten Träume der Menschheit. Auf diese Weise helfen Spiele wie der LandwirtschaftsSimulator, das romantisierte Bild ­einer urwüchsig-natürlichen Arbeitswelt zu erhalten. Weil sich die Arbeit im Landwirtschafts-Simulator auch immer lohnt, nährt sie die verinnerlichte neoliberale Phantasie, dass die Habenichtse nicht genug arbeiten würden und alle, die viel besitzen, auch viel gearbeitet haben. Ironischerweise können andere Spieler in dieser Phantasie des fairen Wettbewerbs nie als Konkurrenten, sondern immer nur als Kooperationspartner auftreten. Das können sie per Multiplayergame, die interessanteren ­Kooperationen finden aber außerhalb des Spieles statt. Wie viele Simulatorspiele lebt der Landwirtschafts­Simulator auch von seiner sehr aktiven Modding-Szene, die mit emsiger Leidenschaft und unbezahlt neue Traktoren und Features für das Spiel schafft.
Die heutige Arbeitswelt dagegen ist der krasse Gegenentwurf zu solch ­einer Vorstellung nichtkommerzieller Kooperation. In der arbeitsteiligen Gesellschaft sind den Arbeitenden die von ihnen produzierten Produkte so fremd, dass viele nicht einmal mehr wissen, was sie eigentlich genau ­produzieren. Wo der Fabrikarbeiter ­wenigstens noch das Endprodukt ­seines Schaffens erahnen konnte – auch wenn es ihm nicht gehörte –, sind Dienstleistungen nichts weiter als eine Handlung, häufig vollkommen ohne materielle Basis. Auch die Entfremdung des Menschen von seiner Gattung ist in der Dienstleistungsgesellschaft auf dem Höhepunkt angekommen. Standen Fabrikarbeiter noch gemeinschaftlich am Fließband oder bestellten Bauern in der Kolchose zusammen die Felder, schreitet die Vereinzelung dank Bildschirmarbeit immer weiter voran – in den Großraumbüros herrscht gespenstische Stille.
Auch die beste Bezahlung hilft nicht über die Sinnsuche hinweg und ­immer wieder gibt es die berühmten Aussteiger, die, anstatt ihr sechsstel­liges Jahresgehalt weiter zu beziehen, ihrem Leben einen tieferen Sinn geben wollen. Spezialisierte Jobbörsen haben daraus ein eigenes Geschäftsmodell entwickelt. Sie vermitteln ausgebrannten Büromenschen Jobs als Postbote in der Antarktis oder Kindergärtner in Äthiopien.
Daran lässt sich bereits erahnen, warum sich der Landwirtschafts-Simulator und andere Spiele wie Truck-, Bau-, oder Bussimulatoren so großer Beliebtheit erfreuen. Sie helfen nicht nur, ein komplexes Lebensumfeld überschaubarer und kontrollierbarer zu machen, bei all diesen Spielen wird auch das Ergebnis der virtuellen Arbeit greifbar. Das romantisierte Landleben und das Anbauen der ­eigenen Nahrung sind Dinge, die den Stadtmenschen der Dienstleistungsgesellschaft mindestens so fremd geworden sind, wie dem Industrie­arbeiter bei Marx die Produkte seiner Arbeit. Und so wird der Traktor, das einstige Sinnbild für gesellschaftlichen Fortschritt, zum Symbol einer regressiven Sehnsucht nach einfachem Landidyll und nichtentfremdeter Arbeit.
Aussagen begeisterter Digital-Landwirte bestätigen dies. Wer einen Blick in entsprechende Foren wirft – und von denen gibt es viele –, findet immer wieder den Wunsch nach einer heilen Welt ohne Verpflichtungen und Konkurrenzkampf, den der Landwirtschafts-Simulator dankenswerterweise befriedigt. Man lebt für und unter sich, keine fremden Einflüsse, es gibt niemanden, der den selbstproduzierten Mehrwert abschöpft. Ein Glück, dass nicht noch das bäu­erliche Familienleben mit der tüchtigen und züchtigen Bauersfrau und den braven, blonden und blauäugigen Kindern in Latzhosen dazu simuliert wird.
Aber trotz der regressiven Elemente ist nicht alles schlecht an Landwirtschafts-Simulator und Co., der Wunsch nach Urlaub vom Kapitalismus ist verständlich. Und wieso Menschen diesen Urlaub mit Arbeit verbringen, ist bei genauerer Betrachtung auch nachvollziehbar – zumindest ein wenig. Und vielleicht sind solche aus dem Eskapismus entstandenen landwirtschaftlichen Fähigkeiten und die Begeisterung dafür eines Tages recht hilfreich, wenn es dann heißt: Jeder nach seinen Bedürfnissen und seinen Fähigkeiten. Ganz sicher riecht die digitale Kolchose einfach hundertmal besser als jede kollektiv betriebene Aussteigerfarm. Wo es keine Mitbewerber gibt, da gibt es außerdem keinen Bauernverband und kein Plenum, auf dem die gemeinsame Existenz nervtötend diskutiert und durchgeplant werden muss. Ein Hoch also auf die erholsame Isolation in der digitalen Natur.