Die neue sozialdemokratische Regierung in Rumänien steht

Nur die zweite Wahl

In Rumänien regieren nun wieder die Sozialdemokraten. Das öffentliche Leben bleibt über alle politischen Lager hinweg von Korruption geprägt, die Frustration vieler Bürgerinnen und Bürger ist groß.

An sich wäre es keine große Meldung wert gewesen: Am 4. Januar wurde in Rumänien mit Sorin Grindeanu ein neuer Ministerpräsident gewählt. Aufsehen erregte dieser Vorgang im Ausland aber wegen der vorhergegangenen Ablehnung der zunächst vorgeschlagenen Kandidatin durch den Präsidenten Klaus Johannis, der der national­liberalen Partei PNL angehört. Die abgelehnte Kandidatin der Sozialdemokratischen Partei (PSD), Sevil Shhaideh, wäre die erste muslimische Frau in dieser Position innerhalb der EU gewesen. Vor allem in westlichen Medien wurde diesem Aspekt besondere Aufmerksam zuteil, dem in Rumänien nur im stark nationalistischen Lager Bedeutung beigemessen wurde. Zu offensichtlich war, dass es hier nicht um die symbolträchtige Einsetzung einer muslimischen Frau in ein hohes Regierungsamt ging, sondern darum, eine möglichst unbekannte, profillose Person als Platzhalterin für den Parteichef der Sozialdemokraten, Liviu Dragnea, zu installieren. Dragnea selbst konnte sich wegen einer Vorstrafe nicht zur Wahl stellen. Er war im vergangenen Jahr wegen Wahlmanipulation zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden.
Der Wahl des Ministerpräsidenten waren die Parlamentswahlen vom 11. Dezember vorangegangen, aus denen die PSD mit 45 Prozent der Stimmen als klarer Sieger hervorging. Dieser deutliche Sieg ist erstaunlich, war es doch eine von der PSD geführte Regierung, die im November 2015 nach Massenprotesten zurückgetreten war. Anlass der Proteste war die Brandkatastrophe in einem Bukarester Club mit 64 Toten (Jungle World 46/2015). Die Demonstrationen richteten sich gegen die Regierung und die Verwaltung, ­denen wegen der Korruption eine Mitschuld an der Katastrophe gegeben wurde. Die in Folge der Massenproteste erfolgten Rücktritte des Ministerprä­sidenten Victor Ponta und seines Kabinetts machten im November 2015 den Weg frei für eine von Dacian Cioloș angeführte »Technokratenregierung« mit parteilosen Ministern. Der ehemalige EU-Kommissar Cioloș sollte übergangsweise bis zur nächsten regulären Wahl 2016 die Regierungsgeschäfte führen.
Das Ergebnis der Parlamentswahlen ist auch als Ausdruck der Resignation weiter Wählerschichten zu sehen. Die generell hohe Frustration über die Politik und das Misstrauen gegenüber den Parteien zeigte sich deutlich in der äußerst geringen Wahlbeteiligung von knapp 40 Prozent. Zur Wahl gehen vor allem Menschen in ländlichen Regionen, die direkt von der Klientelpolitik der Parteien bei der Verteilung von EU-Geldern profitieren. Vor allem in der jüngeren Generation und der Stadtbevölkerung ist der Frust über die Korruption, in die eigentlich alle führenden Politiker verwickelt sind, so groß, dass immer mehr besser Ausgebildete nach Westeuropa abwandern. Inzwischen sind sogar zwei Parlamentssitze für Auslandsrumänen reserviert, um dem Umstand gerecht zu werden, dass mehr als 3,5 Millionen Rumäninnen und Rumänen in den vergangenen Jahren das Land verlassen haben.
Auch der selbstauferlegte Ethikkodex, der verhindern soll, dass Politiker, die der Korruption angeklagt sind, weiter Ämter innehaben, ist eher Makulatur, halten sich doch selbst die Politiker der beiden Parteien nicht daran, die diesen Kodex entworfen haben. Das Ausmaß der Korruption wird daran deutlich, dass in der vergangenen Legislaturperiode gegen fast zehn Prozent der Parlamentarier deswegen ermittelt wurde.
Die Aufstellung von Sevil Shhaideh als Kandidatin für das Amt der Ministerpräsidentin ist angesichts des nationalistischen Wahlkampfs der PSD bemerkenswert. Dass in Rumänien die Religionszugehörigkeit der ersten Kandidatin dennoch eine eher geringe Rolle spielte, ist nicht auf den liberalen Geist der PSD-Wähler zurückzuführen, sondern verdeutlicht vielmehr die Durchschaubarkeit des politischen Schachzugs des PSD-Vorsitzenden Dragnea. Dass in den vergangenen Jahren – anders als in Ungarn und Polen – kein umfassender Rechtsruck Aufsehen erregte, ist eher Ausdruck davon, dass der gesellschaftliche Konsens ohnehin sehr nationalistisch ist. Parolen wie »Rumänien den Rumänen«, die sich insbesondere auch gegen Roma richten, sind weithin salonfähig. Der gesamte Wahlkampf war geprägt von nationalistischen Tönen. Insbesondere bei den großen Parteien sind auch die politischen Unterschiede so gering, dass man eher von verschiedenen Nuancen des Wirtschaftsliberalismus sprechen kann als von unterschiedlichen Ausrichtungen, die eine Einordnung in das übliche Rechts-links-Schema ermöglichen würden.
Rumänien folgt dem in ehemaligen Ostblockstaaten zu beobachtenden Trend zu Populismus und Autoritarismus, wie mit der Parlamentswahl deutlich wurde. Zwar haben diese Tendenzen in Rumänien noch kein eigenständiges Gesicht erhalten, wie in Ungarn mit Viktor Orbán oder in Polen mit Jarosław Kaczyński von der Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS), aber die politischen Voraussetzungen sind geschaffen. Bereits seit Mitte der nuller Jahre lässt sich ein Trend hin zu Machtkonzentration und Klientelismus erkennen, der einhergeht mit einer Verschiebung der Macht von der Legislative zur Exekutive. Parallel zur Unterminierung der Gewaltenteilung lässt sich ein Rückgang des Einflusses der politischen Parteien auf die Kontrolle der staatlichen Verwaltung, ein Machtverlust des Parlaments und ein Ausbau des Polizeiapparates erkennen. Das Vertrauen in die politischen Parteien und ihren Einfluss auf wichtige staat­liche und finanzielle Entscheidungen ist so gering, dass die übergangsweise eingesetzte sogenannte Technokratenregierung nach dem Rücktritt der Regierung im November 2015 als die adäquateste Lösung angesehen wurde.
Dieser Übergangsregierung unter Cioloş gehörten Fachleute ohne parteipolitische Bindung an. Was auf den ­ersten Blick sympathisch daherkommt und innerhalb eines durch und durch korrumpierten Landes als sinnvolle Lösung erscheinen mag, wird von linken Kritikern als ideologischer Ausdruck einer neuen politischen Form gesehen: des autoritären Staats. Es ist gleich­zeitig als Eingeständnis der eigenen Bedeutungslosigkeit durch die politischen Parteien zu verstehen. Die Erfüllung von Staatsaufgaben durch Fachleute ohne wirksame Kontrolle durch politische Parteien begünstigt unsoziale Reformen zur Konsolidierung des Staatshaushalts und birgt die Gefahr, die bereits verbreitete Klientelpolitik zu verstärken. Im vergangene Woche vorgestellten Kabinett gehören 22 Minister der PSD an und vier dem kleinen liberalen Koalitionspartner ALDE.