Die EU kämpft gegen russische Propaganda – mit geringem Budget

Kalter Krieg in kalten Zeiten

Freund oder Feind? Während Russlands Propagandamaschine auf Hochtouren läuft, tut sich die EU schwer damit, darauf eine gemeinsame Antwort zu geben.

Als in der Vorweihnachtszeit die Hauptstraßen mancher schwedischer Kleinstädte dunkel blieben, weil sich die staatliche Behörde für das Verkehrswesen weigerte, ihre Laternen zum Aufhängen der traditionellen Festbeleuchtung freizugeben, kannte das russische Webportal Riafan.ru den wahren Hintergrund: Die schwedische Regierung habe aus Rücksicht gegenüber den muslimischen Gemeinden ein Verbot der Weihnachtsbeleuchtung ausgesprochen.
Diese und Tausende anderer fake news sammelt seit Oktober 2015 die East Stratcom Task Force der Europäischen Union in ihrer »Disinformation Review«. Bericht Nr. 52 erschien am 20. Dezember vergangenen Jahres und liefert wie gewohnt für jeden Eintrag den Link zur betreffenden Nachricht und die Widerlegung der Falschmeldung. Demnach war nicht schwedische Toleranz, sondern ein neues Elektrizitätsgesetz schuld daran, dass mancherorts keine Weihnachtsbeleuchtung erstrahlte. Der Verkehrsbehörde war es nicht länger erlaubt, den Gemeinden die Laternenmasten zum Zweck der Ausschmückung zur Verfügung zu stellen, berichtete das schwedische Fernsehen SVT.
In der wöchentlich erscheinenden fake news-Tabelle finden sich überwiegend Hinweise auf Nachrichten über die Konflikte in der Ukraine und in Syrien. Daneben listet nahezu jede Ausgabe der »Disinformation Review« russisch beeinflusste Berichte oder Zitate über vermeintliche westliche Angriffe auf christliche Werte auf. Nicht selten stehen diese im Zusammenhang mit schwul-lesbischen Lebensgemeinschaften. So führte etwa ein Nachrichtenportal für die Russisch sprechende Gemeinde in Litauen, die 168 neu im Land registrierten HIV-Infektionen auf den Drogenkonsum von Lesben und Schwulen zurück. »Menschen, die Gay-Paraden organisieren, stellen eine größere Bedrohung dar als solche, die Christen den Kopf abschneiden«, sagte der russische Fernsehmoderator Pjotr Tolstoi in seiner Sendung.
Im ebenfalls wöchentlich erscheinenden »Disinformation Digest« analysiert die East Stratcom Task Force Trends in den Darstellungen prorussischer Medien. Im Frühjahr vergangenen Jahres, als die Kampagne zum Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU auf Hochtouren lief, machte die Task Force sowohl beim Nachrichtenportal Sputnik als auch beim vom russischen Staat finanzierten Auslandsfernsehsender RT eine deut­liche Überrepräsentierung des »Nein«-Lagers in der Berichterstattung aus.
Elf Mitglieder zählt die Einheit, die dem Europäischen Auswärtigen Dienst untersteht. Sie wurde im September 2015 auf Wunsch der EU-Staats- und Regierungschefs gegründet, um »den anhaltenden Desinformationskam­pagnen Russlands« entgegenzuwirken. Ohne eigenes Budget und angesichts der dünnen Personaldecke bleibt ihr Aktionsradius allerdings äußerst beschränkt.

Dass der Wunsch, auf europäischer Ebene auf die russischen Kampagnen zu reagieren, vor allem von den Mitgliedstaaten aus Osteuropa kam, ist kein Geheimnis.

