Diese Gesellschaft hat den Gruselclown verdient

Die Maske mit dem schlimmen Lachen

Eine kurze Geschichte des bösen Clowns.

Als dieser Artikel mit der Redaktion vereinbart wurde, waren »Gruselclowns« noch eine schräge Marginalie, freilich eine mit langem semantischem Schatten. Mittlerweile ist dieses Grinseschwein schon ein paar Mal durchs mediale Dorf getrieben worden, und jeder politische Clown hätte ich beinahe gesagt, jeder Rotnasen-Experte und jede Kulturanthropologin hat Empörung und Erklärung beigesteuert. Wer zu spät kommt, den bestraft die Aufmerksamkeitsökonomie. Unterdessen ist die Angst vor Gruselclowns ungefähr hundertmal so groß wie die Wahrscheinlichkeit, wirklich einem über den Weg zu laufen, und der mediale Hype ist ungefähr hundertmal so groß wie diese »reale« Angst. Wir befinden uns bereits wieder einmal in der Abkling- und Aufwachphase, die es nach solchen Operationen am offenen Angstherzen stets gibt. Kürzlich sagte der Innenminister Thomas de Maizière, dass er »null Toleranz gegenüber Horror-Clowns« fordere; so etwas kann man einen Schlussgag nennen.
Da ist einerseits ein neuer »schwarzer Mann« entstanden, ein Kinderschreck, mit dem vor allem Kinder ihren gleichaltrigen Freunden Angst machen wollen, um mit ihrer eigenen Angst zurechtzukommen. Und andererseits ein netter kleiner Aufreger, passend in die Post-Truth-Phase der Postdemokratie, garantiert »unpolitisch«, emotional und bildhaft. Ein Gruselclown ist wohltuend konkret verglichen mit dem, was uns wirklich Angst machen sollte. Aber etwas muss in solch einer Hysterie stecken, auch wenn sie zum größten Teil imaginiert und inszeniert ist. Hier also der Versuch, die Sache mehr oder weniger abzuschließen mit einer einfachen Frage: Warum passen Gruselclowns so hervorragend in die Kultur des angespannten Neoliberalismus, in der sich auch noch die letzten faulen Versprechungen als dreiste Lügen erweisen?
Dass der Clown eine rundum freundliche und harmlose Figur gewesen sei, bevor es in Stephen Kings »Es« losging mit der Verwandlung, hält sich hartnäckig als Vorstellung auch in der derzeitigen Debatte. Es wird so getan, als würden eine kleine Gruppe Soziopathen und eine große Menge verantwortungsloser Journalisten eine liebenswerte Figur umdeuten, die gerade noch neben knopfäugigen Bären und Barbie-Puppen Kinderzimmer, Manege und Bildschirm belebte. Der Psychotherapeut Reinhold Wehner erklärt (laut einem Bericht in der Süddeutschen Zeitung): »Wenn sich Gut und Böse vermischen, ist das für Kinder, aber auch für Erwachsene, wie ein wahrgewordener Albtraum.« So erklärt sich, dass man vor nichts so viel Angst haben muss wie vor dem richtigen Leben. Wissenschaftler aus Sheffield hatten, jedenfalls wenn man den Medienberichten Glauben schenken darf, eine ähnlich unterkomplexe Erklärung für die jugendliche Clownsangst. Es sei, hieß es da, eine Angst vor dem »unbekannten Aussehen und Auftreten«. Die gute Nachricht: Die Angst vor dem Unbekannten im Allgemeinen, dem clownsgesichtigen Unbekannten im Besonderen, werde sich bei den meisten Menschen mit dem Älterwerden schon wieder legen. Und wenn nicht, dann gibt es wenigstens zum Beispiel eine mehr oder weniger neue psychische Erkrankung, die in der psychiatrischen Codierung als »Coulrophobia« im DSM-IV, dem »Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders«, unter »speficic phobia« code 300.29 gelistet ist. Es muss eben alles seine Ordnung haben.
