Schlimm oder schlimmer – wer wird der nächste Bundespräsident Österreichs?

Kopfweh oder Magenkrebs

Bei der Bundespräsidentenwahl stimmen die Österreicherinnen und Österreicher darüber ab, ob alles so schlimm bleibt, wie es ist, oder ob es viel schlimmer werden soll.

Donald Trump war schneller. Daher haben sich entgegen der Prognosen fast aller Kommentatoren des Weltgeschehens die Warnungen erübrigt, nach dem 4. Dezember könne mit Norbert Hofer erstmals ein »Rechtspopulist« das höchste Amt einer westlichen Demokratie erringen. Dabei ist die Bezeichnung »Rechtspopulist« im Falle Norbert Gerwald Hofers eine Verharmlosung. Hofer ist kein rechter Populist, sondern ein Rechtsextremer vom äußersten, gerade noch legalen Rand dieses politischen Milieus. Dass er diesen Rand gerne noch weiter nach rechts verschieben oder gar jegliche Einschränkung aufheben würde, hat er mit mehrmals geäußerten Forderungen kundgetan, das Verbot der nationalsozialistischen Wiederbetätigung abzuschaffen. Brigitte Bailer, Dozentin für Zeitgeschichte an der Universität Wien, hat kürzlich in einem Artikel für die österreichische Tageszeitung Der Standard das »Handbuch freiheitlicher Politik« analysiert, dessen inhaltlicher Verantwortlicher Hofer ist. Das Werk sei »nach allen wissenschaftlichen Kriterien als rechtsextrem einzustufen«, so Bailers Fazit.
Alexander Van der Bellen, Hofers Gegenkandidat, ist nicht etwa das exakte Gegenstück zu Hofer, also ein Linker, sondern der Eigenbezeichnung zufolge ein Anhänger des »Liberalismus angelsächsischer Prägung«. Bei der Wahl geht es demnach nicht um links gegen rechts, sondern um eine Auseinandersetzung zwischen einer Rechten, die die parlamentarische, wenigstens nominell noch den Menschenrechten verpflichtete Demokratie gegen die Tyrannei des »Volkswillens« auswechseln möchten, und einer parteiübergreifenden Bewegung von Menschen, die die liberalen und humanistischen Restelemente im Land erhalten wollen.
Dass die Rechten dennoch erfolgreich eine angebliche linke kulturelle und realpolitische Hegemonie herbeiphantasieren können, und sich jeder Facebook-Thread der FPÖ und auch der AfD so liest, als lebe man in der Diktatur des Proletariats, gehört zur großen Derealisation, die global das Vorspiel zur Umdeutung aller Werte und somit die Bedingung für die Eskalation der Barbarei ist. Hofer stellte parlamentarische Anfragen, in denen er Aufklärung über »Chemtrails« wünschte, ignoriert wissenschaftliche Erkenntnisse über Gender-Fragen und ist ein Gegner von Klimaschutzabkommen. Damit befindet er sich inzwischen genau in jenem Mainstream, den die rechte Propaganda stets links verortet und den Linke und Liberale immer noch als lunatic fringe verharmlosen.
Wohin die Reise in einem freiheitlichen Österreich gehen soll, haben Hofer und andere FPÖ-Mitglieder bereits während des langen Wahlkampfs angedeutet, als sie forderten, Richter sollten überprüfen, ob man Menschen mit Behinderung und Senioren nicht das Wahlrecht aberkennen könne. Bezeichnenderweise wurde das nicht zum Skandal, der die politische Karriere Hofers beendete, sondern nur zu einem weiteren Zwischenfall, über den man halt »geteilter Meinung« sein könne. Das sagt alles über die tatsächlichen Machtverhältnisse aus. Diese wurden von Ignoranten nicht erkannt, aber Behinderte, Kranke, Arbeitslose, LGTB und andere nicht zur Volksgemeinschaft gerechnete Menschen erfahren sie andauernd am eigenen Leib. Marginalisierte haben mit Van der Bellen und der ihn unterstützenden Koalition der Bewahrer des Status quo nichts zu gewinnen, aber mit Hofer viel zu verlieren. Dieser ist der Kandidat der Volksgemeinschaft. In seinem Büro arbeiten ehemalige Straßennazis, die in den neunziger Jahren bei »Wehrsportübungen« trainierten, wie man Menschen am effektivsten absticht. Van der Bellen ist der Kandidat derjenigen, die mit den Verhältnissen ihren Frieden gemacht haben und nicht wollen, dass dieser durch extremistische Rabauken gestört wird.
Was würde ein Wahlsieg Hofers für Europa bedeuten? Deutschland sei dann die letzte Insel des Liberalismus in Europa, meinen manche. Dabei übersehen sie, dass Deutschland nicht einmal bereit und um faule Ausreden nicht verlegen war, als es darum ging, eine echte Nazipartei zu verbieten. Ebenfalls in Deutschland entdeckt die verbliebene organisierte Linke häufig ihre Gemeinsamkeiten mit Wahnsinnigen, die mit Schildern durch die Straßen laufen, auf denen »Rette uns, Putin« steht.
Sollte der Erfolg anhalten, den die Rechts­ex­tremen derzeit haben, und demnächst auch Frankreich erreichen, dann könnte es sich als fatale Illusion herausstellen, ausgerechnet Deutschland zuzutrauen, sich der Entwicklung als einziges Land entziehen zu können. Realpolitisch muss sich hinter Angela Merkel stellen, wer weiß, dass die einzige realistische Alternative zu ihr diejenige ist, die den Zusatz »für Deutschland« im Namen trägt. Noch nicht verrückt gewordene Linke haben also auch in Deutschland nur die gleiche, wenig begeisternde Wahl wie ihre österreichischen Freundinnen und Freunde, nämlich die Barbarisierung durch die Unterstützung des Kandidaten beziehungsweise der Kandidatin der herrschenden Verhältnisse zu bremsen.
Nach der Bundespräsidentschaftswahl am Sonntag wird man wissen, ob der Aufstieg der Völkischen in Österreich aufzuhalten war oder nicht. Sollte ersteres eintreten, werden Flüchtlinge weiterhin um fünf Uhr morgens von der Polizei in Abschiebegefängnisse verschleppt, werden andere Flüchtlinge weiterhin zu Tausenden im Mittelmeer ertrinken, wird man die im Produktionsprozess überflüssig gewordenen Menschen weiterhin demütigen, sexuelle Minderheiten und Behinderte weiterhin ausgrenzen und den ökonomischen Umwälzungen weiterhin hilflos zusehen. Aber es würde wenigstens ein Kandidat österreichischer Bundespräsident, der das alles nicht auch noch forcieren will.