Die Professionalisierung des Frauenfußballs verläuft zu schnell

Die Professionalisierung im Frauenfußball

Französische Vereine machen es vor: Immer mehr Fußballclubs leisten sich eine teure Frauenmannschaft – und haben damit Erfolg.

Sie habe sich gefragt: »Wer ist dieser Bekloppte?«, sagt Alex Morgan, US-amerikanische Stürmerin, an einem Samstag im Januar 2017. Morgan, die 73 Tore in 120 Spielen fürs US-Nationalteam geschossen und fast so viele Werbeverträge abgeschlossen hat, wurde an diesem Tag als Neuverpflichtung beim französischen Serienmeister Olympique Lyon (OL) vorgestellt und sollte erklären, warum sie dorthin kam. Nach Frankreich, obwohl sie in den USA einen garantierten Stammplatz hatte und als Topstar im Frauenfußball galt.

Der Bekloppte, den sie meint, ist der Geschäftsmann und OL-Präsident Jean-Michel Aulas. Der Mann, der den Aufbau des Frauenteams von Olympique Lyon zum Star-Ensemble des europäischen Kontinents finanzierte – und als PR-Coup Alex Morgan holte.

Die reinen Frauenvereine werden von einem Tag auf den anderen strukturell aus den Fünfzigern ins Millennium katapultiert, vom Halbamateurdasein in eine Welt von Millionenetats.

Und zwar so sichtbar, wie es nur geht: bei Twitter. »Olympique Lyon ist die beste und ambitionierteste Frauenmannschaft der Welt«, schrieb er an Alex Morgan. Oder: »Nach Rio erwarten wir dich bei OL.« Die öffentlichen Avancen waren klug platziert, denn so bekam sie auch das US-Publikum mit: Morgan hat fast drei Millionen Follower. »Alex wird uns helfen, Olympique Lyon in den USA zu platzieren«, erklärt Aulas freimütig seine Kalkulation. Der Franzose redet viel von Marketing und Businessplänen, wenn es um die OL-Frauenabteilung geht. Das ist nicht neu für ihn, aber in der Branche immer noch selten. Die Tweets hätten bei ihren Fans viel Aufmerksamkeit erregt, sagte Alex Morgan. Schließlich sagte sie ja.
Morgans Transfer nach Frankreich, wo sie angeblich 25 000 Euro im ­Monat verdient, bedeutet eine kleine Zeitenwende im Frauenfußball: Ein Geschäft, bei dem es nicht so sehr darum geht, wie Morgan Fußball spielt (ganz ordentlich, aber für das Star-Team von Lyon verzichtbar) oder wie sehr sie der Mannschaft langfristig weiterhelfen wird (in sechs Monaten Vertragszeit eher überschaubar). Sondern darum, wie sie sich verkauft. OL holte mit Morgan das US-Gesicht des Konsolenspiels Fifa 16, das Gesicht von Coca Cola, McDonald’s und Nike. Und einer Youtube-Serie über Morgans Leben in Frankreich, in der sie zum Beispiel Crêpes macht, die ein bisschen wie Rührei aussehen. Die Idee dazu kam von Lyon. Es ist eine Art Real-Madrid-Konzept, ein Gareth-Bale-Show-Transfer. Die Lyon-Frauen, im europäischen Fußball seit Jahren ein Spitzenteam, sollen eine Weltmarke werden. Sie sollen die Branche verändern.

Im Viertelfinale der diesjährigen Champions League warfen die OL-Frauen die Wolfsburgerinnen aus dem Wettbewerb; gleichzeitig scheiterte der FC Bayern völlig unterlegen an Paris Saint-Germain (PSG). Es ist das erste Mal seit der Saison 2006/07, dass die deutsche Bundesliga mit keiner Mannschaft im Halbfinale vertreten ist. Die wachsende Dominanz der Französinnen hat die beiden finanzstärksten Bundesligisten in Panik versetzt. »Wir müssen aufpassen, dass wir international weiterhin mithalten können«, sagte Wolfsburgs Trainer Ralf Kellermann. Auch Bayern-Trainer Thomas Wörle sprach davon, dass sich »viel verändern« müsse in seinem Verein. Gemeint sind Strukturen und Finanzen.