Wer nicht clownskrank werden will, bedient sich eines Abwehrzaubers namens Popkultur. Stephen King hat mit seinem Pennywise aus »Es« (die Neuverfilmung ist passenderweise in vollem Gang) zwar eine der eindrucksvollsten Gestalten des bösen Clowns geschaffen, aber es gibt die Figur schon lange Zeit, und zwar in dreifacher Variation. Da ist zum einen der Clown (wie besagter Pennywise), dem äußerlich seine Bosheit gar nicht anzumerken ist. Man muss genauer hinsehen, um das Diabolische in seinem Grinsen, die Drohung hinter der glatten Maske zu erkennen. In der Wirklichkeit hat dieser Clown mit den zwei Gesichtern eines seiner Vorbilder in dem US-amerikanischen Serienmörder John Wayne Gacy, der zwischen seinen Mordtaten als Pogo der Clown auf Kinderfesten auftrat. Aber schon viel früher, zum Beispiel in der Oper »Pagliacci« von Ruggero Leoncavallo erkennen wir den Mörder hinter der Bajazzo-Gestalt. Zum zweiten gibt es den zersetzten und zerrissenen Maskenclown; nacktes Fleisch, Narben, hässliche Zähne, blutunterlaufene Augen brechen gleichsam durch die Maske hindurch. Dieser Clown war möglicherweise schon einmal tot und begraben oder die Puppe ist in den Müllzerkleinerer geraten. Diese Variante ist der Liebling des Horrorfilms und der entsprechenden Maskeraden. Der »Joker« als einer der furchtbarsten Gegner Batmans hat eine Metamorphose von Variante eins zu Variante zwei durchlaufen. Variante drei ist der Böse mit den clownesken Zügen, entweder körperlich (»The Man Who Laughs«, dem eine Messerklinge ein ewiges Grinsen ins Gesicht geschnitten hat, nur zum Beispiel) oder in den Verhaltensweisen (Gert Fröbes »Goldfinger« ist nicht zuletzt durch seine komischen Züge der unübertroffene James-Bond-Bösewicht). Das Böse mit den clownesken Zügen ist nicht zuletzt eine wiederkehrende politische Figur. Donald Trump und ähnliche Charaktere sprechen ihre Klientel nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer clownesken Züge an. Der Clown ist eine Figur, die sich nicht benehmen kann. Daher erwartet man, wie in allem Grotesken, dass eine verborgene Wahrheit ausgesprochen wird. Dass Macht möglich ist jenseits der bürgerlichen Eliten, Sprachen und Erscheinungen. Als wären Mörderclowns noch immer die Sehnsucht der von Demokratie überforderten Völker.
Das Wesen des Clowns ist böse. Was ihn rein äußerlich entschuldet, ist seine Entfernung vom »normalen« bürgerlichen Mann. Er ist ein Kind, das hört man schon an seiner Stimme, an seiner Artikulation, an seiner direkten Emotionalität: Lachen oder Heulen sind direkte Reaktionen, Wollen und Können noch äußerst different. Der Clown will nicht, was er kann, und kann nicht, was er will. Aber er ist auch Greis, worauf seine Glatze und sein schütteres Haar, seine unbeholfenen Bewegungen und manche Gebrechen wie etwa Seh- und Hörschwierigkeiten hinweisen. Seine Sexualität ist polymorph-pervers, um es vorsichtig zu sagen. Er will sich die Welt einverleiben oder sich in ihr auflösen, verheddert sich im Vaginalen wie im Phallischen. (Er will dauernd sterben oder geboren werden.) Der Clown ist unbehaust, ein Reisender (der Koffer gehört zu ihm), aber er kommt nicht vom Fleck. Seine geflickten Hosen, die übergroßen, zerschlissenen Schuhe, kaputten Hüte weisen auf Erfahrungen des Elends, aber darin sind, wie im künstlichen Bauch, immer auch Dinge verborgen, Instrumente, mit denen man in einem Augenblick Musik machen und im anderen Menschen auf den Kopf schlagen kann. Es ist erstaunlich, was der Clown aus sich selbst hervorzaubern kann. Rote Nase und leuchtende Backen deuten auf leibliche Genüsse und bacchan­tische Gelüste hin, doch zugleich ist dominierendes Weiß auch ein Hinweis auf Todesnähe und Gespensterhaftigkeit. Die Augen des Clowns sind zwar groß, aber auch wieder wie »durchgestrichen« oder zugenäht, wie von einem, der verzweifelt sehen will und nicht sehen kann. Der Clown ist mit einem Wort eine Erscheinung der Paradessenz (eine Zusammenziehung von »paradoxe Essenz«): Jedes Zeichen, jede Eigenschaft wird von ihrem eigenen Gegenteil begleitet; er ist das Wesen, das sein Gegenbild in sich selbst hat. Und zu dieser living contradiction gehört eben auch, dass er zugleich gut und böse, Täter und Opfer ist. Immer gewesen.
