Freiburg steht seit dem Mord an einer 19jährigen Studentin unter Schock

Hohn und Hass

Nach dem mutmaßlich von einem Flüchtling begangenen Sexualmord an einer Studentin in Freiburg beschimpfen Rassisten das Opfer und dessen Eltern wegen ihres Engagements für Asylsuchende.

Wenn eine Diskussion – insbesondere über das Thema Flüchtlinge – immer überhitzter und emotionaler wird, haben es Stimmen, die für eine Versachlichung eintreten und in ruhigem Ton Argumente vorbringen, äußerst schwer, sich Gehör zu verschaffen. Aber es gibt sie. Eine davon gehört Christian Pfeiffer, dem ehemaligen Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Nach der Vergewaltigung und Ermordung der 19jährigen Freiburger Studentin Maria L., die vermutlich von einem aus Afghanistan stammenden Flüchtling begangen worden war, machte Pfeiffer in einem Interview mit dem WDR deutlich, »dass Nationalität bei Kriminalität keine Rolle spielt«, sondern dass andere Faktoren maßgeblich seien. Auch gebe es hierzulande keinen Anstieg der Zahl der Vergewaltigungen, im Gegenteil sei sie in den vergangenen zwölf Jahren um etwa ein Fünftel gesunken. Bei den Sexualmorden sei seit den achtziger Jahren sogar ein Rückgang um 90 Prozent zu verzeichnen, »und dies parallel zu einem ständigen Wachstum des Anteils von Menschen, die aus dem Ausland zu uns gekommen sind«, wie Pfeiffer sagt. Die »Schnellschussantwort, die Ausländer sind die Bösen und verantwortlich für die Kriminalität«, sei deshalb »einfach falsch«.
Hinzu komme, so Pfeiffer weiter, dass »die ›Fremden‹ ein erhöhtes Risiko haben, angezeigt zu werden«. Das sei nicht nur in Deutschland so, sondern weltweit. »Ich sage es mal am Beispiel von deutschen Jugendlichen, die wir dazu erforscht haben: Wenn Max von Moritz verprügelt wird, ist die Anzeigebereitschaft 19 Prozent, wird Max von Mehmet verprügelt, ist sie über 31 Prozent.« Eine »kulturelle Prägung« könne bei Gewalttaten gleichwohl eine Rolle spielen, vor allem dort, wo es »männliche Dominanz gibt wie etwa in der Türkei«. Doch diese Prägung sei keineswegs unveränderbar, wie Pfeiffer erklärt: »Wir haben 1998 damit begonnen, solches Macho-Verhalten systematisch zu erfassen und in Verbindung mit Kriminalitätsverhalten zu bringen. Am Beispiel Hannover zeigte sich, dass etwa 30 Prozent der männlichen jungen Türken gestandene Machos waren.« Das Interessante sei, dass 2013 dieselbe Untersuchung wiederholt und ein steiler Rückgang auf zehn Prozent festgestellt worden sei. »Parallel dazu hat eine Integration ins Bildungswesen und in Sportvereine stattgefunden.« Ein »kultureller Lernprozess« könne also zum Abbau von »Macho-Kultur« führen, »wenn die Menschen eine Integrationschance haben«.
Solche Fakten werden dort, wo es gerne postfaktisch zugeht, jedoch ignoriert oder als Lügen abgetan. Was die Freiburger Tat betrifft, ist es sogar noch schlimmer: Sie wird in rechten Kreisen nicht nur als Beweis für die angeblich besonders ausgeprägte Neigung von Flüchtlingen zur Kriminalität angesehen, das Mordopfer sowie seine Angehörigen werden nicht nur instrumentalisiert – wie immer, wenn ein mutmaßlicher Täter nicht deutscher Herkunft ist. Vielmehr werden sie sogar verhöhnt und beschimpft. Der stellvertretende Vorsitzende der AfD-Fraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, Holger Arppe, warf dem Vater von Maria L. beispielsweise »pathologische Realitätsverweigerung« vor – weil die Eltern der Getöteten in der Traueranzeige um Spenden unter anderem für die Studenteninitiative »Weitblick« gebeten hatten, die sich auch für Flüchtlinge einsetzt und in der Maria L. engagiert gewesen war. Auch in den sozialen Netzwerken nahmen etliche die Tatsache zum Anlass, um eine Flut gehässiger Kommentare zu verfassen. Postings wie »Wer solche Eltern hat, braucht keine Feinde mehr« oder »Weitblick? War das Verbrechen vielleicht geplant?« gehörten zu den harmloseren. Nach heftigen Drohungen und rechter Hetze in der Kommentarsektion nahm der Verein seine Facebook-Seite vorübergehend vom Netz.