Seit nicht nur Lyon, sondern auch das schwerreiche PSG in den Frauenfußball investiert, liefern sich die beiden französischen Großclubs ein Wettbieten. Für PSG ist das ein netter Nebenschauplatz, für OL, das im Männerfußball mittlerweile eher die dritte Geige spielt, eine immer  wichtigere Plattform. Sieben Millionen Euro soll der Etat von Lyon betragen, das ist fast sieben Mal so viel wie der des deutschen Traditionsvereins FFC Frankfurt. Die Frauenabteilungen von Bayern und Wolfsburg, gestern noch selbst die Neureichen, müssen strampeln gegen die Französinnen. Und mit RB Leipzig hat vor wenigen Wochen ein weiterer bisheriger Männerclub mit schier unerschöpflichen Geldreserven eine Kampfansage im Frauenfußball geschickt. Die lang angekündigte Machtübernahme der Männerlizenzver­eine nimmt Fahrt auf. Dass ein traditioneller Frauenverein wie Turbine Potsdam um die Meisterschaft spielt, ist in Frankreich schon undenkbar geworden. Der Meister heißt seit Jahren Lyon, der Zweitplatzierte PSG.
Der Businessplan von Jean-Michel Aulas, der im Männerfußball scheiterte, ist im Frauenfußball aufgegangen. Es ist eine Drohung, aber auch ein Versprechen. Das Versprechen lautet: Professionalisierung, Entwicklung. Etwas, das der Branche aus sich selbst heraus nie genügend ­gelang. Weil die Zuschauerzahlen irgendwann stagnierten, weil den Sponsoren die Bühne nicht groß genug war, weil der herbeigeredete Boom dann doch kleiner blieb als erwartet. Jetzt fließt Geld. 5 000 Euro sollen die Fußballerinnen bei Lyon im Schnitt verdienen; die deutsche Kapitänin Dzsenifer Maroszán bekommt angeblich 300 000 Euro im Jahr. Genug, um gut davon zu leben und für die Zeit nach der Profikarriere etwas beiseite zu legen. Genug, um den Frauenfußball aus der Nische zu holen?

Mit den Männerlizenzvereinen kommen professionelle Strukturen, willige Großsponsoren und oft auch Zuschauer: Zu den Topspielen von Lyon tauchen schon mal 7 000 Leute auf, das Duell zwischen OL und PSG zog in der Saison 2014/15 10 000 Zuschauer an. Und Wolfsburg, vor ein paar Jahren noch als Standort verlacht, hat mittlerweile den höchsten Zuschauerschnitt der Frauen-Bundesliga.
Die Entwicklung kommt. Aber sie kommt auch zu schnell. Was sich im Männerfußball über Jahrzehnte entwickelte, bricht hier innerhalb weniger Jahre herein. Die reinen Frauenvereine werden von einem Tag auf den anderen strukturell aus den Fünfzigern ins Millennium katapultiert, vom Halbamateurdasein in eine Welt von Millionenetats. Sie können nicht bestehen, erst recht nicht mit den himmelweit unterschiedlichen Ausgangsbedingungen. Alte Bundesligisten wie Bad Neuen­ahr oder der FCR Duisburg mussten sich schon vor Jahren mit Insolvenz verabschieden; die früheren Platzhirsche Frankfurt und Potsdam versuchen, sich mit Jugendarbeit oben zu halten. Und in Frankreich denkt der traditionsreiche Frauenverein Juvisy FCF über eine Fusion mit dem Männerclub Paris FC nach, um mithalten zu können. Ohne Männerlizenzverein geht es kaum.

Allmählich werden allerdings auch für Olympique Lyon und Jean-Michel Aulas die gerufenen Geister zum Problem. Auf der anderen Seite des Ärmelkanals entdecken nämlich gerade der FC Chelsea und Manchester City den Frauenfußball. Die beiden Clubs, die zusammen 18 englische Nationalspielerinnen unter Vertrag haben, tun ihre Ambitionen, künftig die Champions League zu gewinnen zu wollen, sehr laut kund.

Jetzt spielt mit dem Duell Lyon ­gegen Manchester City im CL-Halb­finale auch die eine Zukunftshoffnung gegen die noch größere. Eine erste Kraftprobe gab es bereits vorher: Sowohl City als auch Chelsea wollten OL-Kapitänin Wendie Renard verpflichten. Nach einigem Hin und Her hat sie ihren Vertrag in Lyon verlängert. Vorerst hat Frankreich seine Stellung gesichert. Ein »wichtiges Zeichen« nannte Aulas das. Wichtiger noch als Crêpes von Alex Morgan.