Im klassischen Zirkusprogramm ist der Clown einerseits jene Figur, die um Aufmerksamkeit buhlt, während im Hintergrund der Umbau für die »wirklichen« Nummern vonstatten geht; und schon unter dieser Funktion als Pausenfüller muss er leiden und seine eigene Aggression entfalten. Die Erinnerung an Disneys »Dumbo«-Film genügt, um sich an den Gehalt von Brutalität und Tücke von Clownsnummern zu erinnern. Diese Clowns brauchen ein Opfer, und wenn es kein kleiner (glücklicherweise fliegender) Elefant ist, dann holen sie sich eines aus dem Publikum. Gehört es zur Angstlust im Zirkus, von einem Clown als Opfer auserkoren zu werden? Die großen eigenständigen Clownsnummern der Nachkriegszeit sind von dem Bemühen geprägt, dem Clown menschlichere, sympathischere Züge zu verleihen. Oleg Popow stattete die Figur mit der bäuerlichen Naivität des Kindmenschen aus, der eine eigentümliche dostojewskische Verbindung mit dem Himmel hat: Grock ließ ihn zum staunenden Kind werden und sogar sprechen (»nit möchlich«). Die nächsten Generationen trieben die Vermenschlichung weiter, und mit Gardi Hutter fand der Clown ein weibliches Gesicht (etwa in einer wirklich umwerfend komischen Wäscheaufhänge-Szene). So wurde der Widerpart des aggressiven (und autodestruktiven) Clowns der »poetische Clown«, ein eher introvertierter, staunender Mensch am Rande der Erkenntnis. Der poetische Clown versichert seinem Publikum seine Metaphernhaftigkeit, er versichert die Zuschauer in gewisser Weise vor sich selbst. Alle diese »großen«, »menschlichen« und »poetischen« Clowns haben eines gemeinsam: Sie verzichten vollständig auf den Übergriff, bleiben in ihrer eigenen Welt, respektieren, ja formen die Grenzen zwischen der eigenen Ambivalenz und der Ordnung jener, die sie als Schauspiel genießen. In ihnen sollte der Clown wahrhaft zum Kunstwerk geworden sein.
Auch die Narrationen in der Popkultur setzten diese Vermenschlichung fort. In den Zirkusfilmen pflegen Clowns herzkrank zu sein, die Seele des Unternehmens, gezeichnet von biographischen Brüchen, Verrat und dunkler Vergangenheit; sie lieben, wie Hans Moser oder Heinz Rühmann in den entsprechenden Filmen, ihre Kinder, von denen sie bemerkenswerterweise durch ihre Clownsrolle getrennt sind. Federico Fellini blickte in »I clowns« auf eine besondere Verbindung des Grotesken mit dem Alltäglichen und sah eine versunkene Welt des Spektakels. Bei alledem war in der bürgerlichen Kultur der Clown noch viel furchtbarer als sein proletarisch-bäuerlicher Vorläufer geworden, nämlich ein Bild des Sterbens und des Scheiterns. Dave Davies hatte mit »Death of a Clown« einen eher untypischen Kinks-Hit, Smokey Robinson sang von den »Tears of a Clown«, Johannes Mario Simmel ließ seine genetische Gruselmär in »Mit den Clowns kamen die Tränen« in einer Zirkusvorstellung kulminieren, als letzte Erscheinungsformen des Menschlichen tauchen die Clowns im absurden Theater auf. Traurige Clowns in Kaufhauskunstdrucken und echten oder nachgemachten Gemälden von Jean Dubuffet verschönerten das bürgerliche Heim. Und mit Patch Adams und seiner Darstellung durch, wen sonst, Robin Williams, wurde der Clown endlich zum therapeutischen Begleiter kindlicher Patienten, lebensmutig und gütig, sogar in Todesnähe. Auch die Clownspuppen im Kinderzimmer und die Karnevalsmasken hatten ihre Ambivalenz weitgehend verloren. Jerry Lewis erzählt in seinem nie veröffentlichten Film »The Day the Clown Cried« von einem Clown im Konzentrationslager. Vom archaischen Täter/Opfer-Gemisch ging die Reise zum bewussten Opfer. Die Trauer des Clowns musste aus der Tatsache entstehen, dass er von der Welt, die über ihn lacht, ausgeschlossen war. Und aus der reinen Körperlichkeit von einst war nun eine reine Zeichenhaftigkeit des Clowns geworden.
