Österreichs Bundeskanzler will die Arbeitsmigration aus Osteuropa eindämmen

Plan A für die Volksgenossen

Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern will durch einen sogenannten Inländervorrang bei Stellenbesetzungen die Arbeitsmigration aus Osteuropa einschränken. Der Sozialdemokrat ermutigt damit vor allem rechte Forderungen.

»Worauf warten? Zeit, die Dinge neu zu ordnen.« Unter diesem Titel hat sich der sozialdemokratische Bundeskanzler Österreichs, Christian Kern, vor wenigen Tagen mit einer Grundsatzrede an die Nation gewandt. Kern hatdas Amt im Mai nach dem Rücktritt Werner Faymanns übernommen, der nach heftiger interner Kritik der Politik den Rücken kehrte. Im Gegensatz zum konturlosen Parteibürokraten Faymann gilt Kern als dynamischer Typ, der seine Managerqualitäten – er war zuvor Vorstandsvorsitzender der Holding-AG der Österreichischen Bundesbahnen – gezielt politisch einzusetzen weiß. Vielen Linken gilt Kern seit seiner Angelobung als Bundeskanzler als Hoffnungsträger, da er sich in Schlüsselfragen wie Arbeitsrecht, Asyl und Sozialabbau relativ progressiv äußerte. Irgendwelche Taten hat er dem jedoch nicht folgen lassen. 
Mit seiner Grundsatzrede, in der er seinen »Plan A für Österreich« präsentierte, wird nun erstmals so etwas wie ein politisches Programm erkennbar, das über Worthülsen hinausgeht. Wirft man einen genaueren Blick auf dieses Programm, wird deutlich, dass Kern keineswegs als linke Hoffnung verklärt werden kann. Seine Vorschläge sind ein widersprüchliches Potpourri aus keynesianischen und neoliberalen, sozialdemokratischen und rechtspopulistischen Elementen.
Vor allem zwei Vorschläge aus Kerns »Plan A« haben die österreichischen Medien beschäftigt. Erstens sein Vorschlag, das Wahlrecht zu reformieren und das derzeitige Verhältnis- durch ein modifiziertes Mehrheitswahlrecht zu ersetzen. Dieses würde die stimmenstärkste Partei stark begünstigen. Da die rechtsextreme Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) derzeit jede Wahlumfrage anführt, erscheint dieser Vorschlag Kerns als reichlich mysteriös. Zweitens erhielt Kerns Ankündigung viel Aufmerksamkeit, die Arbeitsmigration aus Osteuropa zu begrenzen, was gegen EU-Recht verstoßen würde. Der Bundeskanzler will in bestimmten Sektoren vom Arbeitsmarktservice (AMS) prüfen lassen, ob anstelle von Arbeitskräften aus Niedriglohnländern nicht auch ein Österreicher für eine offene Stelle qualifiziert ist.
Das fügt sich ein in seine Beteuerungen, die Sorgen derjenigen Menschen ernst zu nehmen, die von der Sozialdemokratie enttäuscht worden seien und sich nun der FPÖ zugewandt hätten. Kerns Rede begann dementsprechend mit einem langen Exkurs über die Verfehlungen der Sozialdemokratie, in dem er nicht näher bestimmte »Fehler bei der Zuwanderungspolitik« einräumte. Es gelte, den Status quo zu verändern, anstatt ihn zu verwalten, und Österreich gerechter zu machen – zumindest für vollwertige Staatsbürger, könnte man hinzufügen. Seine Vorschläge dahingehend bestehen hauptsächlich aus Maßnahmen zur Reorganisation der Arbeitswelt, bei denen Sozialreformen mit neoliberalen Zugeständnissen an die Unternehmer und einer intensivierten rassistischen Exklusion am Arbeitsmarkt erkauft werden sollen. Kern will in den kommenden Jahren 200 000 neue Arbeitsplätze schaffen und langfristig Vollbeschäftigung herstellen. Dafür will er Österreich als Investitionsstandort attraktiver machen, um Wirtschaftswachstum zu generieren, und zugleich einen generellen Bruttomindestlohn von 1  500 Euro im Monat einführen, Lohnnebenkosten senken sowie die Wiedereinführung von Vermögen- und Erbschaftsteuern diskutieren. Im Gegenzug sollen dem Kapital Arbeitszeitflexibilisierungen angeboten werden. Ein ziemlich widersprüchliches Projekt.
Kern stellt die Arbeitsmigration aus Osteuropa als von dort aus orchestriert dar. Ungarn zum Beispiel verfrachte seine Arbeitslosigkeit gezielt nach Österreich und betreibe damit Lohn- und Sozialdumping, während Österreich als Nettozahler in der EU Steuergelder an Ungarn, ein Nettoempfängerland, transferiere. Die Personenfreizügigkeit innerhalb der EU zu überdenken, sei daher eine Gerechtigkeitsfrage. Damit bedient Kern erneut das Märchen, dass Migration per se Druck auf Löhne und einen Anstieg der Arbeitslosigkeit verursache, anstatt dies als sektoral und konjunkturell abhängiges Phänomen zu begreifen, und er macht die migrantischen Arbeiter dafür verantwortlich, anstatt die Frage zu stellen, wer denn ein Interesse an niedrigen Löhnen hat. Er bedient damit Ressentiments und stärkt – ob er dies nun will oder nicht – die Forderungen der FPÖ, die schließlich ein recht ähnliches Programm hat, was das Management der Migration aus EU-Oststaaten angeht. So forderte der FPÖ-Politiker Harald Vilimsky bereits im Februar vorigen Jahres, die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Osteuropäer auszusetzen.

