Am vergangenen Samstag marschierte »Die Rechte« durch Leipzig, viele Menschen protestierten

Kilometerweit kein Raum

Der Leipziger Oberbürgermeister rühmt sich und die Polizei für den weitgehend friedlichen Verlauf der dortigen Nazidemonstration und der Gegenproteste am Samstag. Die wenigen Neonazis konnten relativ ungestört marschieren.

Am Ende waren einige Journalisten offenbar enttäuscht. Obwohl selbst die Leipziger Polizei ein »absolut positives Fazit« zog, ließ es sich die Mitteldeutsche Zeitung nicht nehmen, zunächst »Steine auf Polizisten« und »Mülltonnen in Brand« in die Überschrift ihres Artikels zu schreiben und damit in den Mittelpunkt zu stellen. Nachdem Leser das kritisiert hatten, hieß es später: »Leipzig wehrt sich gegen Neonazis«. Etwa 150 Menschen waren am Samstag einem Demonstrationsaufruf der neonazistischen Partei »Die Rechte« nach Leipzig gefolgt – mehr als 1 000 Personen protestierten dagegen. Straßenschlachten wie am 12. Dezember 2015 blieben aus.
Um zehn Uhr am 18. März gab es eine Demonstration des zivilgesellschaftlichen Bündnisses »Leipzig nimmt Platz« (LNP). Etwa 700 Menschen zogen von der Innenstadt zum Startpunkt der Neonazis in der Südvorstadt. Zu Beginn des Aufzugs erschien ein Mann und zeigte den Hitlergruß. Die Polizei nahm ihn vorläufig fest. Ein Demonstrationsbeobachter wies auf Twitter darauf hin, dass die Person bekannt und psychisch krank sei.
Parallel zur LNP-Demonstration versuchten einige Dutzend Aktivisten, auf die Strecke der Neonazis zu gelangen. Das schafften jedoch nur zehn von ihnen. Die anderen waren nicht schnell genug über die Absperrgitter gekommen oder von Polizisten abgefangen worden. Nach kurzer Zeit und einem Gespräch mit der Polizeiführung vor Ort beendeten die zehn Personen ihren Blockadeversuch. Wie in den vergangenen Jahren bei rechten Aufmärschen in Leipzig üblich, hatte die Polizei die Route weiträumig und intensiv abgeriegelt. An anderer Stelle sollen nach Angaben der Polizei etwa 20 Personen mit Steinen geworfen und Barrikaden errichtet haben. Die Social-Media-Abteilung der Polizei dankte Anwohnern, die beim Wegräumen der Gegenstände geholfen hätten.
Kurz nach 13 Uhr setzte sich der Naziaufzug in Bewegung. Trotz wochenlanger Mobilisierung waren nur etwa 150 Personen erschienen. Die Mehrzahl von ihnen bildete einen »antikapitalistischen Block«, dessen Erscheinungsbild überwiegend dem sogenannter Autonomer Nationalisten ähnelte. Einige Glatzköpfe waren ebenfalls dabei. Beobachtern zufolge kamen die Teilnehmer vor allem aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Die örtliche Naziszene hatte zumindest öffentlich nicht zu der Demonstration aufgerufen. So blieben Alexander Kurth, der ehemalige sächsische Landesvorsitzende von »Die Rechte«, und »Thügida«-Leiter David Köckert fern. Beide hatten bei der Demonstration 2015 zu den maßgeblichen Akteuren gezählt. Einige ehemalige Mitglieder des kurzlebigen Legida-Ablegers »Offensive für Deutschland«, zu dem auch Kurth gehörte, waren dennoch vor Ort – darunter Silvio Rösler, der stilecht mit einem blauen Auge auftauchte.
Anmelder der Demonstration war Christian Worch, der Bundesvorsitzende von »Die Rechte«. Bereits vor mehr als zehn Jahren hatte der inzwischen 61jährige über einen längeren Zeitraum versucht, in Leipzig Fuß zu fassen, war jedoch letztlich am Widerstand seiner Gegner und den ausbleibenden Mobilisierungserfolgen gescheitert. Ursprünglich wollte Worch durch das linke Stadtviertel Connewitz laufen. Das war den Neonazis bereits 2015 verboten worden. Auch diesmal untersagte die Stadtverwaltung entsprechende Pläne. Sowohl das Verwaltungsgericht Leipzig als auch das Oberverwaltungsgericht Bautzen wiesen die folgenden Beschwerden der Veranstalter zurück.