Hinter der Maske des fröhlichen Clowns verbirgt sich eine große Trauer, oder, anders herum, wie bei Heinrich Böll, die Maske des Clowns dient als Vehikel von Dissidenz und Scheitern. Von dieser Sentimentalisierung und Metaphorisierung erholte sich die Clownsfigur nur langsam. Nicht indem sie zu ihrer Ambivalenz zurückkehrte (wie sollte das auch gehen?), sondern indem gegen den klischeehaften traurigen, guten Clown sein unverschämter und geschmackloser Schatten ins Rennen geschickt wurde, der Mr. Bungle aus der Pee Wee Herman-Show zum Beispiel, der amerikanischen High School-Kids vormachte, wie man lustvoll verkommt. 1985 nannte sich eine lärmende Band aus Kalifornien nach dieser Figur. Seitdem tauchen immer wieder Clownsmasken bei Rockbands auf, aber nicht mehr so nett wie bei Leo Sayer (»The Show Must Go On«), und natürlich erfüllte Crusty the Clown bei den Simpsons alle derben Klischees eines Showbusiness-Zynikers, der sein Publikum nach Kräften verarscht. Diese Figur hatte Jerry Lewis in seiner Erbschaftsgroteske »The Family Jewels« (1965) schon skizziert: Der Clown, der sein Publikum verachtet und betrügt, war eine konsequente Geste gegen die Sentimentalisierung und Überhöhung. Lewis decodierte dabei im Übrigen auch die emblematischste aller Einstellungen zum traurigen Clown, die es noch beim späten Chaplin gibt: den Blick des Clowns beim Abschminken in den Spiegel.
Da steckt ein weiteres Element im Mythos, das die Unheimlichkeit der Figur betrifft, nämlich seine Strafunmündigkeit. Der Clown kommt mit allem durch; er entzieht sich nicht nur der Gerichtsbarkeit, sondern auch der semantischen Moralität. So wie er im Zirkus jene Figur ist, die die Grenzen zwischen der Manege und dem Publikum missachtet, so ist er in seinen narrativen Widerspiegelungen die Figur, die die Grenzen zwischen Auftritt und Leben, zwischen Maskerade und Alltag missachtet. Darin steckt eine Voraussetzung für die Wiedergeburt des Clowns als Killer.
In dem neueren Film »Clown« (2014), dem Eli Roth die Weihen als Produzent gab und in dem er eine kleine (Clowns-) Rolle übernahm, stürzen einige Elemente des Mythos ineinander: Ein Familienvater übernimmt, weil ein Mietclown abgesagt hat, selber die Aufgabe, seinen Kindern und ihren Freunden eine komische Nummer zu bieten, und spielt die Clownsrolle in einem auf dem Dachboden gefundenen Clownskostüm. Doch nun kommt er aus dem Kostüm nicht mehr heraus, alle Versuche enden in Schmerz und Verletzung (eine eigenwillige Erklärung für die »zerrissene« Form des Clowns), und dabei verändert sich die Persönlichkeit rapide. Der Familienvater in der Clownsmaske wird zum Kinderjäger. Ein tieferliegendes Problem in dieser Verwandlung ist einigermaßen offensichtlich: In »Clown« ist der Blick, den wir uns angewöhnt haben, nämlich jenen, um hinter der Maske des Clowns den bürgerlichen Menschen mit allen seinem Kummer und seinen Widersprüchen zu erkennen, genau umgekehrt: Hinter der Maske des Bürgers kommt durch seinen Wunsch eines zeitweiligen Rollenspiels der Mörderclown zum Vorschein.
