Wahlmöglichkeiten sind bei den Präsidentschaftswahlen im Iran nicht wirklich gegeben

Unter wachsamen Augen

Sechs Männer hat der iranische Wächterrat als Präsidentschafts­kandidaten Iran zugelassen. Eine wirkliche Wahl hat die Bevölkerung nicht.

Der Anfang konnte noch den Anschein erwecken, als hätte die Bevölkerung eine Wahl. 1 493 Iraner und 137 Iranerinnen bewarben sich um eine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl am 19. Mai. Über die Zulassung entscheidet der Wächterrat, der die Treue zur islamistischen Staatsdoktrin prüft und zudem nach weiteren, geheimen Kriterien Kandidaten ausschließt. Antreten dürfen nun sechs Männer – Mostafa Mir-Salim, Eshagh Jahangiri, Mostafa Hashemitaba, Mohammed Bagher Ghalibaf, Ebrahim Raisi und Hassan Rohani –, während, wie bei den Wahlen zuvor, alle Frauen abgelehnt wurden.

Der Wächterrat und andere Kontrollgremien sowie Khamenei können alle Reformvorhaben unterbinden, falls ein Präsident es tatsächlich einmal wagen sollte, etwas zu ändern.

ur Raisi und Rohani werden Sieges­chancen eingeräumt. Hassan Rohani, der amtierende Präsident, gilt als moderater Konservativer, war aber seit der islamistischen Machtübernahme ein Funktionär des Regimes. 1980 forderte er, dass man die »Verschwörer öffentlich während des Freitagsgebets aufhängen sollte, damit das Volk die Wirkung der Hinrichtungen besser versteht«, und prahlte damit, dass alle Gegner der Islamischen Revolution in den staatlichen Medienanstalten »identifiziert und verhaftet« worden seien. Rohani ist ein versierterer Diplomat geworden, eine innenpolitische Liberalisierung gab es in seiner Amtszeit jedoch nicht; Menschenrechtsorganisationen dokumentierten, dass die Zahl der Hinrichtungen sogar gestiegen ist.

Ebrahim Raisi ist der Kandidat des Obersten Führers Ali Khamenei, des eigentlichen Machthabers im Iran, und ein »Prinzipalist«. Er ist mitverantwortlich für die Massenhinrichtungen von Anhängern der Volksmujahedin und Linken im Sommer 1988, die sogar innerhalb des Regimes umstritten waren. Der 2009 verstorbene Ayatollah Montazeri hatte unter anderem Raisi vorgeworfen, für dieses »größte Verbrechen in der Islamischen Republik« mitverantwortlich gewesen zu sein. Raisi hat seine Beteiligung nicht dementiert; er sagt, dass er »die Hinrichtungen mit Vorsicht vollzogen« habe.

Raisi vertritt weiterhin eine besonders harte Linie in der Repressionspolitik, er war maßgeblich beteiligt an der Zerschlagung der Grünen Bewegung im Sommer 2009. Deren Anführer Mehdi Karroubi und Mir Hussein Mousavi wurden unter Hausarrest gestellt und zeitweise inhaftiert. Beide sind keine Gegner des islamistischen Systems; Ayatollah Khomeini hatte Karroubi als seinen »besten Sohn« bezeichnet und Mousavi war von 1981 bis 1989 Ministerpräsident. Rohani versprach, sich für die beiden einzusetzen, unternahm aber nichts. Raisi hingegen sagte im Dezember 2014, es sei »islamische Barmherzigkeit«, wenn sie unter Arrest seien. Aus seiner Sicht wäre auch eine Hinrichtung gerechtfertigt gewesen, wie im Fall der im Januar 2010 exekutierten angeblichen Monarchisten Mohammed Reza Ali-Zamani und Arash Rahmanipur, denen Raisi Pläne unterstellte, einen bewaffneten Kampf zu führen. Raisi fühlte sich dennoch gezwungen, die öffentlich bekannt gewordenen Folterungen und unmenschlichen Verhältnisse im Gefängnis Kahrisak zu kritisieren.