Kern versucht aus einer Regierungsposition heraus, soziale Antagonismen zu kitten, statt sie anzustacheln, und ein umfassendes, nationales Konsensprojekt zu formulieren, das für jeden etwas im Angebot haben soll.

Auch wenn es auf den ersten Blick naheliegend erscheint, Kerns Vorschlag zur Inländerbevorzugung mit den derzeitigen »migrationskritischen« Ausfällen Sahra Wagenknechts oder des britischen Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn zu vergleichen, gibt es einen entscheidenden Unterschied: Linkspopulisten wie Corbyn versuchen, indem sie rassistische Einstellungen bedienen, aus der Opposition heraus Zuspruch für sozialdemokratische Projekte zu gewinnen, die als gegen die »Eliten« gerichtet präsentiert werden. Die Strategie ist, politische Antagonismen zwischen »dem Volk« und »dem Establishment« zu nähren und die autoritären Affekte in der Bevölkerung für eine vermeintlich linke Politik in Beschlag zu nehmen. Kern hingegen versucht aus einer Regierungsposition heraus, soziale Antagonismen zu kitten, statt sie anzustacheln, und ein umfassendes, nationales Konsensprojekt zu formulieren, das für jeden etwas im Angebot haben soll. Dabei wird auch die verbreitete migrationsfeindliche Stimmung aufgenommen.
Es bleibt fraglich, ob Kerns populistischer Vorschlag jemals realisiert wird, da er EU-Recht widerspricht und wohl unter den Mitgliedsstaaten nicht die notwendige Unterstützung finden wird. Zudem zeigt sich der Koalitionspartner, die konservative ÖVP, kaum gesprächsbereit. Am selben Tag, an dem Kern seine Grundsatzrede hielt, sagte Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP), dass die umstrittene Asyl­obergrenze von 37 500 Anträgen dieses Jahr halbiert werden soll, was eine gezielte Provokation in Richtung des Bundeskanzlers darstellt. Am Montag trat Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) vor die Kameras und beteuerte, unter ihm werde es keine Erbschaft- und Vermögensteuern geben; eine offene Absage an Kerns Pläne. Es ist somit nicht unwahrscheinlich, dass die neoliberalen Elemente aus dem Programm Gesetz werden, während die linkskeynesianischen am Koalitionspartner und die offen rechtspopulistischen zum Glück am Europarecht scheitern. Hoffnungen in die durchaus vorhandenen progressiveren Komponenten des »Plan A« zu setzen, hält deshalb für Linke wohl nur weitere Enttäuschungen bereit.