Debatte - Pränataldiagnostik und Feminismus

Zwischen Wahl und Auswahl

Es ist nicht nur kein Widerspruch, für das Recht auf Abtreibung einzustehen und gleichzeitig selektive pränatale Diagnostik zu kritisieren – es ist sogar notwendig.

Ein linker, intersektionaler, emanzi­patorischer Feminismus kann die Kritik, die Feministinnen mit Behinderung bereits in den achtziger Jahren formulierten, nicht einfach ignorieren. Auch wenn es auf den ersten Blick ­einfacher aussehen mag, den reaktionären »Lebensschützern« das Recht auf Selbstbestimmung entgegenzuhalten – ein wenig komplexer darf feministische Praxis schon sein.
Konsens dürfte unter Feministinnen sein: Eine schwangere Person sollte nicht dazu gezwungen werden können, ihren Körper zur Verfügung zu stellen und ein Kind zu bekommen, wenn sie es nicht austragen will. die Paragraphen 218 (Deutschland) und 96 (Österreich) müssen aus den jeweiligen Strafgesetzbüchern gestrichen werden. Das wachsende Angebot an pränataler Diagnostik zu kritisieren, ist allerdings nötig, denn diese ist allzu oft normierend, angstmachend und behindertenfeindlich.
Pränataldiagnostik (PND) wird nur dann durchgeführt, wenn die Schwangerschaft gewünscht oder angenommen wurde und die Schwangere der Untersuchung zustimmt – in der ­Annahme, damit das Beste für das werdende Kind zu tun. Werden Ab­weichungen oder Behinderungen ­festgestellt, sieht sich die Schwangere mit der Frage konfrontiert, ob sie ­dieses Kind denn wirklich bekommen will. Mittels PND findet also eine »­Auswahl« statt, welcher Fötus zu einem Baby werden soll, welche Schwangerschaft gewünscht wird. Das kann man zwar verständlich finden, emanzipatorisch ist es jedoch nicht. Schwangerschaftsabbrüche nach pränataler Diagnose sind also etwas kategorial anderes als die Entscheidung, kein Kind haben zu wollen. Für alle, die hier partout missverstehen wollen: Verboten sollten sie aber nicht sein. Das feministische Problem liegt auch nicht in der Abtreibung, sondern in der Suche nach der Abweichung: Die wenigsten Untersuchungen haben medizinisch sinnvolle Ziele, wie etwa den Gesundheitszustand der Schwangeren, den Sitz der Plazenta oder die Lage des Fötus zu kontrollieren oder nach körperlichen Merkmalen zu suchen, die zu kennen wichtig für eine möglichst stressfreie Geburt und eventuell nötige medizinische Eingriffe sind. Die große Mehrheit der Untersuchungen sucht dagegen nach Anzeichen für Behinderungen und Abweichungen von einer gedachten und festgelegten Norm. Diese zu kennen hat weder für die Schwangere noch für das werdende Kind einen medizinischen Nutzen. Stattdessen setzt es die Schwangere unter Druck, die Angst vor dem be­hinderten Kind wird durch die Diagnoseangebote gesellschaftlich und ­individuell verschärft. Von Tests abzusehen ist keine selbstverständliche Handlungsalternative, da es dem späteren Kind gegenüber als verantwortungslos gilt. Auch die häufig an Eltern behinderter Kinder gestellte Frage, ob sie das denn nicht vorher gewusst hätten, weist darauf hin, dass das Ver­meiden einer Behinderung für normal und das Leben mit Behinderung für eine unangenehme Abweichung gehalten wird. Feministinnen, die nichts dabei finden, den Preis der Abtreibung eines Wunschkindes zu zahlen, um Behinderung aus dem eigenen Leben heraus­zuhalten, verteidigen nicht in erster Linie die individuelle Selbstbestimmung, sondern strukturelle Behindertenfeindlichkeit. Die scheinbare Arglosigkeit, mit der manche Feministinnen die gezielte Abtreibung weiblicher Föten für frauenfeindlich, die ­gezielte Suche nach Behinderung jedoch für völlig normal halten, weist auf unbewussten Ableismus hin. Behinderung gilt als objektives Problem, welches das Leben signifikant erschwert – die Problematisierung des weiblichen Geschlechts dagegen als subjektives, sexistisches Vorurteil: Finde den Denkfehler!
All diese Gründe – und noch einige mehr – sprechen dafür, das »Angebot« der PND einzuschränken. Der Wille zum Wissen ist jedoch unbestreitbar da – dürfen linke Feministinnen Frauen dieses vorenthalten wollen? Hier steht der Vorwurf der Diskriminierung im Raum. Diese Kritik ist jedoch ein Reflex linker Debatten. Verbotsforderungen gelten als staatsaffirmativ. Mit Klassen- oder Gesellschaftsanalyse hat das jedoch herzlich wenig zu tun: Nur weil reiche Leute weiterhin einfacheren Zugang zu verbotenen Leistungen ­haben als Arme, ergibt der simple Umkehrschluss, Legalisierung und staat­liche Finanzierung von PND zu fordern, noch lange keinen Sinn. Die zu beantwortende Frage lautet, ob etwas emanzipatorisch oder reaktionär ist. Nur das kann die Grundlage sein, das eine zu fordern und das andere abzulehnen, obwohl eine arme oder weibliche Person das möglicherweise anders sieht.