Die Maske ist das Problem. So gern wie mit Masken von früheren US-­Präsidenten überfallen Räuber Banken mit Clownsmasken, und sie beginnen damit auch, wie Jean-Paul Belmondo in seinem Film »Hold Up« (1985) von Alexandre Arcady, ein höchst eigenes Spiel mit Identitäten und Spuren. In Rom spielt dieser Bankräuber Nino Rotas Musik aus Fellinis »La Strada« (1954), dem Film, in dem der traurig-böse Clown nur ermordet werden konnte.
Denn natürlich hat der Clown noch eine ganz andere Seite, die man als die poetische oder kreative begreifen kann. Eine seiner Fähigkeiten besteht ja darin, die Dinge zu betrachten, als sähe er sie das erste Mal. Daher macht er von ihnen einen überraschenden Gebrauch. Der Clown ist einer, der Phantasie an die Stelle von Erfahrung setzt. Unglücklicherweise kommen ihm dabei freilich immer auch die Grenzen zwischen dem Dinghaften und dem Lebendigen durcheinander; der Clown behandelt Sachen, als wären es Lebewesen, und Lebewesen, als wären es Sachen. Am Rande der Erkenntnis lebt es sich für ihn wie für die anderen daher gefährlich. Der Körper ist ihm wie eine Maschine, die man aus Neugier auseinandernimmt. Und nie wieder zusammenbekommt.
Was wir indes wissen, ist, dass hinter der Maske eine gefährliche Freiheit lauert. Claude Lévi-Strauss hat zu Beginn der sechziger Jahre den Weg der Masken beschrieben und auf die Funktion hingewiesen, durch welche der Mensch zeitweise seiner sozialen Abhängigkeit, der Kontrolle durch die anderen entgeht. Die Clownsmaske ist der Höhepunkt der Paradessenz: Sie drückt drastische Gefühle aus und verbürgt zugleich die Gefühle des Trägers. Früher war das Maskentragen eine Sache des Ritus, an Zeiten und Orte gebunden, wie noch im Karneval und im zentralen Fest der puritanischen Angstkultur, Halloween, mittlerweile indes wird sie zu einer sozialen Praxis. Chinesische Firmen erlauben seit 2015 den Relaxation Day oder auch »No Face Day«, wo man zur Arbeit mit einer Maske erscheinen darf, damit die anderen nicht mehr sehen müssen, wie man sich fühlt. So gewöhnt man sich nicht allein an eine kommende Robotisierung der Dienstleistungen, sondern auch daran, dass man gelegentlich sein Unglück bei der Arbeit nicht mehr physiognomisch verbergen muss. Die anderen müssen nicht wissen, wie einem zumute ist. Dass die Mehrzahl der Mitarbeiter die Guy-Fawkes-Maske der Occupy-Bewegung oder wenigstens des Hollywood-Films benutzt, erzählt etwas vom Wesen der Paradessenz in der Kultur des Neoliberalismus. Die Wahrheit der Maske und die Wahrheit hinter der Maske kreisen umeinander. Und der wahre Horror, damit sind wir wieder bei dem eingangs erwähnten Film, besteht darin, dass Innen und Außen miteinander verschmelzen, schmerzhaft und böse, und dass alle Versuche, Maske und Gesicht in soziale und ästhetische Ordnungen zu bringen, vergebens sind. Der Horrorclown ist das Gespenst einer Gesellschaft, die nicht mehr mit den Masken umgehen kann, so wie einer seiner Vorgänger, der Flasher, das Gespenst einer Gesellschaft war, die nicht mehr mit dem Körper umgehen kann. In einer durch und durch karnevalisierten Gesellschaft, in der man sich zugleich zu Tode arbeiten und amüsieren soll, ist der Gruselclown eines der Trash-Produkte, die wiederkehren müssen, weil der manischen Mythenproduktion kultureller Abfall nicht mehr entsorgt und nicht mehr recyclet werden kann.
