Ausnahmezustand wegen zeweier Gipfeltreffen in Hamburg

Gipfel mit Elbblick

Nächste Woche findet in Hamburg das jährliche OSZE-Ministerrats­treffen statt. Der geplante polizeiliche Ausnahmezustand dürfte auch einen Vorgeschmack auf den G20-Gipfel im Juli bieten.

»Das ist schon eine besondere Größenordnung. Bei anderen Einsätzen reichen ein oder zwei Seelsorger«, schwärmte der evangelische Pastor Patrick Klein vergangene Woche im katholischen Domradio. Während Hamburger Zeitungen seit Monaten Pläne der sich allmählich vergrößernden Sperrgebiete rund um die Veranstaltungsorte veröffentlichen und in Po­lizeimedien die Einsatzvorbereitung für die »Sonderlage« erörtert wird, ­erfährt die Polizeiseelsorge wenig Beachtung. Die Kirchenleute bereiten derzeit den Seelsorgeeinsatz für den Gipfel der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) am 8. und 9. Dezember vor. 25 evan­gelische Pastoren und katholische Pfarrer, Diakone sowie Pastoralreferenten sollen die 10 000 Polizeibeamten betreuen. Der evangelische Pastor Patrick Klein teilt sich im Hamburger Polizeipräsidium ganz ökumenisch ein Büro mit dem katholischen Diakon Marc Meiritz.
Etwa 3 500 Menschen werden an dem Ministerratstreffen der OSZE teilnehmen, von den Außenministern der USA, Russlands, der Türkei sowie 54 weiterer Staaten und deren Delegationen bis hin zu den jeweiligen Sicherheitsbeamten. Hinzu kommen Hunderte Journalisten im Pressezentrum. Die OSZE ist in das internationale »Konfliktmanagement« involviert und hat derzeit bei 17 Feldmissionen von Südosteuropa bis Zentralasien etwa 2 500 Menschen als Beobachter im Einsatz. Am bekanntesten ist die Mission in der Ostukraine zur Kontrolle der Waffenruhe. Dieses Jahr hat Deutschland den Vorsitz der OSZE inne und richtet deshalb den Gipfel aus.
Nur ein gutes halbes Jahr später wird in der Elbstadt das Gipfeltreffen der G20-Staaten folgen, des Zusammenschlusses der 20 wichtigsten Industrieländer. Die Zweite Bürgermeisterin ­Katharina Fegebank (Grüne) findet das völlig in Ordnung: »Meine Haltung ist, dass sich demokratisch gewählte Re­gierungschefs überall auf der Welt treffen müssen, um sich zu beraten und sich auszutauschen.« Man müsse aber der Bevölkerung erklären, was passiere, um Akzeptanz für die beiden Gipfeltreffen zu schaffen.
Akzeptanz ist nämlich keineswegs selbstverständlich. Tagungsort für ­beide Veranstaltungen sind die städtischen Messehallen. Die sind groß und geräumig, grenzen aber an die verwinkelten, teilweise engen Straßen des Karolinen- und des Schanzenviertels. Die beiden Stadtteile beherbergen eine linke Szene, der sich der polizeiliche Staatsschutz und der Inlandsgeheimdienst auch mit verdeckt ermittelnden Beamtinnen und Beamten widmen (Jungle World 29/2016). Linke Demons­trationen begleitet die Polizei in diesen Vierteln gerne mit Umkesselung. Auch wenn eine Kundgebung, wie im Dezember 2013 vor dem linken Zentrum Rote Flora, fünf Minuten zu früh beginnt, greift die Staatsmacht gerne ein.
Die 10 000 Polizistinnen und Polizisten werden nicht nur damit beschäftigt sein, die Sperrzonen rund um die Messehallen und das Hamburger Rathaus zu bewachen. Sie werden auch Passanten nach ihren Ausweispapieren fragen. »Bei Bedarf nimmt die Polizistin oder der Polizist einen Datenabgleich vor. Das kann erfahrungsgemäß einige Minuten in Anspruch nehmen«, heißt es in einem internen Konzept der Innenbehörde vom August. Anwohner kann die Polizei auch bis zur Haustür begleiten, »um vor Ort zu prüfen, ob ihr Name auf dem Klingelschild steht oder ob ihr Schlüssel passt«. In ihren Wohnungen dürfen sich die Anwohner dann sogar frei bewegen. Für Eltern empfiehlt sich allerdings ein Spielevorrat für die Kleinen. Denn auch Kinder müssen draußen bei Ansprache einen Ausweis vorzeigen, auch hier sind »­Datenabgleiche« möglich. »Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie an den beiden Tagen des OSZE-Ministerrats in den oben genannten Straßen keine großen Feiern oder Kindergeburtstage veranstalten würden, die sich leicht verschieben lassen«, appelliert die Innenbehörde an die elterliche Kooperationsbereitschaft.