Außer Worch waren mehrere Landesvorsitzende seiner Partei erschienen, darunter Uli Bayer aus Sachsen, Sascha Krolzig aus Nordrhein-Westfalen und Philipp Hasselbach aus Bayern. Die Teilnehmer riefen Parolen wie »Nie wieder Israel«, »Nach unserem Sieg nie wieder Krieg« und »Frei, sozial und national«. Letztere kam offenbar bei sächsischen Polizisten am Rande der Demo gut an – wie der Journalist Sören Kohlhuber auf Twitter berichtete, sprachen einige von ihnen die Parole mit oder klopften im Takt auf ihren Helm.
Der Aufzug verlief weitgehend ungestört. Zu Beginn hielt die Polizei die Teilnehmer an, weil sich einige von ihnen vermummt hatten. Später flogen ein großer Pflasterstein, ein Böller sowie mehrere eher ungefährliche Gegenstände auf die Teilnehmer. Ein Apfel traf eine Journalistin am Kopf und zerplatzte dort. Sie blieb anscheinend unverletzt. Gegendemonstranten konnten jeweils in etwa 50 Metern Entfernung gegen die Zwischen- und die Abschlusskundgebung der Neonazis protestieren. Die von der sächsischen Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Linkspartei) angemeldete Demonstration nahe der Zwischenkundgebung wollte die Polizei zunächst weiter auf Abstand halten. Nach kleinen Rangeleien zwischen Antifaschisten und Polizisten sowie Aufforderungen der Politikerin, die nach ihren Angaben zugesagte räumliche Nähe zu den Neonazis zuzulassen, entspannte sich die Situation jedoch wieder.
Bevor sich die Teilnehmer der rechtsextremen Demonstration gegen 15 Uhr in die U-Bahn verabschiedeten, verkündete ein Redner noch die Solidarität mit militanten Kameradschaften wie der »Brigade Halle« und bezeichnete sich selbst als »Nationalsozialist«. Danach konnten auch die etwa 2 500 Polizisten, inklusive mehrerer Pferde, Wasserwerfer und Räumpanzer, ihren Einsatz beenden. Sowohl die Ereignisse am 12. Dezember 2015 als auch die Wortmeldungen der vergangenen Tage hatten vielerorts einen weniger friedlichen Verlauf erwarten lassen. Die »Brigade Halle« etwa hatte Politikern und den Bewohnern des Stadtteils Connewitz gedroht, trat auf der Demonstration jedoch nicht in Erscheinung.
Für Gesprächsstoff hatte vor allem ein Statement eines Polizeisprechers zu Beginn der Woche gesorgt. Darin kündigte er polizeiliche Maßnahmen gegen Demonstrationsteilnehmer an, die sich nicht räumlich von Steinewerfern distanzieren, und rügte, dass die Organisatoren des Gegenprotests nicht zur Mäßigung aufgerufen hätten – obwohl genau dies mehrfach geschehen war. Wenige Tage später äußerte er sich über Journalisten, die am 12. Dezember 2015 inmitten »linksextremer« Gruppen ungestört hätten arbeiten können. »Zur Wahrnahme einer objektiven Berichterstattung und einer Nähe« habe er da »keine Fragen mehr«.
Nach der Demonstration vom Samstag entbrannten sogleich neue Diskussionen. Auf einem Foto wollten manche Twitter-Nutzer einen zum Handschlag mit einem Neonazi bereiten Beamten erkannt haben – die Polizei dementierte das. Die Stadt Leipzig lobte derweil den »ruhigen« Verlauf der Demonstrationen. Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) sagte: »Leipzig hat Extremisten keinen Raum gegeben.« Damit meinte er nicht nur die Neonazis. Diese konnten übrigens etwa zwei Kilometer laufen.