Jubel ist nach den Wahlen in den Niederlanden nicht angebracht

Beklemmende Signale

Der Jubel über den niederländischen Wahlausgang zeigt vor allem, wie niedrig die politischen Standards in Europa inzwischen sind.

Geert Wilders hatte recht. »Mark Rutte ist mich noch lange nicht los«, sagte der Vorsitzende der Partij voor de Vrijheid (PVV) am Wahlabend vorige Woche, während Stoßseufzer der Erleichterung durch Europa hallten. Da hatte die PVV die niederländischen Parlamentswahlen nicht nur nicht gewonnen, sondern auch klar unterhalb ihrer Umfragewerte abgeschnitten. Doch wer die Entwicklung der Partei verfolgt, weiß: Wilders hat sich aus Krisen noch immer zurückgemeldet. Das wird Rutte, der alte und neue Ministerpräsident, zweifellos merken, und das wird weiterhin auch in Europa spürbar sein. Die Niederlande galten als entscheidender Stein im rechtspopulistischen Domino. Die Wahlen in dem kleinen Land – in dem sich schon öfter politische und gesellschaftliche Entwicklungen deutlich früher als in den Nachbarländern zeigten – erregten daher wochenlang übergroße Aufmerksamkeit. Nicht immer wurde die Lage dabei treffend analysiert. So verkennt die erleichterte Rede vom Trendbruch, dass die PVV nach mehreren Wahlniederlagen in Folge nun wieder zugelegt hat. Ein weiteres Detail, das leicht aus dem Blick gerät: Die PVV ist die zweitstärkste Partei im neuen Parlament und die größte in der Opposition. Es sagt einiges über veränderte europäische Standards aus, wenn eine solche Konstellation Jubelstürme verursacht. Hinzu kommt der deutliche Einfluss Wilders’ und seiner Anhänger auf die politische Debatte und Rhetorik. Dass der Wahlsieger Rutte ab und an das Netz auf der rechten Seite auswirft, ist bekannt. Im zurückliegenden Wahlkampf entpuppte sich auch der christdemokratische Spitzenkandidat Sybrand Buma als Wettermann des von Wilders angekündigten »patriotischen Frühlings«. Dass jemand, der allen Ernstes Schulkinder stehend die Hymne singen lassen und die doppelte Staatsbürgerschaft abschaffen will, zu den großen Wahlsiegern zählt, ist ein beklemmendes Sig­nal. Progressives Potential hat dagegen der Aufstieg der Partei Groen-Links (GL). Im Vergleich zum linksliberalen Kurs früherer Jahre hat sie ihr soziales Profil geschärft, dazu kommen ambitionierte ökologische Pläne und ein klares Bekenntnis zu Flüchtlingsaufnahme und EU. Gepunktet hat GL auch mit ihren Standpunkten zum Thema Integration. Spitzenkandidat Jesse Klaver erklärte in einer Fernsehdebatte Gleichheit und den Kampf gegen Diskriminierung zu schützenswerten Bestandteilen der niederländischen »Identität«. Mittelfristig könnte Groen-Links auch eine Alternative zur Tendenz der Ethnisierung aufzeigen, die im Zuge des internationalen Aufatmens vergessen wird. Die neue Partei Denk wird mit drei Vertretern ins Parlament einziehen. Sie inszeniert sich einerseits als multikulturelle Gegenbewegung zum Rechtsruck in Politik und Gesellschaft. Andererseits fällt sie durch die latente Nähe ihrer türkischstämmigen Parteispitze zur AKP auf und zieht besonders konservative türkische Niederländer an. Der Trend zur ethnischen Stimmabgabe ist gesetzt. Dass zwei Tage nach der Wahl in den Niederlanden ein türkischstämmiger ehemaliger Sozialdemokrat in Belgien angekündigt hat, eine Denk ähnliche Partei zu gründen, lässt nichts Gutes erwarten.