Auf Youtube kommentierte Oliver Janich – ein ehemaliger Redakteur von Focus Money, der sich im Internet mit allerlei Verschwörungstheorien und Rassismus hervortut – die Tatsache, dass der Vater der Ermordeten ein hoher EU-Beamter ist, mit Worten wie: »Ich habe immer wieder gesagt: Bis die umdenken, muss es wohl mal die Tochter von irgendeinem dieser Typen erwischen.« Das Video wurde bislang über 150 000 Mal angeklickt. Auf dem Blog »Bayern ist frei«, das aus einer Abspaltung der Münchner Pegida-Gruppe hervorging und von einem früheren NPD-Funktionär gegründet wurde, hieß es: »Marias Vater ist ein führender Schriftgelehrter der Europäischen Menschenrechtszivilreligion und insoweit womöglich sogar eine Schlüsselfigur der europäischen Staatsschleppereipolitik, aus der die meisten Freiburger Asylbewerber kommen.« Andere rechte Internetseiten nannten den Vater einen »EU-Bonzen« oder schrieben: »Auch die Beamtenelite zahlt ihren Preis für ihre Mittäterschaft bei Merkels Hochverratspolitik.«
Freiburg steht nach dem Mord, der Festnahme des Tatverdächtigen und den zahlreichen überaus heftigen Reaktionen unter Schock. Die Stadt hat einen Ruf als ökologisches, linksliberales Idyll, mit Dieter Salomon stellen die Grünen dort seit 14 Jahren den Oberbürgermeister und anders als in allen anderen deutschen Großstädten gibt es keinen NPD-Ortsverband. Viele Bürger engagieren sich für Flüchtlinge und nehmen das Schlagwort von der »Willkommenskultur« ernst.
Im Zuge dessen ist es jedoch offenbar auch zu einer Romantisierung des Bildes von Asylsuchenden gekommen, weshalb es nicht wenigen unvorstellbar schien, dass es auch unter diesen Menschen gibt, die zu Straftaten bis hin zu Vergewaltigung und Mord fähig sind. Zugleich hielten es viele Freiburger augenscheinlich für undenkbar, dass ihre Oase einmal dermaßen mit rechtem Hass konfrontiert werden könnte. Und das, obwohl bei der Landtagswahl im westlichen Stadtteil Landwasser die AfD mehr als 22 Prozent der Stimmen erhielt.
Der Verein »Weitblick« betont auf seiner Website, dass es sich bei der Vergewaltigung und Ermordung seiner Mitarbeiterin Maria L. »um einen verabscheuungswürdigen Einzelfall handelt« und dass es »inakzeptabel ist, aufgrund eines einzigen verdächtigen Täters pauschal und voreilig auf alle Geflüchteten oder auf einzelne Gruppen Geflüchteter zu schließen«. Einem kritischen Diskurs wolle man sich zwar nicht entziehen, heißt es in der Erklärung weiter. »Um die dafür nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen, fordern wir jedoch eine sachlichere und faktenbasierte Diskussionskultur sowohl im persönlichen Umgang miteinander als auch vor allem in den sozialen Netzwerken.« Eine bemerkenswerte Stellungnahme, vor allem wenn man bedenkt, in welcher Situation sie entstanden ist.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) rügte unterdessen die griechischen Behörden. Diese hätten den nun des Mordes an Maria L. dringend verdächtigen Hussein K. Ende 2015 lediglich zur nationalen Fahndung ausgeschrieben, nicht aber zur internationalen. »Ansonsten wäre der Tatverdächtige bei einer ordnungsmäßigen Kontrolle durch die deutschen Sicherheitsbehörden in verschiedenen Stufen aufgefallen«, sagte de Maizière. K. hatte bereits im Mai 2013 auf Korfu eine Studentin überfallen und eine Steilküste hinabgeworfen. Deshalb war er zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Nach seiner vorzeitigen Entlassung Ende Oktober 2015, zu der es im Zuge einer Amnestie zur Entlastung der Gefängnisse gekommen war, tauchte K. unter. Der junge Mann erreichte im November des vergangenen Jahres die Bundesrepublik und wurde dort als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling registriert. Er hatte seinerzeit angegeben, 16 Jahre alt zu sein.
Die griechische Regierung wehrt sich gegen die Vorwürfe aus Deutschland: Die Personalien und die Fingerabdrücke des mutmaßlichen Täters seien nach dessen Ankunft in Griechenland im Jahr 2013 in der europäischen Flüchtlingsdatenbank gespeichert worden. »Diese Daten waren allen europäischen Sicherheitsbehörden zugänglich«, heißt es aus Athen. Die Süddeutsche Zeitung vermutet, dass die Personalien in Deutschland gar nicht abgefragt wurden, weil dies bei Minderjährigen häufig erst bei der Entscheidung über den Asylantrag geschehe. Die Entlassung von Hussein K. nach zweieinhalb Jahren habe europäischen Standards entsprochen, zitiert die Zeitung den früheren griechischen Justizminister Nikos Paraskevopoulos. Der Vorwurf, Griechenland exportiere kriminelle Flüchtlinge, sei deshalb »nichts als Populismus«.