Ebenfalls zu den Prinzipalisten gehören Bagher Ghalibaf, der bei den vorigen Wahlen 12,4 Prozent der Stimmen erhielt, und Mostafa Mir-Salim, der von 1994 bis 1997 Minister für Kultur und islamische Führung war, nunmehr jedoch zu den randständigen Politikern zählt. Als chancenlos gelten auch die Reformislamisten Eshagh Jahangiri, ein ehemaliger Sekretär Rohanis, zu dessen Gunsten er sich möglicherweise aus der Wahl zurückziehen wird, und Mostafa Hashemitaba, ein ehemaliger Leiter des Nationalen Olympischen Komitees, der bereits bei früheren Wahlen angetreten, aber nie über zehn Prozent der Stimmen hinausgekommen war. Noch einmal versuchen wollte es auch Mahmoud Ahmadinejad, der von 2005 bis 2013 Präsident war. Er hat jedoch vor einigen Wochen Khamenei vorgeworfen, wie ein König zu regieren, und wurde vom Wächterrat nicht zugelassen.

Somit hat der Wächterrat, den Khamenei als das »wachsame Auge des Systems« bezeichnet, wieder einmal gute Dienste geleistet. Der Oberste Führer versprach, sich in die Wahlen nicht einzumischen, also nicht zugunsten seines Wunschkandidaten Raisi gegen Rohani zu intervenieren. Dem amtierenden Präsidenten werden unter anderem wegen des Erfolgs seiner Regierung bei den Atomverhandlungen gute Chancen eingeräumt. Er selbst rechnet sich nicht den Reformislamisten zu. Da deren Kandidaten aber chancenlos sind, dürften viele ihrer Anhänger Ro­hani als das kleinere Übel betrachten und ihm ihre Stimme geben, obwohl nennenswerte innenpolitische Reformen ausgeblieben sind und die Menschenrechtslage weiterhin katastrophal ist.

Das islamistische System braucht Wahlen, da die vorgebliche Einheit von Bevölkerung und Regime immer wieder plebiszitär bestätigt werden muss. Kandidaten oder Parteien, die das System ablehnen, werden gar nicht erst zugelassen, doch es gibt Machtkämpfe zwischen den herrschenden Cliquen, bei denen es auch um taktische Differenzen geht. Die Reformislamisten wollen eine ideologisch kontrollierte wirtschaftliche Öffnung, die die Herrschaft der Sharia aber nicht gefährden darf. Die Prinzipalisten dagegen bestehen auf einem rein islamistisch legitimierten Nationalismus, sie warnen Rohani permanent, er möge nicht von der »Ökonomie des Widerstands« abweichen. Diesen Begriff hat Khamenei geprägt, der den westlichen Kapitalismus als Mittel zur Schwächung und letztlich zur Zerstörung der »islamischen Kultur« – der Herrschaft der Sharia und des Regimes – betrachtet.

Der Teheraner Freitagsprediger Mohammed Ali Mowahedi-Kermani warf Rohani Mitte März vor, er sei von der »Ökonomie des Widerstands« abgewichen. Das könne »im Jenseits schwere Folgen« haben – der Präsident laufe also Gefahr, in der Hölle zu schmoren. Kermani erinnerte an die Armut und Arbeitslosigkeit im Land. Diese Probleme wird die »Ökonomie des Widerstands« aber nicht lösen, und von Rohani erwarten viele Iraner und Iranerinnen noch am ehesten eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage. Die Prinzipalisten um Raisi hingegen wollen ihre Pfründe erhalten – die »Ökonomie des Widerstands« ist ein korruptes Klientelsystem. Auch auf die Stimmen der Anhänger Ahmadinejads kann Raisi wohl zählen.
Die im Staatsapparat einflussreicheren Prinzipalisten sorgen dafür, dass die Reformislamisten, die sich um Rohani scharen, nicht zu weit gehen. Im ohnehin engen Rahmen des Systems werden die Grenzen damit noch enger gezogen, Rohani wird vorbeugend unter Druck gesetzt, seine Politik auszutarieren, falls er erneut gewählt werden sollte. Überdies können der Wächterrat und andere Kontrollgremien sowie Khamenei alle Reformvorhaben unterbinden, falls ein Präsident es tatsächlich einmal wagen sollte, etwas zu ändern.

Der nächste Präsident wird auf jeden Fall ein loyaler Repräsentant der islamistischen Diktatur sein; auch bei den ebenfalls am 19. Mai stattfindenden Kommunalwahlen sind keine Abweichungen von der Staatsdoktrin erlaubt. Wenngleich es derzeit nur sporadische Proteste gibt, spitzt sich die Krise der totalitären Macht zu. Nach 38 Jahren islamistischer Herrschaft wird es immer schwieriger, der Bevölkerung den Eindruck zu vermitteln, Reformen innerhalb des islamistischen Systems seien möglich. Viele Oppositionsgruppen rufen zum Wahlboykott auf.