Auch in den Genrebildern der populären Kultur waren die Gruselclowns zunächst nicht einfach nur Schockbilder um ihrer selbst willen. Sie waren aufgetaucht gleichsam als Entfremdungsmetaphern, die ihrem narrativen und ikonographischen Gefängnis entkamen. Nicht nur Steven King empörte sich über die sozi­alen Nachahmungstäter seiner Figur. In der vierten Staffel der Serie »American Horror Story« taucht die Figur des mörderischen Clowns Twisty auf (er lockt seine kindlichen Opfer in einen Schulbus und ermordet sie dort mit einer Schere). Damals waren Gruselclowns im öffentlichen Raum zwar noch nicht bekannt, aber die medizinische Legende der »Coulrophobia« bereits verbreitet. So sah sich der Präsident der Organisation Clowns of America International, Glenn Kohlberger, zu einem Protest veranlasst: »Wir unterstützen in keiner Weise oder Form irgendwelche Medien, die Coulrophobie ausschlachten oder zu ihrer Ausbreitung beitragen.«
Die Figur hatte einen entscheidenden Wandel erlebt. 1990, in »Clownhouse« beispielsweise, war es noch klar, dass die Maske des mörderischen Clowns nur durch einen Wahnsinnigen okkupiert worden sein konnte. 2004, in »Fear of Clowns«, ist Coulrophobie bereits eine Eigenschaft: Ein Maler, der unter der »speficic phobia« code 300.29 leidet, wird von einem Killerclown verfolgt, der seiner eigenen künstlerischen Phantasie entsprungen scheint. Längst vorbei die Zeit der »Killer Klowns From Outer Space« (1988). Diese Figur kommt nicht mehr von außen, sondern von innen, sie ist nicht mehr nur Maske, sondern Wesen. Der Joker bei Batman verkörpert nicht mehr den Wahn, der sich auch im Arkham Asylum nicht vollständig einsperren lässt, sondern den Wahn des Systems. Er greift direkt Kapitalismus und Demokratie an, indem er ihre Widersprüche gegeneinander stellt. Der Joker als Inbegriff des clownesken Bösen erklärt die Gesellschaft zum sehr schlechten Witz. In ihm lacht die Ordnung von Macht und Geld über ihre Opfer. Dies ist das Wesen des Gruselclowns: Er revoltiert nicht gegen diese Ordnung, im Gegenteil, er macht sie deutlich. Er lebt aus, unsortiert und unkontrolliert, was in ihr verborgen wirkt. Natürlich »weiß« er nicht, was er da tut (sehen wir vielleicht von einigen frühen Kunstaktionen ab), er findet es einfach geil, er langweilt sich sonst zu Tode, und sonst beachtet ihn ja keiner, vielleicht will er ja sogar nur seinen besten Kumpel ein bisschen erschrecken, den, der immer damit angibt, dass ihn vor gar nichts graust, vielleicht will er nur ein besonders wirkungsvolles Selfie schießen.
Wo Gefahr ist, da antwortet sofort das noch-Gefährlichere. Gruselclowns als Ventil und Vorstufe für Amoklauf, Terroranschlag, erweiterten Suizid, als Ableitung von exhibitionistischem Drang (an die Stelle der einfachen Entblößung eine Fetisch-Maske) riefen, Wirklichkeit hin und her, nicht allein die räsonierende Presse auf den Plan, sondern auch den Wehrwillen des gesunden Volks. Leichter als einen Gruselclown bekommt man Bürgerpatrouillen auf der Suche nach ihnen zu Gesicht, aus den Jägern sind längst die Gejagten geworden. Was uns auf ein zweites Element dieses, nun ja, Phänomens bringt: Natürlich kann sich ein Gruselclown sadistisch an der Angst weiden, die er anderen macht. Aber andererseits steckt er nun eben auch in seinem Kostüm drin, wenn vielleicht auch nicht so final wie der Familienvater im Film.