Bislang zeigten Länder, die bereits länger EU-Mitglieder sind, hier wenig Motivation. Frankreich, Ita­lien oder Österreich sprachen sich stets für einen vorsichtigen Umgang mit Russland aus. »Die Politiker dieser Länder unterschätzen die Auswirkungen der Propaganda«, sagt der litauische Europaabgeordnete Petras Auštrevičius.
Ginge es nach dem liberalen Politiker, sollten die wöchentlichen Berichte der Spezialeinheit »in den Laptops und Mobiltelefonen aller Abgeordneten und EU-Diplomaten eingespeichert sein«. »Viele Europäer denken, dass russische Propaganda sie nicht betrifft«, schreibt Auštrevičius in einem Meinungsbeitrag. »Sie denken, dass es sich bei den Provokationen lediglich um ein Spiel handelt und dass Menschen wie ich, die aus der früheren Sowjetunion stammen, Opfer von alten Phobien sind.« In Wirklichkeit habe die russische Propaganda »die europäische Debatte bereits wie ein Virus infiziert«.
Wenn Europa und Nordamerika nicht sofort reagierten, könnten die Folgen dramatisch sein, warnt auch das Center for European Policy Analysis (CEPA). Der »Informationskrieg der russischen Regierung unterscheidet sich von traditionellen Formen der Propaganda«, stellte CEPA im August in einer Studie fest. Im Gegensatz zur früheren Sowjetischen Strategie zielten die zeitgenössischen Methoden nicht darauf ab, offen für die die Politik Russlands zu werben. »Ziel ist es nicht, zu überzeugen, sondern zu untergraben«, so CEPA. Man sei darauf aus, ethnische, sprachliche, soziale und histo­rische Spannungen auszunutzen. Dabei setze Russland vor allem in osteuro­päischen Ländern an. Russlands Anstrengungen seien »sorgfältig«, »gezielt« und »professionell ausgeführt«, urteilt der CEPA-Bericht. Doch die Bedrohung werde im Westen oft nicht als ernsthaft wahrgenommen.
»Es gibt keinen Zweifel daran, dass diese Propaganda existiert und eine Bedrohung für Europa darstellt«, gibt der Sozialdemokrat Wolfgang Freund zu. Der österreichische EU-Abgeordnete bleibt jedoch skeptisch, wenn es um die Effektivität der russischen Medienaktivitäten geht. »Wir bräuchten mehr Umfragen, die zeigen, wer in Europa tatsächlich diese Nachrichten konsumiert«, so Freund.
»Den russischen Sender RT kann man in jedem Hotelzimmer empfangen«, entgegnete die polnische Abgeordnete Anna Fotyga (PiS) dem Österreicher in einer Rundfunkdebatte in Straßburg, kurz nachdem sich eine Mehrheit des Parlaments Ende November in ihrem Bericht dafür ausgesprochen hatte, eine Kommunikationsstrategie der EU als Antwort auf die Propaganda zu entwickeln

Zielgruppen der russischen Propaganda sind vor allem Anhänger von links- oder rechtsextremen Parteien.

RT wurde 2005 unter dem Namen Russia Today gegründet, um ein ausländisches Publikum mit Nachrichten aus Russland zu beliefern. Schon bald habe man bemerkt, dass die Nachfrage dafür im Westen sehr beschränkt war, schreibt der Außendienst des Europaparlaments in einer Analyse. Statt­dessen habe man festgestellt, »dass es eine Vielzahl potentieller Zuschauer gab, die negative Nachrichten über den Zustand des Westens konsumieren wollten«.
Als Zielgruppen der russischen Propaganda definiert dieser Bericht vor ­allem Anhänger von links- oder rechtsextremen Parteien. Letztere »konsumieren bereitwillig Nachrichten, in denen die EU als Instanz dargestellt wird, die aktiv moralischen Verfall fördert und Europas christliche Werte vernachlässigt«. Am linken Rand solle Russlands Nachrichtensystem »anti-amerikanische Gefühle nähren sowie die Darstellung untermauern, die EU sei ein unterwürfiger Partner oder eine Marionette von Washington«.
Die Debatte im Parlament zeichnete dieses Bild in gewisser Weise nach. Der spanische Abgeordnete Javier Couso Permuy (Vereinigte Linke) bezeichnete den Bericht des Parlaments als »irre« und »gefährlich«. Er fördere die »antirussische Paranoia« und sei ein »Angriff auf die Informationsfreiheit«.
Ähnlich argumentierte der Franzose Jean-Luc Schaffhauser vom rechtsex­tremen Front National (FN). »Der Bericht ist eine Farce«, echauffierte sich Schaffhauser im Parlament. Der Franzose, der als Mittelsmann des FN für einen Kredit in Höhe von neun Millionen Euro aus Töpfen der Russischen Föderation fungiert haben soll, setzt sich aktiv für eine Annäherung Europas an Russland ein. Die russische Berichterstattung stütze sich auf »Fakten unserer Außenpolitik«, erklärte er seinen Kollegen in Straßburg. Demgegenüber stelle das Parlament »die lügnerische europäische Propaganda als wahr« dar.
In der dennoch von einer Mehrheit getragenen Resolution fordert das Parlament, die Zahl der Mitglieder der winzigen East Stratcom Task Force zu erhöhen, ihr ein eigenes Budget zukommen zu lassen sowie den auf die EU und sechs frühere Sowjetrepubliken beschränkten Arbeitsbereich zu erweitern.
»Neben der Enthüllung von Falsch­informationen sollte die Spezialeinheit vor allem ein Netzwerk schaffen, in dem alle Mitgliedstaaten zusammenarbeiten«, forderte Anna Fotyga. Doch die Mitgliedsstaaten  weigerten sich, dem Wunsch des Parlaments nachzukommen und entschieden sich dagegen, die Task Force auszubauen.
Die Tschechische Republik beschloss indessen, auf nationaler Ebene zu reagieren. Seit dem ersten Januar gibt es im Prager Innenministerium eine Antidesinformationseinheit, die Falschinformationen aufspüren und ihnen die Sicht der Regierung gegenüberstellen soll. Mit 20 Spezialisten zählt sie immerhin fast doppelt so viele Mitarbeiter wie die Task Force der EU.