Der D21-Digitalindex 2016 hat die Internetkompetenz der Deutschen untersucht

Einfach abschalten

Lediglich ein Viertel der Deutschen ist der Meinung, es hätte negative Auswirkungen, sollte es morgen das Internet nicht mehr geben. Diese und andere Erkenntnisse liefert die neue Studie D21-Digitalindex 2016. Die »digitale Spaltung der Gesellschaft« stehe kurz bevor, warnen die Experten.
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Die Ergebnisse der sogenannte D21- Studie sind ernüchternd. Gefragt wurde nicht nur, wer Zugang zum Internet hat und wer es wie viele Stunden am Tag nutzt, sondern auch, wie gut die Menschen in Deutschland eigentlich mit ihren Computern, Smartphones und Tablets umgehen können und wie offen die Bevölkerung der Digitalisierung gegenübersteht. Die Studienautoren haben die Ergebnisse auf eine ­Indexzahl reduziert: 51 Punkte. Die Zahl signalisiert einen leichten Rückschritt im Vergleich zum Vorjahr, als der Digitalisierungsindex noch 52 Punkte betrug. Allerdings ist die Zahl recht vage und nicht vergleichbar, weder mit ähnlichen Studien anderer Länder noch mit dem Vorjahresergebnis, da die Gewichtung der einzelnen Kriterien verändert wurde. 51 Punkte soll bedeuten: Deutschland ist irgendwie im Mittelfeld und kann gerade so mithalten. Das lässt sich tatsächlich gut anhand der detaillierten Zahlen belegen, vor allem an den peinlichen. So sind sich nur etwa die Hälfte der Befragten sicher, wie man Daten von einem Gerät aufs andere kopiert. Nur zwölf Prozent der Befragten können mit dem Begriff »Share Economy« etwas anfangen, elf Prozent haben eine Vorstellung von »Industrie 4.0«, zehn Prozent ahnen, was das Internet der Dinge sein könnte und acht Prozent können »Big Data« einordnen. In gewisser Hinsicht ist das auch nicht ­weiter schlimm, weil es sich in dieser Auflistung ausnahmslos um recht schwammige Marketing-Begriffe handelt. Die digitale Ahnungslosigkeit wird zum ernsten Problem, wenn es darum geht, die gesellschaftlichen ­Folgen der Digitalisierung zu diskutieren: Nur fünf Prozent der Befragten wissen, was ein »Smart Meter« ist. Mit der deutschen Übersetzung »intelligenter Stromzähler« können zwar schon 22 Prozent etwas anfangen, aber das reicht bei weitem nicht, wenn es darum geht zu klären, ob die Dinger nun toll sind oder ob man sich mit Händen und Füßen gegen den Einbau wehren sollte. Wenn sie etwas nicht wissen, schauen immerhin 58 Prozent der Befragten zuerst im Internet nach. Aber nur 15 Prozent geben sich dabei nicht mit dem ersten Treffer zufrieden, den eine Google-­Suche so ausspuckt. Wer da die beste Suchmaschinenoptimierung betreibt oder Werbung schaltet, hat gewonnen. Die Autoren der Studie warnen selbst vor der Eigendynamik, die die Verbreitung von Gerüchten im Netz gewinnen kann. Da deutet die Studie vorsichtig das Phänomen des »Postfaktischen« an, das gerade zu einem gesellschaftlichen Problem wird. Die Antwort der Studienautoren lautet: Bildung. Vor allem in den Schulen soll der Umgang mit Computern und Internet häufiger und besser unterrichtet werden, aber auch die Arbeit­geber seien hier in der Pflicht, mehr Weiterbildungsangebote für ihre Beschäftigten zu schaffen. Letztere bringen sich ihre Computerkenntnisse ­sowieso selbst bei: 78 Prozent tüfteln herum, bis es es irgendwie klappt, 66 Prozent fragen Freunde und Bekannte, 55 Prozent die Kollegen, 51 Prozent die Familie und 50 Prozent schauen Tutorials auf Youtube. Schulungen, egal ob selbst finanziert oder vom Arbeitgeber getragen, spielen eine untergeordnete Rolle. Geradezu kurios sind die Ergebnisse, wenn es um die Schulbildung geht. Ausgerechnet die 60- bis 69jährigen, deren Alltag am wenigsten digitalisiert ist und die sich mit etwas Glück auch kaum noch um die Digitalisierung scheren müssen, fordern am häufigsten eine bessere Vorbereitung des Nachwuchses in der Schule. Dabei sind es gerade die Jugendlichen, die die geringsten Probleme mit der Digitalisierung haben und quer durch alle Themenbereiche mit Abstand die besten Kenntnisse ­aufweisen. Aber auch bei den Erwachsenen ist fraglich, ob klassische Bildungsangebote die Probleme lösen können. Die