Fabian Virchow, Rechtsextremismusforscher, im Gespräch über militante Neonazis

„Dahinter steht eine Tötungsabsicht“

Täglich begehen Neonazis rassistische Gewalttaten. Ein aktueller Bericht des Bundeskriminalamts stellt für 2016 mehr als 450 Fälle von Körperverletzungen gegen Geflüchtete fest. Fabian Virchow ist Soziologe und Politikwissenschaftler und forscht zu Rechtsradikalismus und Gewalt. Er leitet den Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus an der Fachhochschule Düsseldorf. Mit der Jungle World sprach er über die Repolitisierung der rechten Szene und die militante Stimmungsmache.
Interview Von

Die Zahlen der rechten Gewaltverbrechen sind in Deutschland seit 2014 stark gestiegen. Das wird in Verbindung gebracht mit Flüchtlingszahlen und vermehrter rechter Mobilisierung. Ist dieser Trend real oder werden Angriffe besser erfasst als früher?

Empirisch ist das schwer zu beantworten. Vermutlich verbergen sich beide Effekte dahinter. Wobei der Großteil sicher auf einen realen Anstieg der Taten zurückzuführen ist. Allerdings tauchen Leute aus der Szene, die sich zurückgezogen hatten, gerade jetzt auch wieder auf. Sie finden die Situation katastrophal und wollen wieder aktiv werden. Aus deren Sicht müssen jetzt alle Kräfte mobilisiert werden. Im Sommer 2015 herrschte beispielweise auf den Seiten der neurechten Webseite „Sezession“ eher Katerstimmung. Da wurde angesichts der Situation sehr pessimistisch von Ängsten berichtet. Das hat sich vollkommen gewandelt.

Haben wir es mit einer Repolitisierung aufgrund eines neuen Selbstbewusstseins zu tun?

Mit dem Erfolg der AfD glauben die Rechten, nun alles erreichen zu können. Ein Höhenflug, der sie sogar glauben macht, bei der nächsten Wahl die Regierung stellen zu können. Dieser historische Optimismus mobilisiert auch diejenigen, die sich in den vergangenen Jahren eher zurückgehalten oder schon zur Ruhe gesetzt hatten. Die Verschiebung von Verzweiflung hin zum Optimismus hat in der Szene in relativ kurzer Zeit stattgefunden.

Welchen Einfluss hat die AfD auf die militante Stimmung?

Die Militanz ist Ausdruck einer allgemeinen Entgrenzung in diesem politischen Feld. Das Spektrum, das die Flüchtlingspolitik aus einem völkischen Homogenitätsideal heraus anhängen und jede Immigration und in der Größenordnung besonders, als existentielle Bedrohung ansehen, will auch mit entsprechendem Handeln reagieren. Der Einsatz von Schusswaffen oder Sprengstoff, sendet ein deutliches Signal. Dahinter steht eine Tötungsabsicht.

Häufig sind Neonazis wegen kleinerer Delikte vorbestraft. Bei einigen rechten Netzwerken gibt es Schnittmengen mit kriminellen Milieus. Im Fall de NSU gab es auch Spekulationen über Verbindungen zur organisierten Kriminalität.

Vorbestrafte Neonazis gibt es überall. Fahren ohne Führerschein, Diebstahl bis hin zur Körperverletzung oder gemeinschaftlichen Körperverletzung. Die organisierte Kriminalität ist nochmal ein anderer Aspekt. Natürlich gibt es die Verbindungen beispielsweise ins Rockermilieu, weil man da vereinfachten Zugang zu Schusswaffen bekommt, zum Teil auch zum Drogenhandel. Die Kontakte des NSU zum Menschenhandel lassen sich momentan allerdings nicht beweisen.

Im NSU-Prozess wurde deutlich, dass Beate Zschäpe keine Mitläuferin war. Hat sich die Rolle von Frauen in der militanten Szene verändert?

Frauen sind genauso aus Überzeugung Teil der Szene wie Männer, sie nehmen an Demos und organisieren Aktionen teil. Sie sind keine Anhängsel der ihrer Freunde. Es fällt auf, dass dort, wo es zu Verfahren im Zusammenhang mit rassistischen Gewalttaten kommt, häufig auch Frauen auf der Anklagebank sitzen. Ihnen wird oft auch eine zentrale Rolle im Tatgeschehen zugeordnet.