Die Frage also, warum nun gerade jetzt so ein Phänomen auftritt wie der »Horrorclown«, ließe sich leicht beantworten: Weil schon alles egal ist. Der Horrorclown ist damit die analoge Wiederkehr jener anonymen Aggression, der wir bei jedem zweiten Click im Internet begegnen, eine gespielte Hate-Mail auf den Straßen und in öffentlichen Verkehrsmitteln, die softe Version eines Amoklaufes oder Terroranschlages, das aus dem Ruder gelaufene Selfie. Und es entspricht der Lust an der Paradessenz im kapitalistischen Surrealismus, der Mehrfachbedeutung von Inszenierungen und Masken, die den Widerspruch nicht mehr mythisch aufheben wollen, sondern gerade herauskitzeln. Das Widersinnige und Sinnlose wird in solchen Ereignissen zum unschlagbaren Effekt. Jedermann sein eigenes Event. Doch besitzt auch diese Geste der Soziopathie ihren Wahrheitsgehalt. Sie wendet sich nicht allein gegen die Mitmenschen, sondern auch gegen den Mythos selbst.
Die Inflation des Clownesken war ja schon vorher sozusagen im Guten inszeniert. Clowns als Sympathieträger, als Benefiz-Testimonials, Clowns in Kindergärten und Krankenhäusern, nicht zuletzt und mehr als eine ikonosche Figur vertragen kann: Clowns als Werbeträger und Markenzeichen. Noch vor zehn Jahren hätte man bei Clowns im öffentlichen Raum nicht gefragt, ob sie Böses im Schilde führen, sondern nur, was sie uns nun schon wieder verkaufen wollen. Der Clown war indes auch als Kümmerer und Tröster, als Pädagoge und Moralist unterwegs. Immer in guter Absicht, oft mit zweifelhaftem Erfolg. Es gäbe wohl keine bösen Clowns, wenn es keine »guten Clowns« gäbe. Der böse Clown ist eine zynische Geste gegen das Gute in der Welt, der Gegenentwurf zum »Patch Adams«, dem Begründer des Krankenhausclowns.
Den Zynismus, den das System im Umgang mit dem Clownsbild entwickelte, macht wohl kaum etwas so deutlich wie der durchaus geschäftstüchtige Kindermörder John Wayne Gacy, der in seiner Todeszelle, nun eben, Clownsbilder malte und die zu Preisen um die 20 000 Dollar verkaufte. Erst 1994 wurde er hingerichtet; es sind eine Menge Bilder entstanden, und Absatzschwierigkeiten hatte er nie. Will sagen: Die »gute Gesellschaft« hatte den Kult des bösen Clowns durchaus schon in sich. Die im Vergleich damit nun wirklich eher harmlosen Gruselclowns als Freizeitsportler des kapitalistischen Surrealismus machen nur sichtbar, was unter der Oberfläche liegt. Die Vertreter der »guten Clowns«, die ihre moralische Ökonomie in Frage gestellt sahen, taten den Gruselclowns und vor allem ihren Fans überdies den Gefallen, in gewundenen und oft wirren Erklärungen ihre Empörung auszudrücken. Der »Dachverband Clowns in Medizin und Pflege in Deutschland« etwa fordert eine begriffliche Abgrenzung, mit der Begründung, es seien »wirre Menschen, die ihre destruktiven Neigungen nur auf diese armselige Art ausleben wollen«, und schlug deshalb vor, bei Berichterstattung und Verfolgung den Begriff »Grinsefratzen« zu benutzen. In Anlehnung an die Black Lives Matter-Bewegung wurde allen Ernstes eine #ClownLivesMatter-Kampagne ins Leben gerufen. Doch bei alledem steht zu vermuten: Die Mode der Gruselclown-Auftritte wird in absehbarer Zeit wieder verschwinden, zumindest werden die Medien ihr Interesse daran verlieren. Eine Rückkehr zum »guten Clown« aber wird es wohl nicht geben. Wir sehen sozusagen der symbolischen Ermordung einer mythischen Figur und ihres sozialen Gebrauchs zu.