Studie zeigt nämlich auch: Digitali­sierung ist nicht gewollt, sondern verordnet. Auch wenn das riesige Angebot im Elektronikmarkt etwas anderes vermuten lässt, so ist der wichtigste Antreiber der Digitalisierung die Anforderung, am Arbeitsplatz mit Computern und mittlerweile auch Smartphones zu arbeiten. Und dieses wird offenbar von vielen Menschen als lästig empfunden, auch wenn mittlerweile 66 Prozent der Deutschen ein Smartphone in der Tasche mit sich herumtragen. Das sieht man nicht nur an der allgegenwärtigen Diskussion um Ruhe und Auszeiten vom Internet, sondern auch daran, dass nur 28 Prozent der Befragten in der Digitalisierung berufliche Chancen sehen. Die anderen lassen sie über sich ergehen oder haben vermutlich Angst, bald von einem Roboter ersetzt zu werden. In der Studie wird die Bevölkerung in verschiedene Typen eingeteilt, vom »abseits stehenden Skeptiker« bis hin zum Technikenthusiasten, der auf keinen Fall auf Internet und Smartphone verzichten will. Dabei sind die Skeptiker gemeinsam mit den »konservativen Gelegenheitsnutzern« mit 69 Prozent deutlich in der Mehrheit. Deutschland, ein Land von Digitalmuffeln. Dabei dürfte das Gefühl, die Digitalisierung sei verordnet oder komme wie eine ­Naturgewalt über die Gesellschaft, die größte Rolle spielen. Und die Studienautoren – dahinter stehen Wirtschaftsunternehmen wie Intel und Capgemini – scheinen diese Sicht zu teilen. ­Viele Fragestellungen und Formulierungen lassen durchblicken, dass es darum geht, wirtschaftlich gegen internationale Konkurrenz zu bestehen. Die Autoren beklagen den festen Kern von Menschen, der nicht online sei und auch zukünftig nicht sein wolle, angeblich ohne die Vor- und Nachteile abgewogen zu haben. Die Frage, ob die Digitalverweigerer wirklich nicht abgewogen haben, und ob es nicht Aufgabe der Gesellschaft sein müsste, auch ihnen einen Platz zu bieten, an dem sie selbstbestimmt leben können, wird nicht gestellt. Die Arbeitnehmer der Zukunft hingegen »müssen sich selbstbewusst, selbstbestimmt und selbstkontrollierend den neuen Belastungen stellen«. Da ist es wieder, das Bild von der ­Digitalisierung als Belastung. Dabei sollten all die Computer und Gadgets dazu dienen, das Leben leichter zu machen. Wenn sie als Belastung empfunden werden, ist die Gestaltung der Digitalisierung offensichtlich schiefge­laufen. Wem sollte man da noch übelnehmen, der Digitalisierung skeptisch gegenüberzustehen? Das ist tragisch angesichts der Möglichkeiten, die sie bietet. Der Digital-Index jedenfalls zeigt eine tiefgespaltene Gesellschaft. Die Grenzen entsprechen aber nicht mehr dem »digitalen Graben« zwischen Onlinern und Offlinern, sondern sie nähern sich immer mehr den klassischen Schichten an. Männer leben digitaler als Frauen. Junge sind häufiger online als Alte. Besserverdienende kommen mit dem Wandel besser klar. Und sogar geographisch wird eine alte Grenze sichtbar: In den ostdeutschen Bundesländern sind die meisten Ergebnisse schlechter als im Westen – immerhin mit Ausnahme von Thüringen und Berlin. Vor allem besserverdienende, männliche Berufstätige schneiden gut ab, wenn es darum geht, mit der Digitalisierung Schritt zu halten. Vermutlich liegt das daran, dass diese Menschen häufiger mit Digitaltechnik konfrontiert werden, sich einarbeiten und dann auch in der Freizeit eher geneigt sind, sie zu benutzen. Das Gefälle zwischen Männern und Frauen erscheint hier in einem neuen Licht: Dass Frauen tendenziell weniger versiert im Umgang mit der Technik sind, könnte auch ganz einfach daran liegen, dass sie weniger verdienen und seltener in den entsprechenden Berufen arbeiten. So ist selbst Home-Office eine Männerdomäne. 52 Prozent aller Männer können von zu Hause arbeiten und haben dabei unter Umständen sogar Zugriff aufs Firmennetz. Das ist aber nur 24 Prozent aller Frauen möglich. Männer bekommen dreimal häufiger ein Smartphone vom Arbeitgeber gestellt als Frauen. Da ­jedoch weiterhin ganz überwiegend Frauen mit der Erziehungsarbeit daheim betraut sind, bleibt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf per Digi­talisierung für die meisten von ihnen ein leeres Versprechen.