Die Polizei hat gleich zwei Vorbereitungsstäbe OSZE/G20 eingerichtet: bei der Bundespolizeidirektion Hannover unter der Leitung von Kai Hewelt sowie bei der Polizei Hamburg unter der Leitung von Hartmut Dudde. »Zweifellos stellt der G20-Einsatz im kommenden Jahr gegenüber dem OSZE-Minister­rats­­treffen die größere Herausforderung dar«, so Hewelt in der Zeitschrift Bundespolizei kompakt. Bereits Anfang ­April hat Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer den Vorbereitungsstab »OSZE- und G20-Gipfel« eingesetzt und Dudde zum Leiter ernannt. Der Polizeidirektor war Anfang der nuller Jahre unter dem rechtspopulistischen Innensenator Ronald Schill aufgestiegen und Leiter der Bereitschaftspolizei geworden. Gemeinsam mit dem ebenfalls von Schill protegierten damaligen Gesamteinsatzleiter ­Peter Born war Dudde für zahlreiche von Gerichten später als rechtswidrig beurteilte Demonstrationseinsätze verantwortlich. Nun ist er wieder der oberste Leiter der Einsätze. Unter ihm plant die Polizeiführung »die Einrichtung einer Großgefangenensammelstelle in Containern nach bayerischem Vorbild«, pflegt »gute Kontakte zum G20-Stab der Senatskanzlei« und hat auch Gespräche »mit der Bundeswehr« geführt. Die »waren durchweg erfreulich und zielführend«, so Dudde im Interview mit dem Polizeispiegel, dem Magazin der Deutschen Polizeigewerkschaft.
Linke veranstalten eine Woche vor dem OSZE-Gipfel in der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg eine »Aktionskonferenz gegen den G20-Gipfel 2017«. Für Proteste während des OSZE-Treffens war dagegen vielen linken Gruppen die Zeit zu knapp. Zwar gibt es seit Anfang vergangener Woche einen antiimperialistischen Aufruf. Der stieß jedoch auf wenig Resonanz. Sein Urheber, das »Bündnis ­gegen imperialistische Aggression«, ist in der Hamburger Linken umstritten. Es sitzt im »Internationalen Zentrum B5«, aus dem heraus 2009 die Aufführung des Claude-Lanzmann-Films »Warum Israel« mit Gewaltandrohungen verhindert wurde. Für den 8. Dezember ruft das »Bündnis« zur »Demonstration gegen das OSZE-Treffen« auf. In dem traditionslinken Aufruf heißt es unter anderem: »Die unterdrückten Länder und die Völker der Welt bluten jeden Tag, damit der Wohlstand und die Macht einiger Weniger erhalten bleibt.«
Ganz handfest brachte vergangenes Wochenende eine Gruppe namens »noOSZE noG20« ihre Kritik vor. In einer offenbar gründlich geplanten Ak­tion attackierten am Samstagabend 30 bis 50 Vermummte einen der Haupt­eingänge der Messehallen. Sie errichteten binnen Minuten Barrikaden auf der vierspurigen Straße sowie am Haupteingang und setzten diese in Brand, während andere Vermummte Farbbeutel und Steine an die Glasfas­sade warfen. Das Portal fing Feuer, die Glastüren barsten. Nach wenigen Minuten verschwanden die Vermummten wieder. Die Feuerwehr brauchte 15 Minuten zum Löschen. Niemand wurde verletzt, niemand gefasst. Von »erheblichem Sachschaden« sprach die Polizei, der Staatsschutz ermittelt. In einem auf Indymedia veröffentlichten Bekennerschreiben heißt es: »Wir haben uns zu dieser Abrissinitiative entschieden, da wir die Messe, die sich als Messe zur Welt versteht, ebenso grundsätzlich ablehnen wie die dort geplanten Herrschaftstreffen.«