Die Gruselclowns gibt es zumindest in den USA seit den achtziger Jahren, nicht nur zur Halloween-Zeit. Seit etwa 2010 finden sich auch Nachahmungen in verschiedenen euro­päischen Ländern. Kleinere und nicht mehr ganz so kleine ernsthafte Zwischenfälle und Verletzungen (der Opfer, aber auch der Clowns selber) hat es immer wieder gegeben. Im ­Internet kursieren entsprechende Bilder und Filme seit geraumer Zeit. Doch erst jetzt wurde das Thema zum Medienhype; die Fälle, die dafür den Anlass gaben, waren nicht signifikant drastischer als jene, die vordem unter vermischten Nachrichten als alltägliche Kuriositäten abgehakt wurden. So musste dieses Bild vom zerfetzten Clown als öffentliche Gefahr offenbar so erzeugt wie erwartet sein. Natürlich können wir es uns auf eine sehr analoge Weise als Spiegelbild dessen vorstellen, was als »Zirkus« in Politik und Wirtschaft aufgeführt wird. Wenn der Hofnarr einst einer war, der dem Souverän »die Wahrheit« sagen durfte, die niemandem schmeichelte, auch den Beherrschten nicht, so ist dieser Clown als einer seiner vielen Nachfahren einer, der einem anderen Souverän eine andere Wahrheit sagt, die von der kannibalischen, gewalttätigen und zerstörerischen Natur seiner Umwelt. In der »Transparenzgesellschaft« taucht die Maske (im Zustand ihrer Zersetzung) als Skandal auf. Die Maske selbst macht Angst, denn sie zeigt keine wirklichen Regungen und keine Reaktionen. Ihre Starrheit ist ein Stück Tod. Aber was verbirgt sich dahinter? Ein Mensch mit Absichten und Interessen, und seien diese böse? Im Jahr 2013 registriert die Metropolitan Police in London 117 »clowneske Vorfälle«, ein nicht unerheblicher Teil davon fiel auf Raubüberfälle oder gezielte tätliche Angriffe durch kostümierte Personen. Das Prickeln in der Erzählung von den Horrorclowns stammt daher, dass die Grenzen zwischen dem bewusst geschmacklosen Scherz und dem kriminellen Ernst vollkommen offen sind. So wie in der Wahrnehmung die Grenzen zwischen dem Materiellen und dem Magischen. Ist es nicht vielleicht doch die Wiederkehr des Wahnsinns, den wir codiert und vermessen glaubten, ungeordnet? Oder ein Monster, eine Ausgeburt der Hölle? Oder aber, dritte Möglichkeit des Grauens, ein Mensch im Zustand der Transition, der Verwandlung, des Zerfalls? Oder einfach: Nichts. Ein heulendes Kind, wie hinter der Mördermaske im Film »Halloween«? Ein Nachbar, der sich über Hundescheiße auf dem Rasen ärgert? Dass die Gewalt an keinen Ort, an kein Subjekt und kein Objekt, an kein Ziel und keine Gestalt gebunden ist, davon handelt der Angriff des Gruselclowns. Von einer nicht bewältigten Kindheit, auf der einen wie auf der anderen Seite der Maske. Davon, dass es keinen Unterschied zwischen Alltag und Karneval, Symbol und Praxis, Freizeitvergnügen und sozialer Kommunikation, privater Obses­sion und öffentlichem Raum gibt. Es ist die Rückkehr der Maske in ihrer ursprünglichen, dämonischen Gestalt, aber zugleich das Schauspiel einer grässlichen Demaskierung. Der Clown ist immer noch die Figur von einem, der zu weit geht. Aber was Zu-weit-Gehen bedeutet, ist eine Frage des Zusammenhangs. Aus einer sehr ambivalenten und darum märchenhaft grenzgängerischen Figur wurde eine von Versöhnung, Heilung und Unschuld, und aus dieser eine des Zerfalls, der Entfremdung und der Bedrohung. Was an Wahrheit will man mehr?